Fehlstart. Elisa Scheer

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Название Fehlstart
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737560665



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und Rollsplitt an den Stiefeln ein- und ausgegangen.

      Ich studierte ihn unauffällig. Nullachtfuffzehn. Braune Haare, normale Frisur, normales Gesicht, nicht hässlich, aber auch keine Starqualitäten, ein bisschen unrasiert. Den würde ich auf der Straße wahrscheinlich in ein paar Tagen schon nicht wieder erkennen. Ja, und? Ich sah ihn doch nie wieder, was hatte ich bei Hamm schon noch zu suchen! Es sei denn, natürlich, ich kriegte einen Job bei einer Gebäudepflegefirma und wurde hier zum Putzen eingeteilt.

      Grausiger Gedanke – hier oder bei MediAdvert putzen zu müssen!

      „Ich sehe was, was Sie nicht sehen, und das ist rot“, fing er da wieder an.

      Rot? Hier war doch nichts rot? Alles schwarz, grau und weiß...

      „Die Notruftaste“, schlug ich vor. „Nein.“

      „Wenn Sie ihre Krawatte meinen, die ist rosa. Aber kein Statement, oder?“

      „Was soll das – he! Glauben Sie, ich bin schwul?“

      „Eben nicht. Dann hätten Sie sicher bessere Manieren. Also, die Krawatte ist nicht rot... sonst gibt´s hier nichts.“

      „Doch.“

      „Ihre versaute Jackentasche.“

      „Nein.“ Zorniger Blick. „Ich geb´s auf.“

      „Ihre Nasenspitze. Jetzt hat sich die Schminke endgültig aufgelöst.“

      „Die hat sich spätestens heute Mittag schon verabschiedet. Na und? Hier sieht mich doch keiner.“ Sehr gut – er schaute verkniffen drein. Und jetzt brauchte ich noch einen Hammer, um es ihm so richtig heimzuzahlen!

      Ich sah mich suchend um. Kriegte er nicht vielleicht einen Pickel mit gelbem Köpfchen? Nein, leider, eine makellose Haut. Die gönnte ich ihm auch nicht.

      Hm...

      Da! Seine schauerliche rosa Krawatte hatte sich verdreht, und das Etikett war grün und gold. „Okay... ich sehe was, was Sie nicht sehen, und das ist grün.“

      „Grün? Hier ist absolut nichts grün!“

      „Meinen Sie?“

      Er sah sich suchend um und studierte geradezu beleidigend genau mein Äußeres. „Nein, kein Schlamm am Schuh... Richtig schlecht scheint Ihnen auch noch nicht zu sein – der Tür auf – Knopf?“

      „Nein, den meine ich nicht.“

      Er überlegte fleißig weiter, aber in diesem Moment klopfte es an die Lifttür – ganz oben, merkwürdigerweise. „Hallo?“

      „Ja!“, brüllten wir im Chor. „Wir wollen hier raus, uns ist langweilig!“, fügte ich hinzu.

      „Langweilig?“, fragte dieser Schnösel sofort nach. „ich amüsiere mich königlich. Nur kleine Geister langweilen sich.“

      „Wenn ich hier endlich wegkann, bin ich gerne ein kleiner Geist“, fauchte ich.

      „Hallo? Ich hab den Notdienst verständigt!“ Es klang etwas dumpf durch die Tür. „Der Lift hängt leider zwischen zwei Etagen fest. Es dauert aber nicht mehr lange!“

      „Das hat ein Nachspiel“, rief mein Leidensgefährte, „wir drücken seit acht Uhr auf den Knopf!“

      „Ehrlich? Dann muss das Licht im Hausmeisterbüro kaputt sein. Tut mir leid.“ Ich grinste. Gegen einen selbstbewussten Hausmeister war kein Kraut gewachsen, das kannte ich aus der Rheinbergerstraße – der Krawetzki machte auch, was er wollte, und die lautesten Arbeiten vorzugsweise am Sonntagmorgen, weil er Langschläfer hasste. Beschwerden perlten an ihm ab, als sei er imprägniert. Der hier schien ein Bruder im Geiste zu sein, jedenfalls klang er kein bisschen zerknirscht. Der Lift fuhr an, ruckte, knirschte und blieb wieder stehen. Das gefiel mir nun weniger, und ihm anscheinend auch nicht.

      „Kennen Sie diesen Film, wo die Liftseile nacheinander reißen?“, fragte er.

      „Sie sehen ein bisschen blass aus“, stellte ich fest. „Ja, den kenne ich. Da hat doch wieder ein korrupter Ingenieur statt der richtigen Stahlseile irgendwas Billiges genommen, oder? Oder war das Flammendes Inferno?“

      „Eiskalt“, sagte er, und mir schien, als klänge etwas widerwillige Bewunderung in seiner Stimme mit.

      „Soll ich hier hysterisch rumkreischen?“

      „Muss nicht sein, so scharf bin ich auch nicht darauf, Ihnen eine zu scheuern.“

      „Das würden Sie nicht wagen!“ Dieser Mistkerl!

      „Das macht man doch so bei hysterischen Anfällen, oder? Ich müsste mich natürlich sehr überwinden, aber im Dienste der allgemeinen Ruhe und Ordnung könnte ich mich opfern...“

      „Blutenden Herzens, was?“ Ich musste grinsen. Er grinste zurück. „Klar, was sonst?“

      Das Grinsen wurde uns schnell vom Gesicht gewischt, denn der Lift ruckte wieder. „Hoppla“, meinte ich und hoffte, dass man meiner Stimme nicht anmerkte, wie wenig mir das gefiel. Wieder trat Stille ein, abgesehen von – verdächtigen? erfreulichen? – Geräuschen, die gedämpft durch die Lifttüren drangen. Mehrere Stimmen?

      „Mir scheint, der Notdienst ist da“, stellte mein spezieller Freund fest und sah mich abwartend an. „Endlich raus hier“, seufzte ich exstatisch, dabei war ich eigentlich nur noch müde. Und hungrig. Außerdem hatte ich Kopfweh und musste langsam mehr als nötig aufs Klo. Fast halb zwölf...

      Ich rappelte mich mühsam wieder auf die Beine, arrangierte den Rock so, dass man wenigstens die obere Laufmasche nicht mehr sah, und schlüpfte in den Regenmantel, der mir in dem Schneesturm, der draußen garantiert tobte, auch nicht viel nützen würde. In der anderen Ecke wurde der bescheuerte Pilotenkoffer zugeklappt, die Schlösser schnappten zackig ein. Der Lift ruckte wieder, aber dieses Mal fuhr er – etwa einen Meter, dann öffneten sich die Türen und wir blickten auf das Innenleben einer Zwischendecke.

       5: Dienstag, 11. Februar 2003

      Immerhin konnte man darunter durch krabbeln, wenn man sich vorsichtig abseilte. Ich ließ meine Tasche hinunter, wo der Hausmeister sie freundlich grinsend in Empfang nahm und dann abwartend nach oben schaute. Wollte mir der Sack beim Klettern unter den Rock schielen?

      Ich setzte mich und wand mich dann seitlich zur Tür hinaus. Ich fiel bloß etwa einen Meter und war schnell wieder auf den Beinen, jedenfalls schnell genug, um zu sehen, dass der Schnösel auch nicht gerade in rhythmischer Sportgymnastik glänzte, sondern eher unsanft und vor allem unelegant aufkam.

      „Hätten Sie das Ding nicht noch ein bisschen tiefer fahren können?“

      „Überhaupt“, assistierte ich, „wenn das Ding bloß abgestellt war, hätte es doch genügt, den Strom wieder einzuschalten und uns anständig ins Erdgeschoss zu fahren? Wo sind wir hier? Im vierten Stock?“

      „Im dritten. Ja, schon, aber irgendwas ist beim Abstellen heute Abend schief gelaufen. Ich hab´s ja versucht, ihn normal fahren zu lassen – nix!“

      Der Hausmeister versuchte, intelligent dreinzuschauen, aber sehr überzeugend wirkte das nicht. „Kommen Sie, schauen wir, dass wir hier rauskommen.“

      „Ja“, stimmte ich zu, „ich hab von dieser Firma echt die Schnauze voll. Nichts wie weg hier!“

      „Die Firma kann doch nichts dafür!“

      „Na, wer solche Hausmeister anstellt...“ Ich wusste selbst, dass das Blödsinn war, aber um kurz vor Mitternacht reichte es nicht mehr für etwas Geistvolleres. Vor der Tür blieb ich stehen. Herrlich, die frische Luft – auch wenn es tatsächlich schon wieder schneite. Überflüssig, fand ich. „Ich fahr Sie schnell heim“, bot er an.

      „Was? Nein, danke, nicht notwendig“, wehrte ich sofort ab.

      „Zicken Sie nicht rum, jetzt fährt doch kein Bus mehr, es ist fünf