Der Gesang des Satyrn. Birgit Fiolka

Читать онлайн.
Название Der Gesang des Satyrn
Автор произведения Birgit Fiolka
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783748591832



Скачать книгу

wusste dass jeder Abend auf der Speisekline eine Nacht auf der Schlafkline mit sich brachte.

      Timanoridas schloss die Tür hinter ihnen. Mit einer einzigen Handbewegung riss er ihr den Chiton vom Leib, warf sie auf das Lager, und starrte sie an. Dann schlug er sie - mit den Händen, einem schweren Gürtel und mit Worten. „Hure ... ihr mögt es doch, wenn man euch hart anfasst.“

      Neaira mochte es nicht, hütete sich jedoch ihm das zu sagen. Viel zu erschrocken war sie über seine Rohheit, der sie nichts entgegenzusetzen hatte. Als Timanoridas sie am Morgen verließ, war er wieder ein normaler Mann. Neaira meinte, jeden einzelnen Teil ihres Leibes schmerzhaft zu spüren. Als Idras kam, zeigte sie der Schwarzen die roten Striemen und die blauen Flecken. „Es ist ganz richtig, dass du mir das sagst. Für solche Art von Lust muss er mehr bezahlen.“

      „Ich kann kaum den Arm heben. Er wird mich totschlagen.“

      Idras zuckte mit den Schultern und schlug Neaira vor, Timanoridas möglichst viel Wein einzuschenken, wenn sie das nächste Mal auf seiner Kline lag. Damit war die Angelegenheit für sie erledigt.

      In ihrem Zimmer mit den blauen Wänden setzte sich Neaira auf ihr Bett und starrte die Wand an. Wenn es doch keine Wand, sondern der blaue Himmel gewesen wäre, und sie ein Vogel, der einfach hätte fortfliegen können. Doch die Wand blieb eine Wand und sie war kein Vogel, sondern Neaira, die Sklavin der Harpyie. Es kümmerte Nikarete nicht, ob Timanoridas sie totschlug oder ob sie starb. Die einzige Berechtigung ihres Lebens bestand darin, Nikaretes Geldbeutel zu füllen. Da wurde Neaira klar, dass niemand sie vor Timanoridas schützen würde, wenn sie es nicht selbst tat. Als die Tür ihres Zimmers sich öffnete, dachte sie bereits über die wenigen Möglichkeiten nach, die ihr als Sklavin gegeben waren.

      „Ich habe gehört, dass Timanoridas dich auf seine Kline geholt hat – es tut mir leid, ich wollte es verhindern. Doch was kann ich schon tun?“ Metaneiras helles Haar war unter einem Perlennetz gebändigt, und sie trug einen gelben Chiton, der viel zu unauffällig für Nikaretes Geschmack war.

      „Wo bist du gestern Abend gewesen?“

      Metaneiras Gesicht strahlte wie die Sonne - als hätte sie gehofft, Neaira würde sie fragen. „Ich wollte es dir bereits sagen – es gibt einen Mann, der mir ein Zimmer nahe der Agora bezahlt, wenn er in Korinth ist. Lysias aus Athen. Er behandelt mich gut und mit Respekt, fast als wäre ich seine Gattin.“

      Wie konnte Metaneira mit einem derart glücklichen Lächeln über einen Mann sprechen? Neaira verstand es nicht.

      „Ich muss nur noch zu Nikarete, wenn er zurück nach Athen geht. Wenn er in Korinth ist, bezahlt er für mich, führt mich aus und will mich für sich alleine. Es gibt keine anderen Männer in dieser Zeit, Neaira. Kannst du dir das vorstellen?“

      Neaira konnte sich nicht vorstellen, dass Metaneira so dumm war, auf diesen Lysias hereinzufallen. Jeder Mann war ein Satyr, und jeder Mann war ein Timanoridas.

      „Er ist Metöke in Athen, ein freier Fremder, aber sehr reich, und er hat so viel erlebt. Beinahe wäre er ermordet worden. Aber nun ist er ein bekannter Mann, ein Redner vor den Gerichten.“

      „Du solltest dich selber hören, Metaneira! Er bezahlt für dich, so einfach ist das.“ Neaira fühlte sich betrogen von der Freundin, aber Metaneira legte ihr die Hand auf die Schulter. „Mir hätte nichts Besseres widerfahren können. Er ist zwar alt aber gütig. Ich wünsche mir nichts mehr, als dass du auch einen solchen Mann findest, Neaira.“

      Neaira runzelte die Stirn. Einen Mann sollte sie finden? Hier gab es doch genügend Männer, die sie fanden - jeden Abend, immer wieder aufs Neue.

chapter6Image2.jpeg

      Neaira sah Lysias einige Tage später auf einem Fest in Nikaretes Haus, wo er neben Metaneira auf der Speisekline lag. Er hätte Metaneiras Vater sein können, und beinahe so behandelte er sie, mit Rücksicht und liebevoller Fürsorge. Wie sollte die sanftmütige Metaneira jemals damit zurechtkommen, wenn Lysias sie fallen ließ? Und das, da war sich Neaira ganz sicher, würde er tun. Düstere Vorahnungen beschäftigten sie den gesamten Abend, während sie neben Xenokleides auf der Speisekline lag. Es war ein ausgelassenes Fest, auf dem die Männer sich mit zotigen Bemerkungen übertrafen. Die Sklaven huschten von einer Kline zur anderen und hatten alle Hände voll zu tun Wein nachzuschenken. Die Mädchen lachten schrill und übertrafen sich darin, den Männern zu gefallen. Neaira bemühte sich nicht darum zu gefallen, und vielleicht war gerade dies der Grund, weshalb die Männer sie begehrten. Sie war ein Wild, das sich zu jagen lohnte – eine Beute, die erobert werden musste. Heimlich wurden den Mädchen Haarspangen oder Ringe zugesteckt, die sie vor Nikarete zu verbergen versuchten. Neaira wollte keine Geschenke, da sie wusste, dass die Augen der Harpyie überall waren. Keines der Mädchen würde die Geschenke nach dem Fest behalten dürfen. Neaira versuchte erst gar nicht, Xenokleides schöne Augen zu machen. Er war zufrieden, Neaira ab und an auf seiner Kline zu haben, und sie war zufrieden damit, dass er nicht mehr von ihr begehrte als in der ersten Nacht. Für die ausgefallenen Wünsche der Männer bestellte Nikarete Flötenmädchen ins Haus, die nicht nur die Doppelflöte hervorragend beherrschten, sondern auch das Spiel mit mehreren Männern gleichzeitig. So war die Ordnung gesichert – für die groben Bedürfnisse die Straßenhuren, für die ausgefallenen Gelüste die Flötenmädchen, für erlesene Genüsse die Töchter Nikaretes, und um Kinder zu zeugen gab es Gemahlinnen, die nach Erfüllung ihrer Pflichten kaum noch angerührt wurden und im Haus eingesperrt blieben. Dazwischen gab es nichts für Frauen. Neaira erschien keines von diesen Leben erstrebenswert. Weshalb also hätte sie sich anstrengen sollen?

      Als die Stunde später wurde, der Wein reichlich geflossen war und einige der Herren einen hitzigen Disput darüber ausgetragen hatten, ob ein gewisser Athanos aus Athen die Anklage als Moichos, als Ehebrecher, verdient hätte, da er mit der Frau eines anderen ins Bett gestiegen sei, von der man jedoch wusste, dass sie sich gleich einer gewöhnlichen Porne jedem anböte, der ihren Weg kreuzte, hob Lysias schließlich seine Weinschale und prostete den anderen zu: „Bei Zeus, sollen sie ihm einen Rettich tief in den After schieben und einen Klaffarsch aus ihm machen! So halten wir es in Athen mit Ehebrechern. Ich werde euch berichten, wie der Fall ausgegangen ist, wenn ich aus Athen zurückkehre.“

      Metaneiras traurige Antwort bestätigte Neaira in ihren Befürchtungen. „Verlässt du mich schon wieder? Noch keinen Mondumlauf bist du in Korinth.“

      Neaira erwartete, dass er sie rügte wie ein Kind und ihr klarmachte, wo ihr Platz in diesem Leben war. Doch Lysias hielt Metaneira seinen Becher an die Lippen und ließ sie trinken, wobei er ihr ein Auge kniff. „Du wirst mich dieses Mal begleiten. Ich habe ein besonderes Geschenk für dich - die Einweihung in die eleusinischen Mysterien, die im nächsten Mondumlauf zu Ehren Demeters gefeiert werden.“

      Metaneira fiel ihm um den Hals, als ob er ihr gerade die Freiheit geschenkt hätte.

      „Du verwöhnst sie als wäre sie deine Hetäre.“ Xenokleides rief es Lysias zu, meinte es jedoch nicht böse. Augenscheinlich rührte ihn die Zuneigung, die Metaneira Lysias entgegenbrachte. Neaira trank ungerührt ihren Wein. Sollte Xenokleides davon träumen, dass auch sie ihm Zuneigung schenkte. Was hatte er ihr geschenkt außer der Gewissheit, dass sie nichts vom Leben und der Liebe zu erwarten hatte.

      „Deine Großzügigkeit ehrt dich, Lysias. Aber Metaneira gehört noch immer zu meinem Haus und kann nicht nach Athen reisen. Es ist bereits sehr großzügig von mir, dass ich sie außerhalb meines Hauses wohnen lasse, wenn du in Athen bist.“ Es war die Harpyie gewesen, die allein auf einer Kline lag und deren Vogelaugen ebenso wenig entging wie ihren Ohren. Mit spitzen Lippen nippte sie an ihrer Weinschale und winkte dann dem Sklaven, ihr nachzuschenken.

      War es Metaneiras enttäuschter Blick, der Lysias dazu veranlasste gegen Nikarete anzugehen? Lysias war nicht unfreundlich, jedoch entschlossen. „Welche Kosten hast du für Metaneira, die ich nicht großzügig zahle? Ich werde Metaneira etwas schenken, was du ihr nicht fortnehmen kannst. Und ich bezahle die Reise gerne für eine Schwester, die Metaneira auswählt sie zu begleiten. Dies wird wohl auch in deinem Sinne sein, wo du doch so um das Wohl deiner Töchter