ich du er sie es. null DERHANK

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Название ich du er sie es
Автор произведения null DERHANK
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847616733



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das ist, Yukiko hat keine Ahnung, die dem die Hosen ausziehen werden, davon schwärmt er ihr immer feuchter ins Ohr, der Tatarenbart, und wird für die Uhrzeit ein bisschen zu zudringlich, sodass Yukiko ihn wieder loslässt und ihre Aufmerksamkeit auf ihre linke Körperhälfte beschränkt, während der Mann zu ihrer rechten, der Älteste der Gruppe, ein gestandener Fiskalhasardeur, sich rühmt, dass seine Kunden, seine!, ihre Steuern nur noch in Drachmen bezahlen würden, früher, vor der Währungsunion, da wären Steueroasen noch etwas Geografisches gewesen, ferne Inseln oder Stadtstaaten, heute dagegen seien es gewisse frei handelbare Währungen, handverlesene, man müsse nur wissen welche und wie, und er, er bevorzuge die mediterranen, nicht nur die griechische, auch spätantike Sesterzenderivate versprächen nahezu steuerfreie Einkommen, er wisse eben wie, sein Leben habe er dem Schutz der concernations gewidmet, Schutz vor der Kleinkrämerei bornierter Sozialstaaten, und Yukiko zieht ihm die Haut vom Handrücken, weil der Mann das Pech hat, mit einer Haut geboren zu sein, die für zwei oder drei gereicht hätte, und die sich deshalb in feine Wellen aus Falten legt, so runzelig, dass man diese Haut überall, aber bevorzugt am Handrücken, mit zwei Fingern fassen und hochziehen kann, und das tut Yukiko, weil es ihm gefällt, dieses Hauthochziehen, denn es ist, als bräuchte man gar nicht aufhören damit, es ist, als könne man die Haut abziehen und ein junger Gott käme darunter zum Vorschein. Doch der Hautlappenmann hat irgendwann genug davon und auch die anderen werden langsam unruhig, Yukiko verlässt die Gruppe umgehend, noch zwei, drei Hinweise zu den Zimmern, ein »bis gleich!«, was überwiegend (aber nicht nur) virtuell gemeint ist, und begibt sich auf die andere Seite des Bartresens der Hotelgaststätte und während die vorgeilen Kerle die Treppe hinaufstiefeln, fragt sie sich, warum sie immer wieder an Jobs gerät, bei denen so schwer Verdauliches angepriesen wird wie auf der aktuellen Speisekarte des 'Mühlrads'.

      Ein Mann und eine Frau, von denen Yukikos extern gebeuteltes Gedächtnis eine vorübergehend nicht greifbare Erinnerung in sich spürt, sind erwartungsgemäß eingetroffen, ohne dass sich Yukiko die Erwartung erklären kann. Alt sind sie, die beiden, so viel stellt sie fest, er ein klassischer Europide mit einem PG von 8 oder 9 und einer lange nicht mehr upgegradeten bzw. sehr unvollständigen RudimentärConnexion, und sie eine mit einem PG von 95 oder mehr und disconnected bis zum Geht-nicht-mehr. Mutmaßlich noch nie gesehen, die beiden, und doch seltsam vertraut. Yukikos innere Sperre ist wie eine plötzlich aufgetane Lücke, um die jeder aktive Gedanke nun einen Bogen machen muss, ein assoziatives schwarzes Loch, aus dem heraus von Yukiko plötzlich und intuitiv verlangt wird, das Paar mit den nimmersatten Augen Papa BIGs anzusehen. Kaum tut Yukiko das, schaut also achtsam und analytisch, ist sie wieder freigeschaltet und wiedererkennt das Paar, auf das sie ein Auge zu werfen hat (ohne zu wissen warum).

      »Lass die Augen zu!«, ermahnt sie Hana sogleich, wieso eigentlich, Hana?, fragt sich Yukiko und schließt folgsam die Augen und sieht, dass die Männer nun oben sind, auf ihren elektrischen Stühlen sitzen und auf gewisse Anwendungen warten, für die Yukiko quasi geboren ist. Ihr kommt bei der Connexion mit dem Hautlappenmann eine unerwünschte Aversion in den Sinn, ein leichter Ekel und die kurze aber intensive Vorstellung, sein Stuhl wäre ein Original aus der Hochzeit der amerikanischen Todesstrafe und der ihn stimulierende Elektrodenstrom ein finaler.

      »Unprofessionell!«, kommentiert Hana dieses ungeplante Negativgefühl, und Yukiko öffnet die Augen wieder und legt beide Hände auf ihr FRIEND, das wie eine Unterlage auf dem Tresen liegt. Sie wird später, wenn die Elektronik das Vorspiel beendet hat, hochgehen und jedem einzelnen ihr Tool, also sich selbst, anbieten für dies und das, aber das hat noch Zeit, und sie fragt sich, wieso sie so daran gefesselt ist, an dieses Tool, wenn es doch stimmt, wie man sagt, dass ihre Kerndisposition eine prägenetische bzw. virtuell ist. Doch so naheliegend dieser körperlose Gedanke auch ist, seine konkrete Ausformulierung entzieht sich ihr wie ein übergeordneter Verbotstatbestand.

      Lieber als die auf sie wartenden User upstairs ist ihr allemal ein Tool wie das männliche dort, ein Tool, dessen FRIEND übrigens auch keinen Namen hat, worauf ihr Hana explizit entgegnet, dass dessen FRIEND ein END sei, und ein END von sich aus nie auf die Idee käme, nach einem Namen zu fragen.

      27.

      All meine nihilistischen Gedanken waren plötzlich nichtig angesichts der Managerin des Gasthauses 'Zum Mühlrad', in dem wir zu nächtigen gedachten. Unmöglich und doch unverkennbar war sie es, sie, die Reisebegleitung der Rüstigen von eben, oder die freundliche Passantin, die uns vor dem Rathaus von O fotografierte, oder die Bedienung aus der Ratsschänke, sie, immer dieselbe, was mir die Sprache sprichwörtlich verschlug und in ihrem Augenaufschlag so etwas wie ein Wiedererkennen signalisierte. Aber da mag ich mich täuschen, vielleicht hat sie mich kein bisschen erkannt, auch Clara schien diese Person mit nichts in Verbindung zu bringen, und ich wagte es nicht, sie oder sie zu fragen, zweifelte ich doch plötzlich an meiner eigenen Zurechnungsfähigkeit. Denn wie ich sie - es war doch gewiss sie!?, nur in immer anderer Rolle - wie ich sie nochmal und nochmals ansah, fragend oder wie blöde gar, da sagten ihre Augen nur: 'Is' was?'

      Ich fürchtete schon, sie würde mich für einen verkalkten Trottel halten, dem eine Art Altersbrunft soeben den letzten Rest des Verstandes austrieb. Ich konnte es nicht lassen, immer und immer wieder hinüberzuschielen, während sie mit anderen Gästen sprach oder der Küche Anweisungen erteilte, oder oder oder, ich musste mich zusammenreißen, auch mal etwas zu Clara zu sagen, mich nach ihrem Befinden zu erkundigen, schließlich hatte die Strecke sie sichtlich überfordert, und auch meine Füße hatten zu beiden Seiten prächtige Blasen aufgeworfen. Wir konnten ein bisschen gemeinsam stöhnen und jammern und uns mental schon einmal auf den napoleonischen Gewaltmarsch von L nach M einstimmen, 25 Kilometer waren das heute gewesen, den ganzen Tag gelaufen, dafür morgen, nach L, deutlich weniger, doch übermorgen will noch mindestens eine Stunde eher begonnen sein.

      Die Schöne brachte uns Spargel en masse, echten, wohlgemerkt, wozu noch Butter oder Schinken?, aber Clara vertilgte sogar ein ganzes Schnitzel dazu und sagte kein Wort. Echtfleisch angeblich sogar. Was mich nicht weniger anwiderte als künstliches, mir genügten Kartoffeln, auch die echt, und ein Schuss feines Olivenölimitat. Doch nahm ich mir vor, ihr ihre Schwächen nicht zu sehr vorzuhalten, wir hatten noch ein paar gemeinsame Tage vor uns und nichts vergiftet das Zwischenmenschliche mehr als Diskussionen ums Essen. Das sagte ich ihr auch, berührte dabei sogar ihre Hand, »es ist in Ordnung, was du isst«, sagte ich ihr, worauf sie die Augenbrauen runzelte und den Kopf schüttelte, und mich damit beschämte, und mich aus der Beschämung gleich wieder herausriss und auf einen an der holzvertäfelten Wand hängenden Kupferstich einer alten Mühle zeigte, vermutlich derselben, in der wir gerade saßen, die Mühle vor der verunkenntlichenden Kernsanierung.

      »Hast du hier irgendwo ein Mühlrad gesehen?«, fragte ich sie, und da war plötzlich etwas im Blick der Chefin, das eindeutig mir galt und mir mein armes Herz rasend machte.

      Aber Clara schüttelte nur den Kopf und meinte: »wegen gestern …«

      28.

      Aaron Menachem vom Stamm der Lemba aus Südafrika ist homosexuell. Sein natürliches, von klein auf gelebtes Interesse an Nagellack und Mädchenkleidern war seinem wohlwollenden Oheim Jakob Menachem daher Anlass gewesen, ihn frühzeitig aus seinem elterlichen Dorf herauszunehmen und in ein Internat nach Tel Aviv zu schicken, in der irrigen Annahme, dort wäre man dem Jungen gegenüber toleranter als in Johannisburg, wo man Aaron schon in der Highschool angemeldet hatte. In Tel Aviv kämen ja nur eine jener drei Todsünden, die ein Mensch gebürtig mit auf die Welt bringen kann, zum Tragen: Dort, in der 'Gay Capital of Middle East', wäre Aaron mit seinem PG von fast 99 lediglich schwarz - aber nicht mehr schwul und sowieso kein Jude mehr. In Johannisburg dagegen wäre es genau andersherum: Aaron wäre zwar dort kein Schwarzer, aber unverkennbar schwul - und obendrein ein Jude, was seit zweitausend Jahren oder länger außerhalb des Kibbuz immer irgendwie ein Problem darstellt.

      Für Aaron ist Tel Aviv allerdings nur das Sprungbrett in die eigentliche Welt gewesen, die zuerst Berlin hieß, wo er nach dem Schulabschluss Architektur studierte und von allem nur noch ein bisschen war, und dann New York, wo sich auf angenehmste Weise seine verteufelten Stigmata in indifferentes Wohlgefallen auflösten. Für Aaron ist das schwule, schwarze, jüdische New York zur eigentlichen Heimat mit dauerhafter