Der Gesang des Satyrn. Birgit Fiolka

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Название Der Gesang des Satyrn
Автор произведения Birgit Fiolka
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783748591832



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„Ich möchte, dass Neaira mich begleitet. Wir stehen uns nah, seit wir Kinder waren.“

      Nur kurz meinte Neaira, dass Nikaretes Gesicht zu einer hässlichen Fratze wurde. Zu schnell gewann sie ihre Fassung zurück. Kurz schien sie zu überlegen, wagte aber nicht einem gut zahlenden Kunden wie Lysias seinen Wunsch abzuschlagen. Sie lächelte betont großmütig, als wäre ihr klar geworden, wie wunderbar Lysias Einfall im Grunde genommen war. Neaira hätte ihr zu gerne den Rest ihres Weines ist Gesicht geschleudert. „Wenn es denn dein Wunsch ist, edler Lysias, kann ich ihn dir nicht abschlagen. Ganz bestimmt wird den Mädchen die Schönheit Athens eine willkommene Abwechslung bieten.“

      Neaira versuchte zu begreifen, was gerade geschehen war, und sah ungläubig zu Metaneira, die ihr ein Auge kniff. Sie würde dieses Haus verlassen – und nicht nur für einen Tag! Sie würde für einen ganzen Mondumlauf nach Athen reisen! Den Rest des Abends hätte ihr selbst ein brutaler Mann wie Timanoridas nicht mehr verderben können.

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      Neaira und Metaneira fielen sich in die Arme, tanzten durch Neairas kleines Zimmer und stießen dabei Tiegel und Salbgefäße um. Neaira hatte es nicht erwarten können, mit der Freundin zu sprechen und die Nacht kaum ein Auge zugetan.

      „Ich war noch nie fort aus Korinth! Athen zu sehen und in die eleusinischen Mysterien eingeweiht zu werden ist mehr, als ich mir je vorzustellen gewagt habe. Und du kommst mit uns! Die Götter lächeln uns zu.“ Metaneira, sonst ruhig und gelassen, konnte sich kaum beruhigen. Auch Neaira konnte ihr Glück kaum fassen und fragte sich erstmals, ob Lysias tatsächlich in Metaneira verliebt war ... oder liebte er sie sogar? Warum sonst sollte ein Mann das alles für ein Mädchen tun, dessen Dienste er kaufen konnte? „Weshalb hat Lysias dich nicht längst von Nikarete freigekauft?“

      Metaneira wurde still. Die Ausgelassenheit des Tages war vergessen, und Neaira bereute beinahe, dass sie nicht einfach den Mund gehalten hatte. „Er hat es versucht, mehrere Male. Aber sie ist eine Natter und weiß genau, dass sie viel mehr Geld mit mir verdienen kann, wenn sie mich immer wieder an Lysias vermietet. Sie weiß, dass er mich liebt. Den Kaufpreis für mich hat sie so hoch angesetzt, dass selbst ein reicher Mann wie Lysias ihn nicht aufbringen kann.“

      Neaira erkannte die schwierige Lage, in der Metaneira sich befand, und nahm sie in den Arm. „Er wird einen Weg finden. Ich glaube, dass er ein guter Mann ist.“ Hatte wirklich sie das gesagt? Metaneiras Gesichtsausdruck erhellte sich, und sie umarmte Neaira erleichtert.

      „Immerhin werden wir fast einen ganzen Mondumlauf den Fuchteln Nikaretes und Idras entkommen und Vieles erleben, was selbst eine freie Frau in ihrem Leben nicht zu Gesicht bekommt. Lysias ist großzügig. Du wirst es sehen“, nahm Metaneira am nächsten Tag den Faden ihrer Unterhaltung wieder auf. Es war ein warmer Sommertag, an dem ein angenehm frischer Wind wehte. Sie waren gemeinsam zum Louterion gegangen und hatten sich gegenseitig die Haare gewaschen, viel gelacht und sich mit Wasser bespritzt. Jetzt saßen sie in luftigen Gewändern im Hof und ließen ihre Haare und die letzten Wassertropfen vom Wind trocknen. Neaira streckte ein schlankes braunes Bein in die Sonne und beobachtete die glitzernden Wassertropfen auf ihrer Haut, während Stratola mit mürrischem Gesicht an ihnen vorbei lief und sie mit leisen Flüchen bedachte. Die Reise nach Athen hatte sich bereits herumgesprochen und Neid unter den Mädchen hervorgerufen. Neaira streckte Stratola die Zunge heraus, was diese mit einem wenig freundlichen Handzeichen quittierte.

      „Wärest du auch gern nach Athen gereist, Stratola? Aber weiter als bis zum Hafen von Piräus zu den Straßenhuren wärest du ohnehin nicht gekommen!“

      Metaneira stieß Neaira in die Seite. „Ärgere sie doch nicht!“

      „Sie war immer gemein und hinterlistig. Glaubst du etwa, dass sie uns diese Reise gönnt?“ Neaira sah ihr nach, wie sie in ihrem groben Wollchiton in ihrem Zimmer verschwand. „Ich habe gehört, dass sie schwanger sein soll ... von irgendeinem Hafenarbeiter.“ Wenn das stimmte, würde Idras ihr bald eines ihrer Kräutergebräue mischen, um das Kind aus ihrem Leib zu treiben. Stratola war mittlerweile fast zu alt für Nikaretes Haus, doch zwei Jahresumläufe würde sie sicherlich den Männern noch genügen. Neaira verscheuchte Stratola aus ihren Gedanken. Dieser Tag war zu schön, als dass sie ihn sich von ihr verderben lassen würde.

      Als Nikarete sich vor ihnen aufbaute, verschwand die Sonne und damit die Wärme des Tages augenblicklich. Neaira und Metaneira blinzelten zu ihr hoch. Da Nikaretes Lippen noch nicht für den Abend geschminkt waren, wirkten sie schmal und blutleer. „Ich werde euch begleiten“, und mit einem Blick auf Neaira fügte sie hinzu: „Auch in Athen gibt es reiche Herren. Ich kann dafür sorgen, dass du mir die Kosten für diese Reise zurückzahlst!“

      Ohne ein weiteres Wort wandte sie sich ab und ging, während Neaira ihr mit düsteren Blicken hinterher sah. „Wie sehr ich sie hasse! Ich würde alles tun, um von ihr fortzukommen. Wir werden niemals frei von ihr sein!“

      Metaneira zog Neaira in ihre Arme, wie sie es früher getan hatte, als sie noch klein gewesen war. Die Geste der Freundin vertrieb Kälte und Zorn und brachte die Wärme des Sommertages wieder zurück.

      „Irgendwann werden wir zu alt für sie sein. Dann wird sie uns verkaufen. Wichtig ist nur, dass wir bis dahin einen Mann haben, der bereit ist uns von ihr freizukaufen.“ Sie bedachte Neaira mit einem ruhigen, jedoch entschlossenen Blick. „Wir müssen auch für dich einen Mann wie Lysias finden. Einen, der ein gutes Herz hat und sich in dich verliebt.“

      Mit Unwillen dachte Neaira an die Männer, auf deren Kline sie Abend für Abend lag. Keinem von ihnen hätte sie allein gehören mögen, vor allem nicht Timanoridas. Und sie bezweifelte auch, dass einer von ihnen in Liebe zu ihr entbrannt war. Sie war nicht Helena von Troja - soviel hatte sie das Leben in Nikaretes Haus gelehrt. „Kennst du eigentlich Phrynion?“

      Metaneira hob die Brauen und sah sie verwundert an. „Phrynion aus Athen?“

      Neaira nickte und hielt die Luft an. Wusste Metaneira etwas über ihn? Seit dem Tag ihrer Entjungferung hatte sie ihn nicht mehr gesehen, auf keinem von Nikaretes Festen. Obwohl sie nicht wusste warum, drängte es sie danach mehr über den geheimnisvollen Mann zu erfahren. Doch Metaneira schüttelte den Kopf. „Der ist nichts für dich, Neaira. Ein Mann wie Phrynion ist zu schön, um jemand anderen als sich selbst zu lieben.“

      Metaneiras Worte ärgerten sie, doch dann schob Neaira die schwermütigen Gedanken beiseite und beschloss, sich auf die Reise nach Athen zu freuen.

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      Nikarete ließ sich von Lysias in den überspannten Eselskarren helfen, mit dem er gekommen war, um die Mädchen abzuholen. Ein Kleiderbündel an ihre Brust drückend, bedachte sie Metaneira und Neaira mit mürrischen Blicken. Es war offensichtlich, dass Nikarete wenig Lust zu dieser Reise verspürte. Zwar war sie in einen üppig fallenden Peplos auffälliger Farbe gekleidet und ließ zusätzlich zwei vollgepackte Truhen mit Kleidern auf den Karren laden. Da sie jedoch geizig war, hatte sie darauf verzichtet eine Sklavin mitzunehmen, die sie und die Mädchen auf der Reise umsorgte. „Soll ich sie etwa einen ganzen Mondumlauf durchfüttern in Athen?“ hatte sie Lysias entsetzt geantwortet, als er Nikarete gefragt hatte, ob sie ohne Dienerschaft reisen würde.

      Ihr Gesichtsausdruck war entsprechend missmutig als Lysias das Zeichen zum Aufbruch gab. Eine kleine Eskorte von berittenen Männern begleitete sie, da die Fahrt nach Athen einige Tage dauern würde. Als der Wagen sich in Bewegung setzte, wurden Neaira und Metaneira immer aufgeregter und vergaßen sogar die missmutige Harpyie, die neben ihnen im Wagen saß. Mittlerweile nannten sie Nikarete nur noch bei diesem Namen, wenn sie alleine und unbeobachtet waren. Metaneira hatte ihre Freundin sogar lachend zu dieser treffenden Namenswahl beglückwünscht. Da sie wussten, dass sie auf der Reise unter Lysias Schutz standen, beachteten sie Nikarete kaum. Immer wieder spähten sie aus dem Wagen und bestaunten das große Theater mit seiner halbrunden Tribüne, kicherten über einen Esel, der seinen Reiter abwarf, und empfanden fast jede Kleinigkeit, die sie sahen, als bemerkenswert. Als sie die Stadtmauern von Korinth hinter sich gelassen hatten,