ich du er sie es. null DERHANK

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Название ich du er sie es
Автор произведения null DERHANK
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847616733



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betont das 'aber' als hättest du versucht, ihn zu unterbrechen, als wolle er sagen, lass mich den Gedanken zu Ende bringen – aber ich bin Buddhist! Er sieht dich an, provozierend, als wäre das eine Ungeheuerlichkeit, Ich bin überzeugter Buddhist!

      Schweigen.

      Ja?, fragst du, und?

      Ich glaube, das Leben ist ein Rad.

      Deine Nicht-Empörtheit scheint ihn zu irritieren.

      Doch keines an einem Wagen!, sagt er, … du kennst das?, das Symbol des Buddhismus, das Rad, der Wagen …?

      Ja, kenne ich, sagst du, Wieso dann nicht an einem Wagen? Der Wagen ist doch …

      Jaaa, er hebt seinen Zeigefinger, Darin unterscheidet sich meiner vom traditionellen Buddhismus!

      Thomas lehnt sich zurück, verschränkt die Arme, sieht dich abwartend an, und beugt sich gleich wieder vor, immerzu bemüht, eine schlaue Figur zu machen. Die nächsten Sätze mit einer Nachdenklichkeit gesprochen, die man ihm fast abnehmen kann:

      Vielleicht aber auch nur ein formaler Unterschied, ich denke, das Rad an sich ist ein treffendes Bild, das der gute alte Prinz Gautama da kreiert hat, aber für mich ist es ein sich drehendes Mühlrad, halb unter Wasser, das ist der Tod, und halb darüber, das Leben, erst auftauchend, dann aufsteigend, und auf dem Zenit glaubend, alles sehen zu können, alles verstanden zu haben, doch dann geht es wieder hinab, und man taucht am Ende wieder ein ins Unbewusste, bis es wieder von vorne losgeht.

      Und nichts verändert sich?, fragst du, Keine Entwicklung, alles auf ewig immer dasselbe? Der Wagen hätte doch wenigstens noch den Weg, also ein Ziel …

      Ziel? Er presst die Lippen zusammen, geht mit dem Löffel in die leere Tasse, hebt ihn wieder hinaus, dreht ihn vor seinen Augen; ein kleiner dunkler Tropfen, der sich an der Kante sammelt, fällt zurück ins Gefäß. Wenn hier wer ein Ziel hat, dann das Wasser, sagt er, Wir aber, wir Individuen, wir sind die Paddel des Mühlrads, jeder eines, und alle bleiben wir bei der Mühle, schaffen sogar irgendwas, Mehl, Brot für die Welt, haha!, was Sinnvolles sicher, aber für wen? FÜR WEN, frage ich dich?!

      Du sagst nichts. Du stellst dir eine Wassermühle vor, die sich dreht und dreht und dreht, aber da ist keiner, weil niemand mehr das braucht, das Drehen, die Mühlsteine schaben aneinander ohne ein einziges Getreidekorn dazwischen, eine stillgelegte, langsam verfallende Mühle, und nur das Mühlrad dreht sich und dreht sich und hat die Hoffnung nicht aufgegeben …

      Ganz oben, fährt er fort, Da können wir - vermeintlich - die Quelle sehen, flussaufwärts, oder - schauen wir abwärts in die andere Richtung - das Meer, aber selbst das ist schon Spekulation, wer weiß, was wir da wirklich sehen, vielleicht steht auch überall Wald und wir können lediglich wilde Theorien aufstellen, wo das Wasser herkommt, und wohin es fließt, ja, wir haben keinen blassen Schimmer, was das Wasser eigentlich ist!

      Du weißt nicht, ob dich sein Sarkasmus amüsieren soll: Und das Leben ist immer dasselbe?

      I wo!, sagt er, Jeder Tag ist doch anders! Mal regnet's, mal scheint die Sonne, mal Winter, mal Sommer, und für die Hälfte aller Lebensumdrehungen ist es Nacht …, die letzten Worte leise geraunt, absichtlich theatralisch: Und unendlich finster …

      Er strafft seinen Körper, richtet sich auf, seine Augen funkeln, belustigt: Tolles Bild, oder?

      Er bekommt seinen frischen Kaffee. Schwarz.

      Aber du bist doch immer unterwegs gewesen!?, fragst du.

      Er wirkt auf einmal wie weggetreten, schaut der Bedienung nach.

      Hm?, hakst du nach.

      Wer was?, Thomas schüttelt den Kopf, dann: Und du? Immer am selben Ort geblieben …?

      Nun müsst ihr beide lachen, nicht laut, eher verhalten, aber ihr lacht.

      Von O nach L

      18.

      Wir verbrachten den Maitag zwischen Römern und Germanen, im wiederauferstandenen Nachhall eines jener Schlechtwettergemetzel, die die Geschichte durchziehen wie die Speckwürfel das Rauchbrot - ewiges Drama der Eroberer, ob Kalkriese, Little Big Horn oder Stalingrad, die Vernichtung aller großmannsüchtigen Hoffnung in Regen und Schlamm. Wie verlorene Kampfschilde lagen die rostigen Metalltafeln im Gras, versehen mit Zitaten römischer Geschichtsschreiber, die die VORAHNUNGEN der vermeintlich Unbesiegbaren, so einer der Titel, festgehalten haben:

      »Die Nacht war aus ganz verschiedenen Gründen unruhig, da die Barbaren bei festlichem Mahl mit fröhlichem Gesang oder wildem Lärm die Talniederung und die widerhallenden Waldhöhen erfüllten, während bei den Römern nur matte Lagerfeuer zu sehen, abgerissene Laute zu hören waren und sie selbst verstreut am Lagerwall herumlagen, schlaflos mehr, als wirklich hellwach …«

      Es berührte mich, das zu lesen, an diesem sonnigen Tag auf einem gemähten Rasen, und diesen hinter der Schranke von 2000 Jahren als unwirtliches, fremdes Land zu sehen, als Morast, durch den die römischen Legionäre mit 40 Kilo Gepäck marschiert sind, 25 Kilometer am Tag, um vier Uhr früh aufgestanden, zwischen sechs und sieben Abmarsch, und am Nachmittag ein ganzes neues Lager errichtet, mit Wall und Palisaden. Ein Beutel Hirse oder Weizen der Proviant für eine Woche, oft keine Wege, schon mal gar keine Straßen. In dieser Herbstnacht zu Beginn unserer Zeitrechnung, da war schon viel verloren, Ein bizarrer - und bei GOD falscher - Vorgeschmack auf unsere eigene kleine Reise, die am heutigen Tage nach kurzem Frühstück in Claras carnivor geprägter Küche begann.

      Wir stiefelten, die Rucksäcke geschultert, die Wanderstäbe eingehängt, zum Startpunkt, zum Dom, dahin, wo wir uns tags zuvor wiedergesehen hatten und die Shintobuddhistische Gesellschaft der Meinung ist, der Dom zu O sei »kein schlechterer Ausgangspunkt für einen Walkabout als jeder andere Ort der Welt«. Und wie der Zufall es wollte - der Weg führte uns am Rathaus vorbei -, trafen wir die Bedienung von gestern wieder, auf ihrem Weg zur Arbeit; und sie einen Small Talk begann, uns sofort wiedererkannte, wie ich erst annahm, und mir vor lauter Glotz die Augen aus den Höhlen fielen, und erst dann begriff ich, dass sie sich mitnichten an uns erinnerte, denn sie stellte dieselben Fragen wie gestern, als sie uns beim Abkassieren auf die Spazierstöcke angesprochen hatte. Ich sah es ihr nach; man muss sich die Anzahl der Gäste, mit denen so eine Bedienung im Laufe eines Bedienungslebens zu tun bekommt, nur einmal hochrechnen.

      Wir sprachen über das Rathaus, und den Dom, und diese unselige Geschichte, und altes Mädchen Clara packte sogar ihren Fotoapparat aus und bat das junge Mädchen Kellnerin um ein Bild von uns, vor der Altstadt von O. Es müsse aber doch eben dieser Dom mit drauf, wandte jene ein, und ich, ob das nicht zu viel verlangt wäre, sie jedoch meinte, den kleinen Umweg schon verkraften zu können, es wäre noch Zeit, bis man sie bräuchte, und so hatte ich Gelegenheit, ihr binnen weniger Minuten voll und ganz zu verfallen: Oh, diese einem japanischen Manga entsprungenen Mandelaugen! Vogelfedern von Wimpern! Lippen aus flüssigem Kupfer, gebettet in ein makelloses Gesicht; ein perfektes, weich gerundetes Dreieck aus Elfenbein, mit hoher, von einem blauschwarzen cleopatraischen Pony gesäumter Stirn und zierlich schmalem Kinn mit einem winzigen Mittelgrübchen. Das Mädchen war so überirdisch schön, dass schon die Kategorie 'Mädchen' zu kurz greift; die weite, schlichte Kleidung aus grobem hellen Leinen - langärmeliges Shirt und pluderweite Hose - ließ keinen echten Rückschluss auf den Grad der Weiblichkeit ihrer schlanken, wenn nicht sogar ausgesprochen dünngliedrigen Körperformen zu; sie war so weiblich wie zugleich androgyn, es war auch etwas Jungenhaftes oder Metasexuelles an ihr. So eine kommt aus dem himmeL, dachte ich.

      Claras Kamera, ein Schwergewicht aus jener Prähistorie, aus der auch wir selbst stammten, faszinierte sie, diese ganze Mechanik zum Drehen und Drücken, und dass man in den Kasten echte analoge Kleinbildfilme einlegen müsse, die heutzutage nur noch in einem einzigen nordkoreanischen Joint-Venture-Kloster produziert werden, das hätte das Zeug zu einem echten Retrokult, wie seinerzeit die Vinylplatte, die Postkarte oder der Röhrenfernseher (von Letzteren besaß Clara tatsächlich ein Exemplar aus den 1980ern!).

      Der fleischgewordenen Schönheitsexplosion war