ich du er sie es. null DERHANK

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Название ich du er sie es
Автор произведения null DERHANK
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847616733



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      »Was ist mit meinem Namen?«, quengelt Stimme.

      »Yukiko kennen keinen, der eine so nervige Töle hat«, sagt Yukiko. »Es ist ein 'es'! Ein Ding! Ding, Ding, DING!«

      »Rathaus«, ruft die Bahn mit Stimmes Stimme in ihrem Ohr und hält. Und 'Ding' zieht sie hinter sich her. Scheinbar. Gibt ihr das Gefühl von Hinterhergezogenwerden. Yukiko streckt dafür den Arm aus, was sie nicht müsste, so stark ist das Ziehen nicht, sie könnte in der U-Bahn bleiben, wenn sie wollte, aber sie mag das Geführtwerden. Und sie muss sich beeilen. Das FRIEND ist nun eine Armbanduhr, jedenfalls simulieren das runde Ziffernblatt im nostalgischen Millennium-Look sowie das in Lederoptik leuchtende Armband eine solche. Holografische Fluoreszenz und vibrationsgesteuerte Fühlvolumina machen die Uhr zu etwas wie auf dem FRIEND Aufgesetztem. Der Rest ist wieder chamäleonmäßig unsichtbar. Wie die Alte in der Bahn.

      Auf der Rolltreppe streckt Yukiko den Arm noch weiter aus. Es zerrt an ihr, als wäre sie ein ungezogenes Mädchen, »soll ich aufhören?«, fragt Stimme, aber Yukiko antwortet nicht, sondern macht oben, am Ende, auf Straucheln; eine, die von einem Unsichtbaren entführt wird. Das FRIEND zieht sie aus dem Bahnhof, quer über die Straße, die Autos halten, umfahren sie, alles fließt ineinander und sie ist auch nicht die einzige Fußgängerin, die sich unter den rollenden Verkehr mischt. GOD regelt das mit den Autos, netzflechtig.

      »Kannst du Yukiko sehen?«, fragt sie, während sie anderen Anwendungen beim Nuscheln zusieht. Manche gestikulieren, unterstreichend oder nur fahrig, und wer mitten auf der Straße stehen bleibt, wird lautlos weitergezogen. Yukiko spielt das Spiel selbst gerne, einfach den stummen Verkehr aufhalten, bis es plötzlich hupt im Ohr, bis das FRIEND im Namen des Verkehrs bzw. eines rekonstruierten 1938er Daimler Light-Straight-Eight aus Aluminiumfaser ihr hupen muss, zu gerne macht sie das, und der Griff an ihrer Hand wird dann fest und kribbelnd. Doch heute geht sie von alleine weiter, und Stimme antwortet: »Ich kann, wenn ich will. Hier sind überall Okular…«

      »Ein FRIEND kann nicht WOLLEN, es ist ein Ding!«

      »…«

      »…«

      »Und du? Was bist du?«

      »Schon gut«, sagt Yukiko, »kann es Yukiko spüren?«

      »Deinen Arm spüre ich natürlich …«

      Sie lacht auf, »ha!« - ohne dass das echtes Lachen ist, und mitten auf der Straße ist das auch irgendwie idiotisch, aber niemand, der deswegen auch nur aufschaut. Natürlich.

      »Ich spüre noch mehr von dir«, setzt Stimme fort, »jetzt gerade zum Beispiel spüre ich deine Körperwärme, die auf diese Wand trifft …«

      'Diese Wand' ist das Rathaus von O, auf dessen gemauerte Sandsteinblöcke man umlaufend eine unsichtbare sensible Haut aufgezogen hat, und Yukiko weiß, jedes Kind weiß, dass FRIENDs sich in sämtliche freigegebenen Sensoren einfeelen können, also auch in diese Fassade, die ihr Lächeln, ihr breites, längst gesendet hat.

      In ihrem Ohr fängt ungefragt eine Melodie an, Chilldown in Paradise, weiche Flöte und Natur. Yukiko steckt sich die Finger in beide Gehörgänge. Nein, will sie sagen, sagt aber nichts, ein bisschen trotzig, das Ding macht eh, was es will, dabei weiß sie, dass es das nicht macht, im Gegenteil, es würde alles tun, was SIE will. Sie schüttelt, statt etwas zu sagen, den Kopf zwischen den Fingern, als wollte sie das Gedudel wegschütteln; sie nennt es 'Gedudel', wagt aber nicht, das laut zu sagen, sie fürchtet sogar, das könnte ihr FRIEND verletzen. Lächerlich? Sie hat kurz die Idee, den Stick herauszureißen. Was aber nicht nur nicht geht, sondern neben der Körper- auch eindeutig eine Vertragsverletzung wäre, der Stick ist schließlich eingenäht.

      »Yukiko«, sagt Stimme, flötet Stimme, Stimme versucht sich dem Klang von Urwaldvögeln und Tubular Bells anzupassen, »Yukiko …«, ohne dass die Musik aufhört, die ihr gegen ihren Willen gefällt.

      Yukiko bedeutet 'Schneekind', und wenn FRIENDs Stimme »Yukiko« sagt, so harmonisch in Bachmurmeln, sphärisches Zirpen und Weltflöten integriert, dann meint sie, Schneerieseln überm Amazonas zu sehen. Sie lässt das Kopfschütteln, zieht den Finger aus dem rechten Ohr, dem mit dem Stick, wieder heraus, mit Fingern ist gegen Stimme (und Musik) ohnehin nichts auszurichten, sie lässt nur den linken Zeigefinger im linken Ohr, um von der Umgebung keine Interferenzen mehr wahrzunehmen.

      Die Umgebung nämlich ist hässlich, vor allem die Autos … sind es eigentlich nicht, und doch sind sie es auch, und überall liegt Dreck herum, und eigentlich gar nicht, aber doch - doch doch doch, und die Häuser sind bunt aber genauso hässlich unhässlich wie die Autos, die sich ohne Murren um sie herumschlängeln. Hässlich.

      Aber wenn sie die Augen schließt, ist dieselbe hässliche Straße plötzlich voller Bäume und Schlingpflanzen und bunter Vögel, selbst die Autos haben dann eine schrille Echsenhaut, und Yukiko verschwimmt mit Haut und Haar in Stimmes Paradies-Klängen.

      Nein!, denkt sie kopflaut und öffnet die Augen, macht den Dschungel wieder unsichtbar, geht weiter, gleichzeitig sich ärgernd wie lächelnd, schaut dabei ins Unbestimmte und zufällig trifft ihr Blick auf einen Rollstuhlfahrer, der ihr Lächeln nicht erwidern kann, so wenig menschlich ist sein Gesicht, und der es trotzdem versucht. 'Entstellt', denkt sie, was man nicht denken soll, das ist eines dieser Wörter, »Alberich«, unterbricht Stimme den Gedanken, »er ist online und offen für Gartenarbeiten aller Art.«

      Yukiko sagt nichts, starrt ihn nur ungebührlich an, den Zwerg, der in seinem völlig overstylten Gefährt ganz verloren wirkt, und der sich also Alberich nennt, wie der aus der Sage; oder war es Oper? Beides, weiß sie binnen viereinhalb Nanosekunden, also sofort: Nibelungen und Wagner, ihr himmeL'sches Cloudgedächtnis ist Eins-A. Aber so totaldeformiert, wie er da vor bzw. unter ihr sitzt oder hockt, sieht der Kerl aus wie der Fehldruck einer missglückten Tool-Replikation. Sein hinter, über ihm aufkragender metallischer Greifarm winkt ihr nach, als sie weitergeht, was nicht weniger aufdringlich ist als ihr Starren zuvor, aber alles noch im Rahmen, man kann sogar zurückwinken, ohne dass das was hieße. Sie winkt also zurück; der schachtelhalmartige Greifarm ist noch eindrücklicher als der Kerl selbst.

      »Yukiko ist der Meinung, keinen Gärtner zu brauchen …«, sagt Yukiko, als sie außer Hörweite des Wesens ist. Andere Anwendungen könnten sie hören, tun das aber nicht, weil sie selbst konversieren, und weil deren eigene FRIENDs schon für alles sorgen.

      Stimme antwortet nicht. Yukiko vergisst den Zwerg und betritt die Ratsschänke.

      12.

      Der Zwerg. Der persönlichkeitsverschränkte, der mit bürgerlichem Namen Albin heißende Zwerg Alberich ist weder ein klassizistischer der Wagner-Literatur, noch medizinisch ein typisch Zwergenwüchsiger. Das offensichtliche Fehlen der meisten Knochen macht ihn eher zu einem gefüllten Hautsack, einem dabei nicht einmal hautfarbenen, sondern mit einem PG von unter eins albinoiden, zugleich aber auch schwarzbunten Klumpen, von hand- bis tellergroßen Muttermalen übersät, mit lokalen PGs größer 99, und Kopf und Rumpf sind zulasten eines artikulationsfähigen Mundes halslos miteinander verwachsen und die Extremitäten verdienen die Bezeichnung nicht. Der Zwerg Alberich ist so etwas wie Gottes Resteverwertung; überlebensfähig nur, wenn mit seinem prothetischen Multifunktionsrasenmäher verschraubt und aufs Engste über ein Netzwirrwarr komplizierter Überwachungs- und Kommunikationssensorik mit dem verkabelt und verdrahtet, was man die Welt nennt und deren informationelle Essenz - sprich: den himmeL - meint. Er beherrscht die Klaviatur dieser himmeL'schen Welt, IDENTIFIZIERT SICH, nennt hunderttausend Freunde seine und jeder Lidschlag ist ein Befehl, der ihn eintauchen lässt in ihre Leben.

      Der Zwerg Alberich lässt seine Tochter ziehen, ohne sich erkennen zu geben, natürlich ohne das: a) was soll sie denken, dass ihr Daddy kein stattlich gebauter Dottore ist, sondern eine Missgeburt, die sich augenscheinlich als Tagelöhner verdingt, und b) verfolgt Alberich ganz andere Ziele mit ihr. Unter anderem.

      13.

      Beim Kaffee, den Thomas schwarz trinkt und den deinen milchschaumkakaobepuderten