Der Gesang des Satyrn. Birgit Fiolka

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Название Der Gesang des Satyrn
Автор произведения Birgit Fiolka
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783748591832



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und sie nahm, schlimmer als die Satyrn in ihren Alpträumen es mit Metaneira getan hatten, verging der Zauber ihrer Liebe, ohne dass sie etwas dagegen hätten tun können. Sein Glied, sein Atem, sein Körper – es hätte auch Xenokleides sein können, der sich in sie drängte. Nikarete fand für unaussprechliche Dinge harmlos anmutende Namen wie Der Reiter, Das gestreckte Fohlen oder Das Rinden des Baumes.

      Nachdem ihre Scham wund und ihr Unterleib von dem Mann zerrissen worden war, dessen Wärme und Sanftheit sie geliebt hatte, war es der Harpyie an einem einzigen Nachmittag gelungen Neaira klarzumachen, dass die Götter launisch sind, und dass die Liebe hässliche Seiten hat, von denen Homer in seiner Ilias nichts erwähnt hatte. Als Idras sie ins Louterion führte, hatte Neaira längst vergessen, dass Hylas Haut einmal nach Salböl geduftet hatte, anstatt nach jenem beißenden Geruch, dass seine Arme sie liebevoll umfangen gehalten hatten, anstatt ihre Schenkel zu spreizen, und dass er ihr versprochen hatte, sie auf ein Brautlager zu legen, anstatt sie wie ein Tier zu besteigen. Und es war noch etwas geschehen. Die Tür zu ihrer kindlichen Traumwelt war ein für alle Mal zugestoßen worden. Es gab keine Satyrn mehr, denen sie die Schuld geben konnte, keine Waldgeister, die Menschen dazu brachten, sich wie Tiere zu benehmen und ihre Opfer zu verzaubern. Es waren die Menschen, die ihr das antaten! Sie waren es, die schlecht waren!

      „Ich hasse dich, Nikarete – dich und Idras und alle Männer, die meinen Körper von nun an besitzen werden“, war alles, was Neaira hervorzupressen vermochte als Nikarete sie am Abend in ihrem Zimmer aufsuchte, wo sie zusammengekauert auf ihrem Polster lag und die blau getünchten Wände anstarrte.

      Nikarete, gekleidet in ein kostbares aber viel zu buntes Gewand, behangen mit Gold und edlen Steinen, die sie durch den Verkauf ihrer Mädchen bezahlt hatte, gab ihr die einzige ehrliche Antwort, die sie je von ihr bekommen sollte. „Ja, das weiß ich, Neaira. Das ist gut so. Hass ist das einzige Gefühl, das uns am Leben hält. Hass wird dich gesund halten in den Jahren, in denen du für mich arbeitest. So lernen es alle meine Töchter - schnell und hart! Du hast erfreulicherweise sehr schnell begriffen.“ Nikaretes rot geschminkter Mund verzog sich zu einem spöttischen Lächeln. „Ich sagte dir ja, meine kleine Mänade, du bist zu Großem bestimmt.“

      5. Kapitel

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       Ein Besuch in Athen

      

      „Die Herrin hat Hylas verkauft“, teilte Idras Neaira am folgenden Tag mit und grinste dabei. Neaira war es egal. Sie hätte Hylas nicht mehr lieben können, nicht nach dem, was Nikarete ihnen angetan hatte. So war es besser – für Hylas und auch für sie.

      Als Nikarete sie zum abendlichen Fest ins Andron holen wollte, weigerte Neaira sich jedoch, ihr zu folgen. Nikarete nahm ihre Weigerung mit scheinbarem Gleichmut hin, schloss sie eine ganze Woche in ihrem Zimmer ein und wies die Sklaven an, ihr nur eine einzige Mahlzeit am Tag zu bringen. Nach einer Woche gab Neaira ihren Trotz auf und ließ sich von Nikarete zur Kline eines älteren Mannes führen, der sich ihr als Hipparchos vorstellte. Er zog sie zu sich, ließ seine Hände den gesamten Abend immer wieder unter ihr Gewand gleiten, und schob ihr Häppchen in den Mund. „Sie frisst mir schon aus der Hand“, rief er den anderen Männern zu, die lachten und sich über Neaira amüsierten. Eine Woche Hunger hatte ausgereicht, ihren Stolz zu brechen. Hipparchos war anders als Xenokleides. Da er Schauspieler im Odeion war, fand er Gefallen an allerlei Spielen. Eines davon lernte Neaira am ersten Abend kennen. Auf der Schlafkline ließ er sie auf allen Vieren vor sich knien und meinte: „Ein gutes Pferd muss hart geritten werden.“ Dann rief er ihr allerlei Dinge zu, die er wohl auch seinen Pferden sagte, während er schnaufte und stöhnte.

      Neaira spürte nichts mehr, nicht in ihrem Herzen und nicht in ihrem Verstand. Es gab nur eine Sache die wichtig war – Metaneira nach so vielen Jahren wiederzusehen, beinahe so selbstverständlich als wäre sie niemals fort gewesen. Entspannt lag sie an jenem Abend, als Neaira Hipparchos zugeführt wurde, neben einem großen noch nicht sehr alten Mann auf der Kline. Die Jahre hatten sie zu einer jungen Frau gemacht - schön, anmutig und auf eine nachlässige und unbedachte Art sehr reizvoll unter der dicken Schminkpaste. Als sie sich in die Augen sahen, schmolzen die Jahresumläufe, die sie getrennt gewesen waren, dahin. Neaira hätte gerne den Abend nur mit Metaneira verbracht. Als der Mann an Metaneiras Seite die Blicke zwischen ihnen bemerkte, flüsterte er Metaneira etwas zu, woraufhin sie schnell den Kopf schüttelte. Der Blick, den sie Neaira kurz darauf schenkte, verunsicherte sie. War es Furcht, die sie in Metaneiras Augen gesehen hatte?

      Erst am nächsten Abend konnte sie mit der Freundin ein paar Worte wechseln. „Wo bist du all die Jahre gewesen?“

      „Ich war die ganze Zeit hier.“

      Da wusste Neaira, dass es allein Nikaretes Wille war, der darüber bestimmte, ob sie ihre Freundschaft wieder aufnehmen durften oder nicht. Die Harpyie hatte ihr ein Angebot sowie eine Drohung gleichermaßen unterbreitet. Gehorche, und ich werde großzügig sein. Als Neaira zu ihrer Kline zurückgehen wollte, hielt die Freundin sie am Arm fest. „Halte dich wenn möglich von Timanoridas fern. Er hat dich ins Auge gefasst.“

      Meinte sie den, bei dem sie am gestrigen Abend gelegen hatte, diesen großen Mann? „Wir sind in ihrer aller Augen, Metaneira. Einer mehr oder weniger, was macht das schon?“

      „Er ist schlimmer als sie alle zusammen“, konnte Metaneira ihr noch zuflüstern, bevor auch sie sich wieder ihrem Begleiter zuwenden musste.

      Bald darauf setzten Neairas Mondblutungen ein. Die Schwarze kam, um Neaira zu erklären wie eine ungewollte Schwangerschaft zu vermeiden war – mit einer Salbe aus Bleiweiß, einem unsichtbaren Geheimnis, das sie sich vor dem Zusammentreffen mit den Männern in die Scham einführte. „Bleiweiß ist der Segen und die Verderbnis der Frauen. Es gibt der Haut eine milchig weiße Farbe und zerstört sie, wenn man zu viel davon nimmt. Ebenso verhält es sich beim Verhüten von Schwangerschaften. Zu viel bedeutet den Gifttod, zu wenig eine ungewollte Leibesfrucht.“ Idras wies auf ihr schwarzes Gesicht. „Ich bin froh, dass meine Haut so schwarz ist, dass kein Bleiweiß sie heller machen könnte. Das Bleiweiß wird dich für lange Zeit jung halten, doch irgendwann wird es dich zerstören. Selbst Nikarete will nicht auf mich hören und hellt damit ihre Haut auf. Jetzt ist sie so fleckig, dass sie ohne Bleiweiß das Haus nicht mehr verlassen kann. Aber für dich wird Bleiweiß trotzdem dein bester Freund sein, solange du für Nikarete arbeitest.“

      Wie hätten die Götter in einen Leib, der nichts kannte als Zorn und Hass, ein Leben hineintun können? Neaira tat jedoch, was Idras von ihr verlangte. Sie lernte von ihr, das weiße Pulver mit Fett zu mischen und sich ihre Salben und Schminkpasten selbst anzurühren. Neaira hatte oft versucht zu fliehen, und was hatte es ihr gebracht? Nur noch mehr Hass und Demütigung. Mit Schrecken hatte sie erkennen müssen, dass all die Herren, die sie auf ihre Kline zogen, in ihren eigenen Häusern Töchter hatten, die nicht älter waren als Neaira. Mit Wärme und Zärtlichkeit sprachen sie von ihnen, versteckten sie in Frauengemächern und erwähnten niemals ihre Namen, da es als unziemlich galt. Aber sie kamen in Nikaretes Haus, riefen laut nach Neaira und taten mit ihr Dinge, von denen ihre Töchter nicht einmal wissen durften, dass es sie gab. Sie waren reich, besaßen Macht und Ansehen – wer hätte es ihnen verbieten sollen? Alle, deren Wort so viel Gewicht hatte, dass sie Neaira hätten helfen können, kamen selbst in Nikaretes Haus und zerrten sie auf ihr Lager. Warum also fliehen ... und wohin?

      Als Neaira es schon fast vergessen hatte, kam Idras zu ihr: „Heute Abend wirst du auf der Kline des Herrn Timanoridas liegen!“ Neaira hatte kaum noch an ihn und die Warnung Metaneiras gedacht. Aber was machte es schon, neben wem sie lag? Hipparchos, Xenokleines, Timanoridas - sie waren nur Namen und Körper, nichts weiter.

      Timanoridas empfing sie mit Freundlichkeit auf seiner Speisekline, strich ihr über das Haar und war weniger unangenehm als die anderen, neben denen sie sonst lag. Neaira wartete vergeblich auf Metaneira, da sie die Freundin gerne noch einmal gefragt hätte, weshalb sie Timanoridas gefürchtet hatte. Sie erschien nicht, so oft Neaira