Fehlstart. Elisa Scheer

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Название Fehlstart
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737560665



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zur Agentur. „Kommst du mit zu Suhrbier?“

      „Nein, ich hab gleich eine Besprechung wegen dieser Erkältungsbäder... das schaffst du schon. Da muss jeder mal durch. Kopf hoch!“

      Toll – und jetzt alleine zu einem bestimmt tobenden Chef! Elf Uhr... bis zur Mittagspause hatte er mich bestimmt auf Millimetergröße zusammengefaltet. Und den Schaden würde er mir vom Gehalt abziehen...

       2: Dienstag, 11. Februar 2003

      Und wie Suhrbier tobte!

      Ich saß auf dem Armesünderstühlchen, während er auf und ab marschierte.

      „Das darf doch nicht wahr sein! Wochenlange Arbeit, und das einzige, was Sie zustande bringen, ist ein Schaden von ein paar tausend Euro! Was stellen Sie sich eigentlich unter einer Präsentation vor? Das, was Sie da geboten haben? Was haben Sie gleich wieder zerstört?“

      „Den Laptop und den Beamer“, flüsterte ich. „Es war ein Unfall. Oder besser ein Versehen...“

      „Na, toll! Da bin ich ja heilfroh, dass Sie es nicht mit Absicht gemacht haben, dass Sie nicht einen Kick kriegen, wenn Sie anderer Leute Geräte einfach so vom Tisch fegen... Sind Sie eigentlich übergeschnappt?“

      Er marschierte wieder auf und ab; das kragenlose Hemd hing ihm aus der Hose und flatterte hinter ihm her, und die etwas schütteren blonden Haare, die er sich sehr ausdrucksstark gerauft hatte, standen ihm zu Berge.

      „Und was haben die gesagt? Nicht so überzeugend? So eine deutliche Ablehnung ist mir noch nie untergekommen. Das ist eine Schmach und eine Schande für unsere Agentur, und das ist ganz alleine Ihre Schuld.“

      „Ich wusste doch gar nicht, wie man so was professionell macht“, flüsterte ich.

      „Dann hätten Sie es eben Tom überlassen sollen! Drängen Sie sich doch nicht so vor, wenn Sie keinen blassen Schimmer haben, wie man eine Präsentation vorführt!“

      Er hat mich doch gezwungen, dachte ich unglücklich. Ich hab mich wirklich nicht darum gerissen, diese schwache Vorstellung zu bieten. Sollte ich das sagen? Oder wäre das gepetzt? Nein, ich wollte Tom nicht mit reinziehen. Er hatte doch auch nicht ahnen können, dass ich mich so dumm anstellen würde. Eingreifen hätte er allerdings schon können, aber vielleicht dachte er, das wäre zu peinlich für mich? „Es tut mir Leid“, flüsterte ich; mehr fiel mir jetzt auch nicht mehr ein.

      Suhrbier marschierte weiter auf und ab; dann drehte er sich abrupt zu mir um. „Und wie soll das jetzt weitergehen? Was schlagen Sie vor?“

      „Bei den nächsten Präsentationen schaue ich erstmal nur zu, bis ich weiß, wie es geht. Und wegen der Geräte frage ich meine Versicherung“, schlug ich vor.

      „Das ist alles? Sie glauben, damit ist es gut? Laptop und Beamer – das sind zusammen gut fünftausend Euro, mehr als zwei Monatsgehälter – und darauf sollen wir monatelang warten? Nein, nein, Mädchen – so nicht. Und die nächsten Präsentationen – ja, glauben Sie, ich lasse Sie noch mal auf Kunden los? Wahrscheinlich schmeißen Sie auch alles um, wenn jemand Intelligentes die Präsentation macht. Kommt ja gar nicht in Frage! Wie lange arbeiten Sie jetzt bei uns?“

      „Fünf Wochen“, murmelte ich und betrachtete meine verschieden hohen Schuhe. „Haben Sie schon Gehalt gekriegt?“

      „Nein... das scheint sich verzögert zu haben.“

      „Sehr gut. Rechnen Sie nicht mehr damit. Sie sind raus! Fünf Wochen – das dürften dreitausend sein, dann bekommen wir noch zweitausend von Ihnen, noch in dieser Woche, und bar, haben Sie das wenigstens verstanden?“

      Wieso bar? „Soll ich die fünftausend nicht lieber an die Hamm KG überweisen? Immerhin waren es deren Geräte“, schlug ich schüchtern vor.

      „Widersprechen Sie mir nicht. Sie können heute noch der Friedrichs im Archiv helfen, und dann packen Sie Ihre Sachen, klar? Wenn ich Sie nach heute noch einmal hier sehe – oder auch nur in der Nähe des Büros, dann wandern Sie wegen Hausfriedensbruchs ins Kittchen, Sie beschränkte Kuh, Sie! Und jetzt schaffen Sie mir Ihren Anblick aus den Augen!“

      Die letzten Worte brüllte er heraus. Ich verließ Suhrbiers Büro. Grobe Worte, aber er hatte ja Recht, ich war wirklich zu doof. Ich hatte eine dermaßen peinliche Show geboten... In unserem Büro war gerade niemand, umso besser. Schnell fegte ich meine wenigen persönlichen Gegenstände in meine Tasche, räumte den übrigen Kram in die Schreibtischschubladen, bis die Tischplatte total leer war, und trottete dann ins Archiv.

      Die Friedrichs war ziemlich fassförmig und watschelte geruhsam zwischen den Regalen herum, in denen alte Projekte, Presseartikel über uns und Dekomaterial ruhten. Sie lächelte. „Strafarbeit? Wie lange?“

      „Bloß heute, dann bin ich gefeuert“, erläuterte ich kleinlaut.

      „Was haben Sie denn angestellt, Kindchen? Wollen Sie einen Kaffee?“

      „Nein, danke.“ Mir war jetzt nach Selbstbestrafung. „Ich hab eine Präsentation vermasselt.“

      „Und dann fliegen Sie gleich?“

      „Ich war noch in der Probezeit. Und ich hab Geräte des Kunden ruiniert.“

      „Na und? Die sind doch alle versichert!“

      „Aber Suhrbier will, dass ich sie selbst bezahle.“

      „Suhrbier ist eine linke Ratte. Der bescheißt Sie, passen Sie nur auf!“

      „Das ist mir jetzt auch schon egal. Was soll ich hier machen?“

      Sie wuchtete einen Stapel alte Zeitungen auf den Tisch. „Schauen Sie die mal durch, und wenn was über uns drinsteht, dann kopieren Sie es und legen es mir auf den Tisch. Den Rest schmeißen Sie weg.“

      Ja, das schaffte ich wohl gerade noch. Vielleicht sollte ich mir lieber so einen Job suchen? Der überforderte mich wenigstens intellektuell nicht. Ein Magister in Medienwissenschaften und zu doof, einen Beamer richtig herunterzufahren! Oder Turnschuhe anzuziehen, in denen man nicht wegknickte. Oder vorher jemanden um Rat zu fragen, der sich damit auskannte. Oder Tom zu zwingen, die Show selbst zu machen – oder mir wenigstens zu helfen. Aber Tom hatte mir doch bloß eine Chance geben wollen!

      Ich las und kopierte den Rest des Tages deprimiert vor mich hin, verweigerte alle Trostangebote von Frau Friedrichs, aß nichts und tat mir Leid. Ich musste mir schleunigst einen neuen Job suchen! Und meinen Eltern beichten, dass ich gefeuert worden war, sonst konnte ich sie nicht anpumpen. Die würden bestimmt wieder zetern! Sie zeterten immer. Sie hatten über meinen Abischnitt gemeckert, über mein Studienfach, darüber, dass ich noch nicht verheiratet war, über mein klappriges Auto, über meine Adresse, über den Job in der Werbung (sie fanden Werbung überflüssig), über meine Haare („Lange Haare, kurzer Verstand“) – kurz, über alles, und am meisten darüber, dass ich doch glatt zwölf Semester bis zum Magister gebraucht hatte.

      Wenn ich wenigstens Geschwister gehabt hätte, dann hätte sich die Meckerei besser verteilt, und wir hätten uns halb verständnissinnig, halb genervt zublinzeln können – aber so? Ich war das einzige Kind in der ganzen Verwandtschaft, und alle wussten genau, was aus mir mal werden sollte. Nur Oma war ab und zu gut drauf, aber Geld hatte sie auch keins, bei ihrer kleinen Rente.

      Ich kopierte weiter und schleppte dazwischen durchgesehene Zeitungen zur Altpapiertonne, schwitzend und mein einziges Kostüm dabei ruinierend. Ach, wozu brauchte ich es denn noch? Bei MacDonald´s würden sie mir sicher so eine scheußliche Uniform mit gestreiften Bermudas stellen, und einen besseren Job bekam ich doch eh nicht mehr.

      Frau Friedrichs legte mir am Nachmittag einen mit Smarties besetzten Krapfen hin, und das rührte mich dann doch.

      Und auf den Puderzucker auf meiner Kostümjacke kam es jetzt auch nicht mehr an. Am späteren Nachmittag kam trudelte eine Mitteilung der Personalabteilung an, ich möchte doch, bevor ich das Haus verließe, meinen Firmenausweis, die Garagenkarte und meine Schreibtischschlüssel abliefern.