Die Gabe des Erben der Zeit. Georg Steinweh

Читать онлайн.
Название Die Gabe des Erben der Zeit
Автор произведения Georg Steinweh
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847693000



Скачать книгу

schaute sie an, wie nur er es konnte. Kein ausbüchsen möglich. Und antwortete mit einem geheimnisvollen Unterton:

      „Wer weiß?“

      Mara haderte. Das Bier schäumte. Zu groß war der Druck, den sie ins Glas leitete. Langsam setzte sich der Schaum. Wenn sie jemand heut früh gefragt hätte, ob sie sich aus dem Stand an ihren untreuen Fred erinnern könnte, ins Gesicht hätte sie dem gelacht und den Vogel gezeigt. Nun stand sie da und wunderte sich über sich selbst. Als ob über all die Jahre ein Bodensatz Fred in ihr erhalten geblieben war, auf dem sie ihr Leben aufbaute. Dabei war es definitiv nicht so. Was sollte sie tun? Sollte sie sich zu erkennen geben, möglicherweise erinnerte er sich ja von selbst, wenn er sein Essen bestellte? Auf dem Weg nach draußen fiel ihr eine dritte Möglichkeit ein.

      „Der Wurstsalat auf Ihrer Karte, machen Sie den selbst?“ Fred wollte auf Teufel komm raus ein Gespräch anzetteln, mehr als nur seine Bestellung abgeben, mehr als zehn Sekunden dieser Frau ergattern.

      „Der ist nicht nur frisch, den macht meine – äh - den macht die Chefin höchstpersönlich.“ Freundlich wie immer, aber unsicher wie selten, was Fred nicht beurteilen konnte, antwortete sie. Mara konnte mit Gästen umgehen, die öfters aufdringlich auf sie einredeten, wenn mehrere Seidel Bier in den durstigen Kehlen verschwunden waren.

      „Dann nehme ich eine große Portion. Aber nur, wenn ich Bratkartoffeln dazu bekomme.“ Wenn Fred jetzt neben sich sitzen könnte. Würde sich wundern, über diesen Ton, der hinter dieser Forderung steckte. Ein Ton, den er normalerweise nur anschlug, wenn das Gegenüber nicht mehr zu fremd war – oder er mehr wollte.

      ‚Er hat keine Ahnung’, dachte Mara und bevor sie antworten konnte, plapperte Fred weiter.

      „Und wenn ich fragen darf, ist auf diesem wunderschönen Fleckchen Erde immer so wenig los?“ Fred verwies mit großer Geste auf diese, seine Oase, stoppte seine Hand direkt vor Mara und beendete die ausladende Bewegung in der Form eines Regenbogens.

      „Sie sind zu früh.“ Längere Sätze wollten aus Maras Mund nicht raus. Sie schluckte runter, daß er eigentlich zu spät dran war, viel zu spät. ‚Und auf dein anbaggerndes Gesülze steh ich auch nicht mehr’, dachte sie schnippisch, aber auch: ‚was Du kannst, kann ich schon lange’.

      „Möchten Sie die Bratkartoffeln mit oder ohne Speck?“

      „Am liebsten mit allem.“ Fred bot einen ganz und gar wertfreien Blick dazu, damit die Empfängerin nicht gleich auf die Idee kam, dem unverschämten Gast mit einer Ohrfeige zu antworten.

      Sollte er sein Spielchen haben. „Das dauert aber ein Weilchen.“

      „Macht nix. Ich hab Zeit.“ Zum Beweis, den er niemandem schuldig war, streckte er seine Beine noch weiter unter den Tisch und lehnte sich demonstrativ an die Wärme abstrahlende Hauswand. Ja, man könnte sagen, er genoss die Situation.

      „Was schwätzt denn so lang mit dem Kerl da drauß´n, der so tut, als möcht er aus der Gegend sei?“Hedwigs bissige Worte begleiteten Mara auf dem Weg zum Tresen, wo sie außer dem Essenswunsch des Gastes nichts zurücklassen wollte.

      „Ach nix weiter. Ich dacht, es hätt ein früherer Klassenkamerad sein können.“ Sie legte den kleinen Bestellzettel auf eine trockene Stelle vom Tresen und fuhr sich so beiläufig wie möglich durchs volle Haar. „Aber ich hab mich getäuscht.“ Das „schon wieder“ behielt sie lieber für sich.

      Fred brauste durch die Dunkelheit. Er war wütend. An den Bratkartoffeln lag es nicht, da hätte er sich reinlegen können, so aromatisch war die Balance zwischen Kümmel, einem Hauch Majoran und dem frischen, nicht hart gerösteten Speck. Und erst der Wurstsalat. Zum Teufel! Er kam nicht drauf, welchen milden, fruchtigen Essig Maras Chefin benutzte, der so eine dominante, aber leichte Säure hatte. Da war bestimmt kein Gramm Zucker nötig, um ausgewogen und bekömmlich zu schmecken. Das Öl schien vorgewärmt, gab einen zarten Glanz auf die Schwarzwurst und zog nussig in seine Nase. Raffiniert. Hätte er dieser Gegend doch eher ranziges Öl und dreimal aufgewärmte Bratkartoffeln zugetraut.

      Glücklicherweise verschlug es ihm nicht den Appetit, sondern nur die Sprache, als Mara mit den schlichten, aber nett angerichteten Porzellanschüsseln auf die Terrasse kam, ihm zuvorkommend auftrug und ihn so ganz nebenbei, als wäre es die normalste Angelegenheit der Welt, fragte: „Fährst eigentlich noch Motorrad, Fred?“

      Fred kurvte mit quietschenden Reifen um einen ländlichen Kreisverkehr. Weg war die gemütliche Landpartie vom Nachmittag. Die gleiche Strecke, eine andere Stimmung, eine neue Zeit. Wenn er ehrlich war, hatte er sich kurz gefragt, ob diese unglaublich nette Bedienung Mara sein konnte. Schon bevor sie sich zu erkennen gab. Wenn er noch ehrlicher war, wollte er es gar nicht wissen. Sonst hätte er sie ja nicht vergessen gehabt...

      Seine Mara. Es waren zu viele, um sich bei jeder daran erinnern zu können, warum es auseinander ging. Wenn er überhaupt je mit einer richtig zusammen war. Trotzdem erinnerte er sich. Sie war eine Ausnahmeerscheinung, zugegeben, eine schwarzlockige Schönheit mit südländischem Einschlag. Völlig fehl am Platze, hier auf der langweiligen Höri. Nur ihr völlig schüchternes Wesen wollte damals nicht dazu passen. Hatte sie mittlerweile komplett abgelegt. Überfahren hatte sie ihn. Nicht schlecht.

      „Darf ich dir Gesellschaft leisten?“ Mara setzte sich einfach.

      Fred aß und lobte, Mara erzählte und fragte. Er antwortete und staunte, sie nickte, schaute durchs Fenster. „Deine Chefin beobachtet uns“, entging auch ihm nicht.

      „Meine Schwiegermutter“, sagte sie lakonisch. Die machte keinen Hehl daraus, noch während sie die Gäste in der Stube bediente, mit kalter Miene Fred zu mustern.

       Wenn Blicke töten könnten.

      Mara wollte reden. Sie brauchte jemanden, dem sie, frei von der Leber weg, erzählen konnte. Aber keine großen Geheimnisse. Nicht Fred. Dem nicht. Noch nicht. Jemals wieder? Aber nur ihr Leben. Was hieß schon nur? Die schöne Mara war mit den Jahren ein wenig füllig geworden, resolut und zupackend. Das stand ihr gut. Fand Fred.

      Er hatte noch nicht die Hälfte seines Abendessens verdrückt, da wusste er schon viel: Mara hatte eine fast zwölfjährige Tochter, die noch mindestens zwei Wochen eine Brille mit einem blinden Glas tragen musste. Eine harmlose Augenentzündung. Dann gab es noch eine Schwiegermutter, mit der bewirtschaftete sie das Gasthaus. Mit wochenendlichen Küchenhilfen. Mara hatte eingeheiratet, eine Liebesheirat in einen florierenden Fischereibetrieb mit Räucherei und Gastwirtschaft. Zwei Brüder gab es, Zwillinge, aber nur eine Mara. Schwager Gabriel war vor zehn Jahren in den See gefallen, morgens um halb fünf, beim Netze hochziehen, und nicht mehr aufgetaucht. Fred erinnerte sich an das Unglück seiner Mutter. Er schluckte. War aber weit weg von der Stimmung, das anklingen zu lassen. Und Mara tat es auch nicht.

      Vier Tage hatte es gedauert, bis sie Gabriel gefunden hatten. War kein schöner Anblick. Große Trauer und noch größere Last hatte dieses Leid in die Familie getragen. Die Arbeit, bisher auf fünf Menschen verteilt, blieb jetzt an vieren hängen. Und Mara hatte noch Lisa zu versorgen, ein kleines, süßes Mädchen. Richtig glücklich war Mara mit ihrem Johannes nur in den wenigen Stunden, die sie für sich allein hatten. Lisa wurde vom Großvater vergöttert, die Großmutter verhärmte zusehends. „Mir brauchet koin!“ Alle zwei Tage betete Hedwig Sieder diesen Satz ungefragt an die Familie.

      „Vor drei Jahren war mein Schwiegervater mit den Kräften am Ende. Wir fanden ihn neben der Räucherei. Die besten Felchen weit und breit. Aus. Und vorbei.“ Fred blieb der Bissen im Hals stecken, so unbeteiligt erzählte Mara über den Tod des alten Sieder. Sie ließ es nicht zu, Fred sollte keine Fragen stellen, erzählte weiter, jeden Moment konnte die Schwiegermutter auf die Terrasse kommen und sie mit einer fadenscheinigen Begründung nach innen zerren, weg von Fred. „Da waren´s nur noch drei!“

      Mara nippte an ihrem Apfelschorle, das sie vorsorglich mitgebracht hatte, nebst einem zweiten, unbestellten Radler für Fred, damit sie nicht zu schnell wieder aufstehen musste. „Aber auch nicht lange. Ein gutes Jahr später, es war eher