Der Gesang des Satyrn. Birgit Fiolka

Читать онлайн.
Название Der Gesang des Satyrn
Автор произведения Birgit Fiolka
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783748591832



Скачать книгу

auf dem Herzen lag. „Die Tochter einer Frau zu sein, die ein solches Gewerbe betreibt.“ Beinahe väterlich fuhr er ihr über das Haar. „Wenigstens hat sie den Anstand mit dem schmutzig verdienten Geld ihrer Tochter Bildung zu ermöglichen. Ich war schon immer der Meinung, dass Frauen ein wenig mehr Ertüchtigung des Geistes gut zu Gesicht stünde.“ Er lächelte ihr aufmunternd zu. Dann wurde Philostratos wieder ernst. „Doch man darf Frauen nicht wie Männer behandeln. Sie sind nun einmal von anderer Art und müssen beschützt werden. Metaneira ist ein nettes Mädchen, aber du solltest keinen freundschaftlichen Umgang mit ihr pflegen.“ Jetzt sah er sie beinahe liebevoll an. „Ich wünschte, ich könnte dich beschützen.“

      Neaira betrachtete ihn, wie er so freundlich mit ihr sprach und sich um sie bemühte. Philostratos glaubte tatsächlich, dass sie die leibliche Tochter Nikaretes war, die leibliche Tochter einer Hurenmutter. Hätte Philostratos sie ebenfalls freundlich behandelt, wenn er die Wahrheit gekannt hätte? Neairas Gedanken rasten, als sie die Unmöglichkeit dieser Situation erfasste – eine nagende Angst, dass Philostratos erfuhr wer oder besser was sie wirklich war, kroch in ihren Verstand. Seine Freundlichkeit war wie Balsam in ihrem ausgedörrten Herzen – sie konnte ihm nicht die Wahrheit sagen.

chapter6Image7.jpeg

      Neaira tanzte ausgelassen zwischen den Menschen auf dem Festplatz vor dem Tempel. Flöten und Trommeln gaben den Takt an, wurden langsamer, dann rasend schnell, und ließen die von Feierlaune trunkenen Tänzer wie Puppen an Fäden herumwirbeln. Wie konnte so etwas Schönes verderblich und schamlos sein? Es war herrlich sich treiben zu lassen, der Göttin zu huldigen und ihr Blütenkränze zu opfern. Wie eine Tiara saß der bunt geflochtene Kranz auf Neairas Kopf, während sie sich mit ausgestreckten Armen drehe. Philostratos hatte ihn ihr aufgesetzt und gesagt, sie solle für ihn tanzen. Es war ein Scherz gewesen, der Scherz eines Freundes, doch in diesem Augenblick tanzte Neaira tatsächlich nur für ihn. Immer wieder sah sie zu Philostratos hinüber, und wenn sie ihn ansah, ruhten seine Augen auf ihr, lächelten und freuten sich darüber, dass sie so ausgelassen war. Was kümmerten sie da die Blicke der verbitterten Gemahlinnen und Töchter, denen man zum Fest erlaubt hatte, die Abgeschiedenheit ihrer Räume zu verlassen und sich die Ausgelassenheit der Feiernden sittsam vom Rand des Festplatzes aus anzusehen? Was kümmerten sie die Blicke dieser nicht beachteten Gemahlinnen, denen niemand auch nur einen Blick schenkte? Sie wurde angesehen und bewundert wie eine Göttin - wie Aphrodite, deren Liebreiz man lobte. Sie war Aphrodites Tochter! Als sie endlich genug getanzt hatte und schweißüberströmt zu ihrer kleinen Gruppe zurückkehrte, folgten sie dem Zug und feierten den zweiten Tag der eleusinischen Mysterien, an dem die Mysten zu fasten begannen und Lieder zu Ehren der Götter zu singen. Ab Abend ließ Neaira sich von den entfachten Opferfeuern vor den Tempeln berauschen. Philostratos wich kaum von ihrer Seite - ganze fünf Tage lang.

      Als sich der bunte Zug nach den ausgelassenen Festtagen endlich am sechsten Tag nach Eleusis aufmachte, wo die Mysten ebenso wie die trauernde Demeter einen Trank namens Kylon zu sich nahmen und dann von einem Oberpriester und einer Hohepriesterin ins Innere des Tempels geführt wurden, hatte Neaira so viele Eindrücke gesammelt, dass sie ein Leben darüber hätte nachsinnen können. Sie fühlte sich erschöpft und müde, jedoch auch glücklich wie noch nie in ihrem Leben.

      Metaneira strahlte wie die Göttin selbst, als sie in ihre neuen Gewänder gekleidet den Tempel verließ, ein Lächeln auf den Lippen. Neaira wagte kaum die Freundin anzusprechen, so viele Geheimnisse schienen Metaneira zu umgeben. Sie wartete, dass Metaneira zu erzählen begann, was sie erlebt hatte, doch sie schwieg und machte keine Anstalten, etwas zu verraten. Nur mit Mühe gelang es Neaira, nicht sofort auf sie einzureden. Doch dann überwog ihre Neugierde. „Was hat dir Demeter offenbart?“

      Metaneira legte lächelnd den Finger auf die Lippen. „Es ist nicht erlaubt darüber zu sprechen, und selbst wenn es das wäre, könnte ich es dir nicht erklären. Vielleicht wirst du eines Tages auch die Weihen durchlaufen.“

      Ein wenig enttäuscht gab sich Neaira mit der Antwort zufrieden. Wie hatte sie auch nur einen einzigen Augenblick glauben können, dass ihre verschwiegene Freundin die Geheimnisse der Weihen preisgab.

      Philostratos, der ihre Enttäuschung bemerkte, versuchte sie zu trösten. „Vielleicht wirst im nächsten Jahr du an der Reihe sein und die Einweihung durchlaufen. Ich lade dich gerne als Gast in mein Haus ein, und vielleicht erlaubt deine Mutter, dass ich dir eine Einladung ausspreche.“ Philostratos letzte Worte hatten Nikarete gegolten, die ihn scheinheilig anlächelte.

      Neaira hätte glücklich sein sollen. Wir müssen auch für dich einen Mann wie Lysias finden, einen mit einem guten Herzen, klangen die Worte Metaneiras in ihrem Kopf nach. Hier stand er und sah sie mit echter Wärme an. Auch wenn sie ein Kind für ihn war – irgendwann wäre sie eine Frau. Überrascht stellte Neaira fest, dass ihr der Gedanke daran nichts ausmachte.

      Die funkelnden Harpyienaugen holten sie in die Wirklichkeit zurück. Sie war unvorsichtig gewesen, hatte zu viel Freude gezeigt. Nikarete wusste, woran sie dachte. Schnell bemühte sich Neaira um einen gleichgültigen Gesichtsausdruck. Doch es war zu spät – sie konnte sehen, wie Nikarete sie aus den Augenwinkeln beobachtete, die Brauen hochgezogen, die Lippen zu einem unmerklichen Lächeln verzogen.

      „Das nächste Jahr ist noch weit entfernt.“ Neaira hoffte, dass Philostratos ihre kühle Antwort nicht falsch verstehen würde, doch er schien gar nicht zu bemerken, dass sie sich zurückzog. Lachend klopfte er Lysias auf die Schulter und lud sie in sein Haus zu einem abschließenden Festmahl ein.

chapter6Image8.jpeg

      Als Lysias sich mit Metaneira zurückgezogen hatte, gab sich Nikarete Philostratos gegenüber freundlich. Sie umschmeichelte ihn, lobte das köstliche Mahl und seinen guten Geschmack. Philostratos bedankte sich höflich, machte jedoch keinerlei Anstalten, das Gespräch in eine für Nikarete interessante Richtung zu führen. Als sie bemerkte, dass sie mit ihrem Vorhaben auf diese Art nicht weiterkam, entschloss sich Nikarete dem ihrer Meinung nach beschränkten Mann auf die Sprünge zu helfen. „Du hast ein sehr schönes Haus, edler Philostratos. Doch es erscheint mir furchtbar leer. Sehnst du dich nicht nach einer Frau?“

      „Ich bin noch zu jung, um mir eine Frau ins Haus zu holen, Herrin Nikarete.“

      Nikarete gab nicht auf. Wie ein Raubtier schlich sie sich an ihr Opfer heran. „Sicher, mein guter Freund, doch das heißt ja nicht, dass dein Bett leer bleiben muss. Ich meine gesehen zu haben, dass dir meine Tochter gefällt.“

      Neaira schloss die Augen, als ihr klar wurde, was Nikarete beabsichtigte. Gleich würde das Verhängnis seinen Lauf nehmen. Sie wäre gerne unter den Tisch gekrochen und hätte sich die Ohren zugehalten.

      „Ich verstehe nicht, was du meinst. Deine Tochter ist mir ins Auge gefallen. Tatsächlich habe ich darüber nachgedacht, sie nach Athen zu holen. In ein paar Jahren! Ich darf als Metöke nicht heiraten, doch ich würde sie behandeln wie eine Gattin, und es würde ihr an nichts fehlen.“ Er lief rot an, da es ihm ungehörig erschien in Anwesenheit Neairas über sie zu sprechen.

      Nikarete lächelte amüsiert. „Zu viel Ehre für ein Mädchen wie sie, edler Philostratos. Du brauchst dich nicht zu gedulden. Neaira ist bereits jetzt sehr beliebt bei den Herren, und da du uns so freundlich in deinem Haus empfangen hast, überlasse ich sie dir die ganze Nacht zu einem günstigen Preis ... sagen wir fünfhundert Obolen für die Nutzung aller drei Öffnungen ihres Leibes. Warum willst du warten, wenn du jetzt schon alles haben kannst?“

      „Aber sie ist doch noch ein Kind ... und zudem deine Tochter!“ Philostratos Kopf lief rot an. Er war unfähig, sich gegen die redegewandte Nikarete zur Wehr zu setzen.

      „Lass dich doch nicht von ihren scheuen Blicken täuschen, edler Herr. Alle meine Mädchen sind meine Töchter, auch Metaneira. Neaira ist aber um einiges geschickter als Metaneira und versteht es dir Freuden zu bereiten, von denen du nicht ahnst, dass es sie gibt.“

      War das Abscheu in seinem Gesicht, Ekel ... Enttäuschung? Neaira sah es mit Schrecken und Kummer. Mitleid wäre