ich du er sie es. null DERHANK

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Название ich du er sie es
Автор произведения null DERHANK
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847616733



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Der hat dein Innehalten gar nicht bemerkt, hat einfach weitergeredet, von concernations gesprochen, wie sie anfingen, sich concernations zu nennen und Google sich in GOD auflöste und unerreichbar geworden war. Es gäbe keinen Support mehr, und du hast nicht einmal wirklich verstanden, was er mit 'Support' eigentlich meinte, ja, du hast überhaupt nicht mehr verstanden, wovon er sprach, als er mit absurder Empörung rief, es gäbe niemanden mehr, der etwas WÜSSTE, nur noch FAQs, auf denen Antworten wie in Stein gemeißelt ständen, und Foren, in denen sich die fragenden User austauschten, in denen man Gleichgesinnte fragen dürfte, wenn das Smartphone nicht funktionierte, oder das END, und es gäbe eine regelrechte Kaste von Nerds, Hohepriester der Programmierung, die allein Googles Zeichen zu deuten verstünden, und die ihre Deutungen wie himmeL'sche Botschaften ins Netz stellten, und die die entscheidenden Tipps zur Lebensführung gaben, zum besseren Verständnis der Geräte, die das Leben ausmachten.

      Du hast ihn reden lassen, nur noch ab und zu genickt oder zustimmend gemurmelt, es schien ihm egal gewesen zu sein, ob du ihm zuhörst, und schließlich hat er mit vor Anstrengung gerötetem Gesicht aufgeben müssen. Es wäre auch so gut, man käme ja rein, ins 'Netz'. Dein Kopfschütteln, amüsiert, kurzes Abstimmen, wer zuerst ins Bad, und als er sich darin die Zähne geputzt hat, hast du hinter der Badezimmertür gestanden und gelauscht. Wie albern.

      Albern bist du, das hast du dir auch gesagt, als du endlich im Bett lagst. Auf deiner Seite neben der leeren. Die viel bequemer wäre als das alte Sofa, du hättest Thomas hier schlafen lassen sollen, in einem richtigen Bett, für ein paar Minuten hast du dir die Freiheit genommen, dir das vorzustellen, Thomas neben dir, im Dunkeln. Hast dich gefragt, ob er unruhig schläft oder wie ein Stein, ob er schnarcht, und wenn, dann wie, und wie er riecht. Wäre er dir zugewandt? Hättest du sein helles Struwwelhaar schimmern sehen können? Hätte er - meditiert? Oder gar gebetet; nein!?

      Du hättest es heimlich getan, gebetet, es wäre dir unangenehm gewesen, vor ihm, deinen Rosenkranz in die Hand zu nehmen und aufrecht sitzend die Ave Maria herunterzubeten; nein, man betet nicht HERUNTER, und Willi hatte immer gesagt, du sollest für ihn mitbeten, und er hat auf dem Rücken gelegen und deinem Murmeln zugehört, Ave Maria und Vaterunser, und Willi ist immer - immer immer immer! - eingeschlafen, aber deine persönlichen Fürbitten hätte er auch wach nie gehört, du hast sie immer nur im Gedenken vorgetragen, nie auch nur geflüstert oder gar laut ausgesprochen. Gott wäre nicht allmächtig, könnte er deine Gedanken nicht erhören.

      Wie aber geht ein 'Shintobuddhist' schlafen? Taucht er ein ins 'Netz'? Sind Thomas' Träume Computerträume? Braucht er deswegen das 'Netz'? Um auch in der Nacht, im Schlaf einen Zugang zur Welt zu haben? Zur Welt? Online? Um seine Träume in Elektronen zu verwandeln und zu - 'teilen'? Mit wem? Am liebsten wärst du aufgestanden, um ihm beim Schlafen zuzusehen. Albern.

      Ihr unterquert eine Autobahn. Die Stadtvillen liegen schon eine Weile hinter euch. Holofitti, sagt Thomas und meint mehrere pinkfarbene Amöben mit großen Augen, die über dem staubigen Betonpflaster schweben, die den rußgrauen Raum zwischen der Betonunterkante der Brücke, den Pfeilern und der darunterliegenden, die Autobahn diagonal kreuzenden Landstraße bewachen und euch ansehen. Die das scheinbar tun, natürlich sind da keine Amöben, da ist nichts, nur meterdicke Betonpfeiler, auf die man, irgendwer, Jugendliche, auf die man sogenannte dreidimensionale Farbe aufgesprüht hat. Du musst nur ein Auge schließen, dann löst sich der Spuk auf, dann legen sich diese Wesen wieder an die Wände und verzerren sich zu etwas gänzlich Unfigürlichem, verschwimmen in älteren Spraydosenbildern, in älteren und noch älteren, da liegen Generationen von Wandmalereien übereinander. Du denkst darüber nach, ein Foto zu machen, aber deine Kamera ist dafür zu alt. Sie würde die Holografien nicht erkennen. Sagt Thomas.

      21.

      Unser Weg durch die vorstädtischen Gewerbeparks nahm kein Ende. Die Holofittis waren noch das Schönste daran, und Claras naiver Versuch, sie mit ihrer Spiegelreflexkamera einzufangen, rührend. Doch was folgte, war das erwartete Grauen undefinierter Vorstadtlandschaften. Jedes Mal mit lokalpolitischen Enthusiasmus in die Landschaft gefressen, um dann sich selbst und ihrem Blech und Beton und Asphalt überlassen zu bleiben. Und ihrer Menschenleere. Hier und da Fahrzeuge, oder auch ein ganzer Fuhrpark, Gabelstapler, die vollautomatisch Lastwagen befüllten, welche wiederum vollautomatisch ihre langen oder kurzen Reisen antraten, und selbst jene Baukonglomerate, die man als Einkaufsparadiese auf grüne Wiesen oder auch ehemalige Industriebrachen gekleistert hatte, standen inzwischen leer und verlassen da. Bestenfalls noch umgebaut als Warenlager, und allerbestenfalls hatten inzwischen hie und da junge Bäume mit ihren Wurzeln die Parkplätze durchpflügt und Pflaster und Asphalt aufgebrochen. Solche vermeintlichen Schäden waren wohltuenderweise nur selten und nur stellenweise notdürftig wieder geflickt worden. Etliche Flächen, die von der Natur zurückerobert wurden, ein Kommen und Gehen, Nehmen und Geben, wer braucht schon, angesichts der neuen Zeit jenseits von Erden, diesseits so viel öde leere Fläche?

      Aber die Shintobuddhistische Gesellschaft legt ausdrücklich Wert darauf, auch diese Ära des Seins gestreift zu haben, ja, Shintobuddhistisches Pilgern misstraut der Idylle, und so hat man sich was einfallen lassen bei der Streckenführung: Unser nichts auslassender Feld-, Wald- und Pilgerweg nach M wand sich wie die Schlange um den Äskulapstab, mäandrierte um die Strecke, die vor 400 Jahren eine Postlinie gewesen war und heute von der Autobahn belegt ist. Auch damals wird dem Homo oeconomicus Zeit Geld gewesen sein, eine eilige Tagesreise für eine Papier-Mail, beritten oder per Kutsche überbracht, eine Tagesreise statt einer halben Stunde oder null Sekunden; wie lange erst haben die Römer gebraucht, bis sie ihr Ziel erreichten? Aber wir sollen ja gerade das nicht denken, darum geht es schließlich beim Pilgern: um den Weg, um die Wahrnehmung desselben, um Aufmerksamkeit und Achtsamkeit für die Seele und Beseeltheit dieses unendlich kleinen Abschnitts im Raum-Zeit-Kontinuum. Es geht um Reflexion und ums Innehalten, es geht - wenn auch nur vorübergehend - ums Aussteigen aus dem Sog, der die Menschheit über kurz oder lang auffressen wird. Wir hatten nicht einen, sondern drei Tage bis M geplant, und dieser erste führte uns nach L, mit einem kurzen Halt in H, einem Vorort, einem Subsubzentrum, wo beim Friseur eine Toilette war, deren Benutzung Clara eine Mark kostete, derweil ich wartend auf einer Batterie Pflanztröge aus rotkrümeligem Beton saß, in denen Brennnesseln den abgesägten Stumpf eines vermutlich Wacholder- oder Lebensbaumbuschs überwucherten. Daneben ein archäologischer Hinweis auf eine im Mahlstrom der Zeit verloren gegangene Pizzeria: ein lebensgroßer Pinocchio aus Bronze, der sich mit langer Nase und mit wie überrascht ausgebreiteten Armen über etwas beugte, von dem nur noch ein verrosteter Fundamentstumpf aus dem Pflaster ragte. Wobei das, was in seinen Blick mal als kindliches Erschrecken eingraviert worden war, nun - mit jahrzehntealter Patina - einen weniger jähen und mehr melancholischen Ausdruck bekommen hatte.

      »Zu Beginn unserer Zeitrechnung wird eine Mail Wochen gebraucht haben«, beschrieb ich meine Gedankengänge Clara, als es weiterging. »Wochen, bis Augustus erfuhr, dass seine Legionen hier, unter unseren Füßen, aufgerieben worden waren!«

      Unter unseren Füßen … Nach kaum einem halben Tag brannten meine Sohlen. Da umwandert man die ganze Welt und am Ende des Lebens bekommt man von einem Spaziergang Blasen an den Fersen. Auch Clara schien zu kämpfen, mit ihrem Gepäck und den eigenen Kräften. Aber jammern kann man, wenn man tot ist, sagte ich mir, sprach's auch aus und führte meine Konversation über römisch-germanische Zustände fort: Nicht einmal aufgeschrieben waren die Nachrichten, erklärte ich ihr, lediglich mündlich überbracht, Erinnerungen der letzten Überlebenden, die - von den Barbaren gejagt - weitaus unkomfortablere Wege gehabt hatten als wir. Unvorstellbar, wie zerbrechlich so eine Nachricht damals war, personifiziert auf einige wenige Köpfe, die obendrein abzuschlagen ein ganzes Rudel tollwütiger Germanen trachtete, während heute ein jeder Gedanke hundert- oder tausendfach kopiert und gesichert wird. »Wie wird sich so ein Mensch gefühlt haben«, rief ich ins Unterholz, »auf seiner Flucht bis zum Rhein?« Wird er, neben der nackten Existenzangst auch eine Ahnung davon gehabt haben, dass auf ihm allein die Beweissicherung der Geschichte lastet?

      Clara, einsilbig, hatte keinen Sinn fürs Epochale, eher eine fotografische Vorliebe für die gemauerten Durchlässe und kleinen Brücken, welche über die Drainagegräben auf die Felder führten - mitunter metertiefe grasbewachsene Kerben, meist Wasser führend. Wie viele Bäche und Rinnen das Land durchziehen,