Die Gabe des Erben der Zeit. Georg Steinweh

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Название Die Gabe des Erben der Zeit
Автор произведения Georg Steinweh
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847693000



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Bahnen, sein Ärger verlor, verwirbelte sich in den Heckwellen.

      Wie wohl das Wasser tat, wurde Fred erst nach vielen Tagen bewusst. In der Zwischenzeit ließ sich der See nicht beirren und arbeitete mit der ihm eigenen Wechselhaftigkeit weiterhin an Freds Wohlbefinden. Aufgewühlt, unstet, mindestens verärgert - so wäre Freds Verfassung zu beschreiben. Er musste sich regelrecht zwingen, zu entspannen. Zwei, drei Stunden in einem Schweizer Ufercafé zu sitzen, die eine „ZEIT“ lesen und die andere dabei verstreichen lassen war nicht gerade das, womit er sich meist beschäftigte.

      Konrad Keller muss sich mit Einstein beschäftigt haben. Fred Keller blieb nicht nur das völlig verborgen. Schließlich hatten sie 18 Jahre Zeit, sich ihr Leben vorzuenthalten. Zumindest das war ihnen gleichermaßen gut gelungen.

      An zwei Buchrücken erinnerte sich Fred, auf denen der Name Einstein auftauchte. Aber wo, fiel ihm nicht ein. Wie wenig er doch wusste. Wie wenig er wissen wollte von seinem Vater.

       Absurd: ein Bodenseefischer beschäftigt sich mit Einstein... hätte sich besser um seine Zucht gekümmert. Was ihn da wieder geritten hatte?

      Genug jetzt.

      Fred drosselte den Motor, langsam neigte sich die Bootsspitze dem Wasser entgegen. Mehr verborgen als gut einsehbar schienen Fassaden zwischen der wild wuchernden Uferbepflanzung durch. Einige bescheidene Holzhäuser, gut und gerne mehr als hundertfünfzig Jahre alt, daneben ein futuristischer Betonkeil, getrieben in die wehrlose Natur. Weiter östlich ein Glasufo, weit über den See ragend. Alles gleichermaßen versteckt, kokett verborgener Reichtum hinter kupferbedampftem Glas.

       Schlimm genug, daß die Bebauungsrichtlinien offensichtlich ähnlich unterspült werden wie die Uferbefestigungen vom Wellenschlag. Muss man unbedingt jede Geschmacklosigkeit, die sich bezahlen lässt, genehmigen?

      Fred war nicht neidisch auf die Protzerei geschmacksresistenter Geldaristokraten. Das war ihm fremd. Zumindest mit diesem allzu menschlichen Attribut musste er sich nicht auch noch rumschlagen. Er hatte eine äußerst liberale Haltung zu Geld und Statussymbolen. Wenn sich jemand etwas erwirtschaftet hatte, sollte er es auch zeigen dürfen, ohne Rechenschaft ablegen zu müssen. Nur schön sollte der Erwerb schon sein.

      So wie seiner.

      Fred fabulierte vor sich hin. „Diskretes Anwesen. In exponierter Ortsrandlage, seit Generationen in Familienbesitz, direkt am See und mit natürlichem Schilfbestand“. So oder ähnlich könnte der gefällige Verkaufstext eines Maklers klingen, der sich auf Seegrundstücke spezialisiert hatte.

       Würde mich schon mal interessieren, in welche Höhen die Gebote für meine Burg steigen könnte.

      Verkaufen.

      Falkenstein schien nicht abgeneigt, diesbezüglich tätig zu werden.

      „Ihr Vater ist tot, das Leben geht weiter. Erlauben Sie mir, Ihnen meine Dienste anzubieten, egal, in welche Richtungen Ihre Gedanken über die Erbschaft gedeihen werden. Zeit heilt alle Wunden. Sagt man das nicht so schön?“

       Verkaufen wäre womöglich das heilsamste Pflaster.

      Sein Bauch verbot ihm, Falkenstein mit Verkauf oder Verpachtung zu betrauen. Der Mann war ihm nicht geheuer. Sicher äußerst professionell und geschickt, aber vielleicht zu geschickt. Er traute ihm nicht. Nach der Testamentseröffnung erkundigte sich Fred nach Verkaufschancen. Befürchtete mögliche Sperrfristen, Verkaufsauflagen, Stiftungsprioritäten.

      Nichts von alledem. Einmal mehr verstand er seinen Vater nicht.

       Könnte sich doch denken, daß mir Haus und Hof nichts bedeuten.

      Und so schrie Fred den vom nahen Ufer anfliegenden Möwen die eine Frage entgegen, die ihn hier draußen umtrieb:

      „Warum hast Du mich nicht einfach enterbt?“

       Sonntagnachmittag

      

      Lang hielt die beruhigende Wirkung der Bootsausflüge nicht an. Vom Außenborder trieb es Fred direkt ans Steuer des Cabrios, der milde Spätnachmittag wollte genutzt werden. Fred schaute zum Himmel, keine stabile Wetterlage. War das zu all seinen negativen Erlebnissen eine der wenigen positiven Erfahrungen, die Veränderungen des Bodenseewetters erkennen zu können? Ein Hoffnungsschimmer, trotzdem eine Fehleinschätzung.

      Fahren, bewegen, nur kein Stillstand. Wie ein Magnet besaß dieses Haus zwei Pole. Obwohl Fred sich redlich bemühte, selbst Hand anlegte und der Gaststube mehr und mehr die erinnerungsträchtige Patina unter dem ganzen Dreck freilegte, spürte er meist nur den abstoßenden Pol.

      Alles war besser als im Haus zu sitzen. Also fuhr er ziellos durch die Gegend. Und wieder war es nach wenigen Minuten soweit: die Landschaft berührte ihn. Jede noch so kurze, durch die Jahre verwilderte Allee mitten in den Feldwegen hatte einen Zweck, jede Obstbaumwiese fing den Blick auf dem Weg zum See. Vorbei ging es an weit im Feld liegenden Höfen, die nur durch einen überdimensionierten Briefkasten an der Wegmündung ein bescheidenes Zeichen setzten. Wenige hundert Meter später eine scheinbar willkürlich aus der Natur geschabte Parkbucht, eine Bushaltestelle für stets müde Pendlerkinder. Zeugen dünner Besiedlung.

      Es trieb ihn weiter. Die Landschaft war zu schön. Wohltuend langgezogen schmiegten sich die Kurven an die sanften Hügel, die in der Nähe für Abwechslung sorgten, aber doch so bescheiden waren, die Versprechungen der Ferne nicht zu verdecken. Rechts lag der See.

      Irgendwie kam ihm das bekannt vor.

       Hier war ich schon mal. Unglaublich, wie der See nach jeder Kurve seinen Glanz ändert. Mal matt und bescheiden. Mal gleißender Diamant, dem die Fassung zu eng wird.

      Und rechts oben der Gasthof Fernblick.

      „Wusst ich’s doch! Aber danach ist mir heut nun wirklich nicht.“

      Freds Hang zu Selbstgesprächen war ihm selbst nicht ganz geheuer. Es gab Momente, da kommentierte er jeden Schritt, jeden Handgriff, als wollte er einem Blinden die Welt erklären. Sich auf die Art allein nicht einsam zu fühlen, würde der Wahrheit näher kommen.

      Auf keinen Fall wollte er da einkehren, nicht auf Mara treffen, nicht schon wieder an früher erinnert werden. Unschlüssig fuhr er weiter, der See versank langsam in sich selbst, verwischte seine Konturen im vollkommenen Einverständnis mit seiner Einfriedung. Im nächsten Kreisverkehr blieb Fred zwei Runden, drehte das Rad zurück.

      Und hatte es sich wieder anders überlegt...

      Er fühlte sich auf neutralem Gebiet, Maras Fernblick. Der richtige Ort, um bei Sauerbraten mit Ruländer die letzten Argumente für oder gegen seine Hausentscheidung zu sammeln.

      Mara bemerkte seine Notizen, doch ihr Blick war zu kurz, um etwas zu erkennen. ‚Sicher eine Nachricht’, dachte sie und ‚bei dem Betrieb heut kann ich mich nicht mal für fünf Minuten zu ihm setzen.

      Fred saß draußen und suchte derweil seine Argumente im untrennbaren Dunkel zwischen Birken und Horizont.

       Was ist der Unterschied zwischen einem Lokal und dieser Wirtschaft? Bei einem Lokal wären die Bäume beleuchtet.

      Er schmunzelte über seine alberne Ablenkungstaktik und kümmerte sich wieder um seine Spalten. Tatsächlich. Auf der FÜR-Hälfte standen mehr Argumente. Ein drittes Glas schaffte er nicht mehr, denn hier wurden noch richtige Viertele ausgeschenkt.

       Auch anders wie in einem Lokal...

      Er zahlte bei der flotten Kellnerin, winkte Mara, die gerade an der Theke zapfte, verlegen zu und steckte seinen Zettel in die Brusttasche.

      Mara vergaß das Bier in der Hand.

       Montagfrüh