ich du er sie es. null DERHANK

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Название ich du er sie es
Автор произведения null DERHANK
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847616733



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glänzenden Sonnenkollektoren frisch umgebrochen und von allem verschattenden Bewuchs befreit. Hier und da trotzdem widerspenstig grünes Sprießen zwischen armdicken Stromkabeln, und an den Rändern standen dicke, stummelige, hohle, auseinanderreißende Kopfweiden, hinter deren knospendem Gefieder der Frühling Einblick in das knorrige Stützholz gewährte; dicht stehende ineinandergreifende Bäume, zwar immer wieder von tamilischen Landarbeitern auf Stock gesetzt, doch seitdem man die Landschaft wieder mit Struktur anreicherte, auch immer älter und umfänglicher geworden. »Bäuerliche Kulturlandschaft«, griff ich mir das Stichwort auf, »Fachwerkhöfe und Häuser aus Sandstein«, sagte ich. Wir gingen einige Extraschleifen, vollzogen den Wechsel von O's Einzugsbereich zu dem von L in Slow Motion, was mir für Clara irgendwann leidtat. Ich sah ihr an, wie ihr fotografischer Eifer nachließ; auch ans Trinken hatten wir zu wenig gedacht; und wer mochte schon Dränagewasser probieren? Es ging vom Flachen ins Hügelige, von Feldern zu Wäldern, da war die leichte Süße der Gülle einer Echtfleischfabrik, die sich mit dem Duft von harzigem Schnittholz vermischte, tief in unsere olfaktorischen Rezeptoren eingesogen bei einem aufgelassenen Steinbruch, wo sich frisch geschlagene Stämme stapelten. Es folgte ein Bergkamm, die Wasserscheide, und dann der Abstieg in die Region von L, wo ein herrenloser großer schwarzer Hund, vor dem die Shintobuddhistische Gesellschaft in ihrer Routenbeschreibung unspezifisch warnt, zweihundert Meter vor uns den Weg kreuzte und bei einem hölzernen, spitz überdachten Jesuskreuz im Unterholz verschwand, bevor wir ihn erreichen und passieren mussten. Wie ein Omen, das sich unsichtbar macht, ehe man es versteht.

      22.

      Yukiko müsste die Feldgehölze nicht einmal anschauen, sie so wenig wie die ihr anvertraute Reisegruppe, sie bräuchte Hana nur anweisen, den sich in der Landschaft selbst aussäenden Sensoren hinterherzuspähen, oder ihre Begleiter ihre eigenen FRIENDS, schon sähen sie gemeinsam mit geschlossenen Augen die Nester der Grünfinken, Rotkehlchen, Neuntöter oder Goldammern, oder den Käfer auf der Flucht vor - oder den Fuchs auf der Suche nach ihnen. Überall Balz und Nist und Jagd, überall sich regenerierende Natur, seit man seine Nahrungsmittel zu Hause ausdrucken kann.

      Die Gruppe, die nur aus Männern besteht, hat mehr Interesse am Vögeln als an Vögeln, Yukiko wird mal wieder bewusst, dass man sie dafür und nicht dafür gebucht hat. Alles eine Frage des Geschlechts. Die Männer haben ein langes, hartes Arbeitsleben hinter sich und bis zu ihrem Eintritt ins Ewige noch ein weiteres vor sich. Hana hat längst deren intimste Geheimnisse eruiert, hat sich mit deren FRIENDs synchronisiert und einen Programmmix ausgearbeitet mit all dem, was sich echte Macher in den besten Jahren, wie man so sagt, wünschen, wenn sie sich ihre tagesaktuelle Rüstigkeit bewiesen haben: zuerst mal Soft Skills wie Pool und Sauna, viel Feuchtes auf die beginnenden Falten, und ein paar unkorrekte Herrenwitze, die zu veröffentlichen einen Blood-Blizzard zur Folge gehabt hätte. Aber nichts wird öffentlich, man bleibt intim, so intim, dass es zwar jeder weiß, doch niemanden anregt, es wirklich wissen zu wollen, man bleibt in diesem irgendwo dazwischen, es geht ja auch ums Geld und alle spielen mit; vorneweg Yukiko, mit der Hana die kommende Nacht lieber alleine verbringen würde. So weit ist es schon gekommen mit unseren Maschinen, denkt Yukiko ein bisschen altklug.

      23.

      Thomas ist älter als du, doch so viel kräftiger, ausdauernder, unverzagter, er muss sich zwingen, mit dir zurückzubleiben, tatsächlich sagt er das sogar, 'zurückbleiben', er würde mit dir zurückbleiben, als gingest du gar nicht, als stündest du, während ihn das Laufen nach vorne treibt.

      Allein das Reden, sein Reden, sein nicht enden wollender Redestrom scheint ihn irgendwie bei dir zu halten, wie ein Band aus Worten, und als - während du anhältst, um ein hölzernes Wegekreuz zu fotografieren - eine ganze Mannschaft an euch vorbeimarschiert, eine Seilschaft oder ein passionierter Manager-Selbsterfahrungs-Verein, mitgezogen von einer burschikos gekleideten Naturgeisha, alterslos jung, da ist ihm das spürbar unangenehm, dieses Dir-zuliebe-Zurückbleiben, da läuft er einfach ein Stück mit denen, wie als würfe er sein Reden nun denen über und ließe sich davon gleichsam mitziehen, eine Führung im Mühlenmuseum von L schon mit denen ausgemacht und erst im Anschluss dich dazu gefragt, so einer ist das, der Thomas. Du aber lehnst ab, obwohl die Strecke doch ein Klacks ist, wie viel bist du schon gelaufen im Leben, aber heute willst du nur noch ankommen, irgendwo, wo es warm ist und es eine Suppe gibt, und ein Bett, in einem Einzelzimmer.

      Bei einem Café, wo du einfach nicht mehr kannst und auf ein Getränk bestehst, verabschiedet sich Thomas von den erhitzten Männern, die bei so viel weiblicher Führung gleich durchmarschieren. Ihr selbst seid zu alt, ja, das findest du.

      Natürlich Einzelzimmer. Auch diese Nacht. Thomas lacht, bei Kaffee und Kuchen, respektiert deinen Wunsch, ohne enttäuscht zu sein, aber wieso überhaupt 'respektiert'? Was will er denn, der Thomas? Was führt er überhaupt für ein Leben, wo es so selbstverständlich ist, den Ärmsten zu geben und zugleich an nichts zu glauben, geschweige an Gott, und auf diese nahe Art im Museum hinter dir zu stehen und dein Einzelzimmer zu RESPEKTIEREN? Was würde er denn tun, hättet ihr keine getrennten Zimmer? Er in einem Bett mit dir, nur einen Matratzenschlitz von dir entfernt, du würdest natürlich mit dem Rücken zu ihm liegen, und würdest Angst haben vor dem Moment, wo er das Reden aufhört, oder würdest du dir das nicht etwa wünschen? Dass er nur schweigend da läge und du seinen Atem an deinen Ohrläppchen fühlst? Wie damals, vor fünfzig Jahren? Wie gestern im Museum? Wie letzte Nacht? Ach nein, letzte Nacht hast du das nur geträumt … denkst du jetzt jeden Abend nur noch daran? Und wie ist er überhaupt an deine Telefonnummer gekommen?

      24.

      Noch weit vor L ein - wie es sich nannte - 'Bergcafé'.

      Ich hatte das Brennen unter meinen Fußsohlen aus- oder weggetreten, war noch voller Kraft und verabschiedete mich nur widerwillig von den Toughen und ihrer charmanten Reiseführerin, die wiederzuerkennen irgendetwas in meinem Kopf mir nicht erlaubte. Und betrat mit Clara die Höhle der Alten. Refugium für Freigänger von Sanatorien und Pflegeheimen. Der Kuchen so alt wie die Insassen, und die Möbel und alles andere sowieso, was nicht heißt antik, sondern einfach sehr, sehr gestern; mindestens seit den 60er oder 70er Jahren des vergangenen Jahrtausends nicht mehr renoviert. Die Wirtin war lieb, aber draußen nur Kännchen, wir fragten gar nicht erst, Hauptsache draußen, weil drinnen die Luft voll talgig Saurem greiser Leute hing, die hier vor sich hin schimmelten, der Geruch muffiger Polster (ich) oder von Kotze (Clara). Kaffee und Kuchen schmeckten uns trotzdem gut, wenn auch die Rosinen wie ertrunken am Käseboden lagen.

      Doch dies war nur der Vorgeschmack.

      Anschließend verloren wir uns in einem namenlosen Einfamilienhaus-Siedlungs-Vorvorvorortbrei, kein Ortsschild, und als wir hindurch waren, wie klamm schienen mir die Weiden an den verbliebenen Feldern! Obwohl es so lange nicht mehr geregnet hatte, waren die rohbödigen Äcker durchnässt, und die Gehöfte wie dauerfeuchtes Holz, selbst das Hundegebell klang tuberkulös, Gebell von überall, und ein Stück Naturwald vor der eigentlichen Stadt, wie ein Freilichtmuseum, tropfnass und echt deutsch, bayrischer Wald sollte das sein, ohne zu gelingen, diese leicht hügelige Topografie, mit Bächlein, Laub etc., und umgestürztem Totholz für die Larven metamorphierender Kerbtiere, sogar ein dazugehöriges Schlösschen tauchte auf, vor dessen Torbogen eine lautmalerische 3-D-Animation von einem hier einst residierenden Freiherrn berichtete, einem Vordenker effizienten Gemeinwesens, einem Säkularisierer und Befreier der Bauern. - Die heutzutage per Saatgutpatentierung längst wieder zu Leibeigenen gemacht worden sind, dachte ich, aber davon wurde nichts erwähnt.

      Was folgte, war langweiligste, von Asphaltbahnen dominierte, höchst aufgeräumte Kulturlandschaft. Ich weiß nicht wieso, aber meine äußeren Eindrücke entsprachen ab hier so sehr meinem inneren Sehnen nach einem Ende, dass ich mich quälte. Beim Erreichen von L das typische Gefühl unwohler Heimat: auf Kopf gestutzte Kugelirgendwasbäumchen, Rentner auf Rennrädern, ein paar komisch feiste Glatzköpfige, harmlos wohl, aber Claras Fotografieren der fotovoltaisch beschichteten Mülltonnen stiftete Verwirrung. Ach ja, die Mülltonnen, bis heute ungelöstes ästhetisches Problem der Stadtplanung, es war wohl E-Schrott-Sammel-Tag.

      Einmarsch ins Zentrum, eine sich selbst wie überdrüssige