ich du er sie es. null DERHANK

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Название ich du er sie es
Автор произведения null DERHANK
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847616733



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Bild ein analoges Original. Für sie gab es das nicht mehr, ein Foto kann man mit jedem Lidschlag aufnehmen und wie einen Schwarm Pusteblumenschirme in alle Welt versenden, sie bot uns sogar an, mithilfe ihres FRIEND oder eines herbeigerufenen Nanoschwarms oder eben tatsächlich mit den kleinen Diamanten, die auf ihren Augenlidern saßen, das Foto zu machen und uns zuzufunzen, fragte, ob mein »Ding« das empfangen könne und sah mich mit Blick auf Clara zweideutig an, als wäre ihr das unheimlich, dass da ein Mensch, eben Clara, in keiner registry zu finden sei. Aber Clara wollte selbstverständlich IHR Foto und zeigte dem Mädchen geduldig, wie so eine Kamera einzustellen sei, wo hindurchzuschauen, wo der Auslöser, und bitte wirklich nur einmal usw.

      Und dann, bedankt und verabschiedet, begann unser Walk. Zuerst gingen wir noch ein Stück durch die pittoreske Altstadt von O, deren mittelalterliche Grundrisse die Bauformen vorgaben, schmal, schiefwinklig und nur so hoch, wie das vor fünfhundert oder tausend Jahren technisch möglich war. Überall Sandstein, Fachwerk und blattgoldverzierter Stuck, die spitzen Giebel bogen sich über das Klinkerpflaster der Straße, die Kaufleute der Hanse hatte jeden Kubikmeter Luftraum ausgenutzt. Von sentimentaler Schönheit, diese Häuser, und auch wenn sie sich so glichen, gab es doch Unterschiede, die sie individuell werden ließen, so individuell, wie es menschliche Wesen einst waren, 'German Houses', deren Nachbauten in Nordafrika inzwischen mehr als 20- oder 30-fach zu finden sein sollen, mitten in der Wüste von schwerreichen Tuareg nachgebaut; ganz zu schweigen von den zahllosen Repliken, wie sie in den Lifes des himmeLs zu finden sind, den second, third etc., soviel zum Thema 'Original' … was Clara nicht davon abhielt, drei dieser Gebäude auf diese ursprüngliche Art zu fotografieren - und mich nicht, ihr mithilfe meines ENDs zu jedem das passende dies und das zu erzählen.

      19.

      Alberich, der in die, was man Gesellschaft nennt, inkludierte Außenseiter, der - ohne das zu müssen - sein sogenanntes Brot erwirbt mit sogenannter ehrlicher Arbeit, der eine voll durchelektronisierte Mietwohnung seine eigene nennt, der Wohlfahrtsleistungen in Anspruch zu nehmen das unbeanstandete Recht genießt - was im Übrigen ein aus der Ära der Menschenrechte verbliebenes Relikt ist (wenn auch niemand, wirklich niemand ohne sich hinter vorgehaltener Hand zu verstecken von der Ära der Menschenrechte in der Vergangenheitsform zu sprechen wagen würde) -, der im Rahmen dieser Wohlfahrtsleistungen eine vergünstigte und obendrein besonders breitbandige und vor allem exzeptionell privatsphärengeschützte Connexion in den himmeL hat, der Zwerg Alberich also alles, alles hat, was man in der Mitte des 21. Jh.s mit einer amtlich anerkannten Devianz rechnerisch an Zuwendung überhaupt erwarten darf, dieser Zwerg Alberich ist und bleibt ein Straßenjunge. Ein Herumtreiber aus Überzeugung, einer, der es in geschlossenen Räumen so wenig aushält wie in seinem eigenen Körper, ein deshalb selbst gewählter Tagelöhner, der mitnichten darauf angewiesen wäre, für höhere Einkommen niedere Arbeiten zu verrichten, der im Gegenteil ein beinahe diebisches Vergnügen darin findet zu wissen, wie sehr die höheren Einkommen oftmals von seiner, Zwerg Alberichs himmeL'schen Gnade abhängen, und es mithilfe seiner - Stichwort diebisch - legal, illegal oder scheißegal aus einem pseudosicheren Datensafe gesaugten AAA-Certifizierung nur einiger weniger imaginierter Klicks bedarf, um deren Zahnbürsten, Rollläden oder Kühlschränke in widerspenstige kleine Monster zu verwandeln, oder deren Kontostände unmerklich und doch wirkungsvoll so zu desastrieren, dass es vorbei ist mit den höheren Einkommen und allen damit verbundenen Annehmlichkeiten, oder auch, wenn er nur will, der Alberich, der böse, böse Alberich, oder auch die innere Intelligenz ihrer GOD-gelenkten Fahrzeuge mit gewissen alberich'schen Manipulationen so zu modifizieren, dass deren Mortalitätsindex unvorhergesehenermaßen sprunghaft anstiege.

      Alberich liebt den Himmel wie den himmeL, und während sein um diverse Gartenarbeitsfunktionen erweiterter, auf Dieselantrieb umgerüsteter und im Übrigen bis an die sich täglich erweiternden Grenzen des Machbaren frisierter, getunter und hochgerüsteter Aufsitz-Rollstuhl der Spitzenklasse wie selbstvergessen oder auch schlafwandlerisch mal mähend und mal auspuffknatternd still durch die irdischen Straßen und Wege fährt, träumt er, Alberich, mitnichten. Er schweift vielmehr durch die Leben der anderen, wie eine Fledermaus bewegt er sich unsichtbar lautlos virtuell in den Wohnungen sogenannter Privatsphären, liest in den Funzen wie in offenen Büchern, und selbst da, wo keine Kameraaugen laufen, genügen ihm die winzigsten Abweichungen im elektromagnetischen Kontinuum, um jede Handbewegung, jedes Kopfnicken, jedes gesprochene Wort wahrzunehmen, ohne wahrgenommen zu werden, jedes Zwischenmenschliche zu erfahren, ohne erfahren zu werden, sei es Liebe oder sei es häusliche Gewalt, oder sei es in 99,9% der Fälle pure Indifferenz, die sich zum Beispiel in Porno äußert. Tatsächlich sogar oft Porno, Porno in allen Formen und Farben und Intensitäten und Virtualitätsgraden, homo, hetero, bi, tri, quatro, multi, koital, anal, urinal, gangbanal, und 3D sowieso - und doch bleibt es ein ödes immer dasselbe. Hinter den Masken des himmeLs treibt's jeder mit jedem jeder für sich, heimlich zwar, doch in Wahrheit ist es allen egal zu hinterfragen, wie privat man wirklich ist. Alberich langweilt das, immer öfter, und so begibt er sich in in eine seiner eigenen himmeL'schen Konfigurationen, wo ihm jüngst ein Wesen erschien, das anders ist.

      20.

      Ihr verabschiedet die junge Frau. Thomas ist überzeugt, in ihr eine Serviererin wiedererkannt zu haben, jene, die euch gestern den Kaffee gebracht hat. Du bist dir da nicht so sicher.

      Dann verlasst ihr die Stadt. Du sprichst nur wenig. Noch weniger als gestern, und Thomas umso mehr. Dieser Mann hat dich verstört, dieser Moment in dem Museum gestern, ja, 'verstört' bist du, von dem Mann, auf den du dich zuvor wie ein Teenager gefreut hattest. Irritiert hat dich schon die Selbstverständlichkeit, mit der er, immerhin erklärter Materialist, einem Obdachlosen beim Dom eine Mark gegeben hat. Ach, gegeben, überreicht hat Thomas dem Mann das Geld, wie eine Gabe, während du noch gerechnet hast, noch abgewogen, ob er, der Bettler, es benötige oder verdiene, ob das Almosen sinnvoll, gottgefällig oder nicht sei, oder der Mann es nur versaufe, da hatte Thomas schon mit einer verbeugungsgleichen Geste die Münze in die ausgestreckte Hand gelegt.

      Und dann diese Situation in dem Museum.

      Anschließend hast du sie dir immer wieder in Erinnerung gerufen. Dieses dich überwältigende Gefühl, als er, während du noch versucht hattest, die im Boden eingelassene Inschrift zu fotografieren, plötzlich hinter dir stand.

      Zitate von Tacitus, Beschreibungen römischer Legionäre, die mitten im tiefsten germanischen Urwald schon arg 'dezimiert' waren. 'Dezimiert' kommt von zehn, meint jeden Zehnten, meint, schon jeden Zehnten verloren haben. VORAHNUNGEN war der Titel einer Inschrift gewesen, und dann folgte in aufgeschweißten Lettern die Beschreibung der von Vorahnungen geprägten Nacht, von nicht schlafen und nicht wach sein können, genauso hast du anschließend die Nacht verbracht, alleine, natürlich, in eurem deinem Bett ohne Willi, 'schlaflos mehr als wirklich hellwach', auch du mit dem Gefühl, dezimiert zu sein, um mehr als einen Zehnten, um viele Zehnte deiner Lebensjahrzehnte. Wie mag sich ein Legionär gefühlt haben, zu wissen, dass das Dezimieren im Morgengrauen weitergeht, und man selbst bald wegdezimiert wird, aussichtslos zu kämpfen oder zu fliehen - hilft einem dabei Gott? Hatten sie einen Gott, an den sie glaubten?

      Du hattest mit der Kamera innegehalten, hattest dich versenkt in den Text, du warst wie einer von ihnen, du hattest Vorahnungen wie sie, und Thomas stand ganz dicht hinter dir, körperwarmnah, mit einem Atem, der wie etwas Stoffliches deine empfindlichen Ohrmuscheln bestrich, ohne Worte, nicht zu sehen, nur zu fühlen, wie ein unsichtbarer Barbar in deinem Rücken, mit einer Hitze wie Feuer, wie die germanischen Lagerfeuer in der Finsternis, ringsum und geradezu bedrohlich. Thomas. Ihr hattet geschwiegen, du sowieso, aber auch er, der anschließend und seitdem den Mund nicht mehr zugekriegt hat. Aber selbst sein Schweigen war beinahe ohrenbetäubend gewesen, dein Tubenkatarrh hat gerauscht wie Schlachtlärm, wie Gesänge dich umzingelnder Barbaren, Thomas selbst hatte dich umzingelt, und du hast eine vollkommen irrationale Angst vor dem heutigen Morgen gehabt, vor dem Abmarsch, dem Weg, der ungefähr dem der Römer entspricht, die nur noch fort wollten, gejagt von der Übermacht, und du hast dich ernsthaft gefragt, wie lange - nicht ob, sondern wie lange Thomas brauchen wird, um dich zu … zu was eigentlich? Zu besiegen? Zu überwältigen? Zu - dezimieren?

      Beim Daniel-Liebeskind-Museum bleibst du stehen und fotografierst zum wiederholten