Fehlstart. Elisa Scheer

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Название Fehlstart
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737560665



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entlang nach unten und setzte sich gemütlich hin. „Recht haben Sie“, kommentierte ich.

      „Ach was! Inwiefern?“

      „Der Anzug ist sowieso ruiniert, so wie Sie aussehen, dann können Sie sich auch im Dreck wälzen.“

      „Eben. Setzen Sie sich doch auch – oder glauben Sie, Ihr Kostüm ist noch zu retten?“

      „Dem fehlt gar nichts, was eine Kleiderbürste nicht in Ordnung bringen könnte“, schnappte ich und blieb trotzig stehen.

      „Wie sie wollen. Sie bocken wie eine Dreijährige.“

      „Herzlichen Dank. Sie haben die Manieren eines Zehnjährigen!“

      „Immerhin.“ Er klappte seinen Koffer auf und studierte den Inhalt einer Plastikbox, dann seufzte er. „Hat die Mami kein Pausenbrot eingepackt?“, höhnte ich. „Doch, aber das hab ich leider schon verspeist. Ich wollte eigentlich essen gehen, aber bis wir hier rauskommen...“ Hunger hatte ich auch, aber das konnte ich jetzt nicht mehr zugeben. Dass er nichts mehr zu essen hatte, freute mich aber wenigstens. „Muttersöhnchen“, murmelte ich also nur.

      „Nur kein Neid.“

      „Neid?“, keuchte ich. „Mitleid! Sie sind – na, vierzig doch mindestens, und da wohnen Sie noch bei Mami? Ist ja erbärmlich!“

      „Hab ich nie behauptet.“

      „Haben Sie wohl!“

      „Nein. Sie müssen besser zuhören.“

      „Ich hab zugehört! Sie haben das Brot, das die Mami Ihnen eingepackt hat, leider schon gegessen. In der großen Pause wahrscheinlich“, fügte ich finster hinzu. Durst hatte ich auch, und einen miesen Geschmack im Mund.

      „Ich hab nur gesagt, dass ich das Brot schon gegessen habe. Die Mami haben Sie ins Spiel gebracht. Meine Sandwiches hole ich mir morgens bei Break & Fast. Haben Sie nichts mehr zu futtern?“

      „Nö. Ich bin nicht so verfressen“, log ich.

      „Ehrlich? Sieht man gar nicht“, kam prompt die Antwort. Ein Königreich für einen Baseballschläger! Oder für ein vergiftetes Sandwich... in Todesqualen sollte er sich zu meinen Füßen winden! Obwohl, dann würde er mir bloß auf die Schuhe kotzen. Andererseits konnte ich die sowieso wegschmeißen, Absatz ab, Naht geplatzt... „Soll das heißen, ich bin zu dick?“, empörte ich mich, leider nicht ganz ohne Quieken in der Stimme.

      „Nein, nein...“ In einem Tonfall, der eindeutig das Gegenteil besagte.

      Damit hatte er meine Achillesferse erwischt – das Kostüm saß wirklich ein bisschen stramm um die Hüften, vielleicht sollte ich doch mal so eine Diät... wenn ich hier jemals rauskam, würde ich mir eine Zeitschrift kaufen und die Diätvorschläge akribisch befolgen – mindestens zwei Wochen lang... na gut, eine. Aber eine Woche lang wirklich! Und Gymnastik für schlanke Hüften...

      „Was passt Ihnen denn nicht?“, fragte ich kriegerisch.

      „Wieso? Ich hab doch gesagt, nein. Nagt das an Ihnen?“ Der feixte ja schon wieder!

      „Unsinn. Außerdem – was Sie von mir denken, kratzt mich nun wirklich nicht. Wenn wir hier raus sind, sehen wir uns doch sowieso nie wieder. Gott sei Dank“, fügte ich noch hinzu, um sicher zu gehen, dass er das auch als Beleidigung auffasste. „Ja, Gott sei Dank“, wiederholte er unverschämterweise. „Ich hab Hunger, verflixt...“

      Ich fand in meiner Tasche noch ein ältliches Pfefferminzpäckchen und bot ihm ein Bonbon an. Er nahm es mit spitzen Fingern. Nach einem Moment fing er an zu husten. „Puh, ist das scharf...“

      „Wie heißt es so schön – sind sie zu stark, bist du zu schwach“, freute ich mich und ließ mir nicht anmerken, dass mir das Zeug eigentlich auch zu heavy war.

      „Ich hab´s mehr mit dem Spot, wo der Mafiaboss verminzt wird und den Übeltäter mit Betonschuhen im Hafenbecken versenken lässt“, knurrte er. Ich musste lachen. „Jetzt setzen Sie sich doch endlich hin, ich kriege schon einen ganz verkrampften Hals“, brummte er. „Oder genießen Sie es, dass endlich mal jemand zu Ihnen aufschaut?"

      „Klar. Aber ich will mal gnädig sein.“

      Ich legte den Mantel unter und versuchte, mich einigermaßen elegant zu setzen, aber das Ergebnis war, dass zum einen mein zerrissener Strumpf besonders gut zur Geltung kam und zum anderen, als ich fast ganz unten war, ein hässliches Knirschen mir zeigte, dass mein Kostümrock die Beanspruchung nicht mehr ausgehalten hatte.

      Hastig tastete ich nach der hinteren Naht. Na klasse! Und ich konnte mir auf dem Heimweg nicht einmal die Jacke umbinden – wegen des Erdbeerflecks und wegen der Kälte. Immerhin war es draußen ja dunkel, tröstete ich mich. Und ein Taxi konnte ich mir notfalls auch nehmen. Langsam konnte ich mich über gar nichts mehr aufregen – mein Adrenalin war für das nächste halbe Jahr verbraucht. Ich regte mich nicht einmal mehr über den Spott in den grauen Augen mir gegenüber auf.

       4: Dienstag, 11. Februar 2003

      „Jetzt können Sie das Kostüm endgültig wegschmeißen“, stellte er fest.

      „Na und?“, antwortete ich und lehnte den Kopf müde an die stählerne Wand. „Glauben Sie, ich brauche in diesem Leben noch mal ein Kostüm? Ist doch egal...“

      „Dass Frauen immer gleich so übertreiben müssen – Sie finden schon wieder einen Job.“

      „Klar doch. Irgendwas Simples, das meine bescheidene Intelligenz nicht überfordert – das wollten Sie doch sagen, oder?“

      „Wem der Stiefel passt – he!“ Ich blinzelte desinteressiert; er wühlte wieder im Koffer herum. „Haben Sie etwa Ihr Handy gefunden?“

      „Nein – aber was Essbares!“ Triumphierend hielt er einen etwas zerdrückten Schokoriegel hoch und packte ihn dann genussreich aus – man sah ihn förmlich sabbern. Ich hob das Kinn und beschloss, über solche niedrigen Begierden erhaben zu sein. Er schmatzte unüberhörbar.

      „Wo haben Sie denn Tischmanieren gelernt?“, giftete ich.

      „Wollen Sie ein Stück?“

      Das überhörte ich vornehm, aber als nur noch ein kleines Stück übrig war, wurde ich schwach. „Doch!“ Ich bekam ein angebissenes Stück schokoladeüberzogenes Karamell, leider ohne Nuss darin, und lutschte es genüsslich. Mein Gegenüber sah merklich zufriedener drein. „Wollen Sie nicht noch rülpsen?“, fragte ich, als ich mir die letzten Reste der Köstlichkeit aus den Zähnen gelutscht hatte. „Warum sollte ich?“

      „Es würde das Geschmatze von eben nett abrunden.“

      „Tja – ich wusste eben, was Sie erwarteten. Aber sorry, einen Rülpser kann ich mir jetzt nicht abquälen. Vor zwanzig Jahren, ja...“

      „Jaja, die Studentenzeit...“

      Er warf mir einen giftigen Blick zu. „Ich konnte mal meinen ganzen Namen rülpsen!“ Ich lehnte den Kopf wieder an die Wand und sah nach oben in die trübe grünliche Funzel. „Ich bin tief beeindruckt. Kann ich ein Autogramm haben?“

      „Ich habe meine Hochglanzfotos und den goldenen Stift leider nicht dabei.“

      „Tatsächlich? Ich dachte, damit haben Sie ihren Koffer vollgestopft – falls wider Erwarten doch mal ein Fan vorbeikommt.“ Er lachte ärgerlich. „Für Ihr Mundwerk brauchen Sie wirklich einen Waffenschein.“

      „Sie wecken eben meine niedrigsten Instinkte. Ihre Schuld, nicht meine. Bei vernünftigen Leuten bin ich eigentlich ganz friedlich.“

      „Ich bin also unvernünftig?“

      „Wem der Stiefel passt...“

      „Billig, billig. Retourkutschen – fällt Ihnen nichts Besseres ein?“

      Ich blinzelte träge. „Warum soll ich mich in geistige Unkosten