Afrikanische Märchen auf 668 Seiten. T. von Held

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Название Afrikanische Märchen auf 668 Seiten
Автор произведения T. von Held
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742763129



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die Verteilung der Erbschaft zu sprechen. Sie blickten

       einander an und sprachen: »Der Vater hat gesagt:

       ›Muhammed soll erben, Muhammed soll erben, und

       Muhammed soll nicht erben!‹« Darüber stritten sie

       sich nun und begaben sich schließlich vor den Richter.

       Als sie vor den Richter gekommen waren, erschien

       ihm die Entscheidung ihrer Sache zu schwierig;

       deshalb sprach er: »Über euch soll der Kadi

       Hiddi Recht sprechen!« Da empfahlen sie sich Gott

       und reisten (zum Kadi Hiddi). Als sie des Weges einherzogen,

       kamen sie an einen Ausruheplatz der Kamele.

       Der erste Bruder blickte auf und sprach: »Das

       Kamel, das hier gewesen ist, hat keinen Schwanz gehabt.

       « Der zweite blickte auf und sprach: »Das Kamel

       war einäugig.« Der dritte sprach: »Die Last, die das

       Kamel trug, war auf einer Seite etwas Süßes, auf der

       andern Seite etwas Saures.« Als sie weiterzogen, da

       begegnete ihnen der Besitzer des Kamels; der suchte

       sein Kamel. Er fragte die drei Brüder: »Ist euch ein

       Kamel begegnet?« Der erste Bruder sah auf und

       sprach: »Dein Kamel hat keinen Schwanz?« Der Besitzer

       des Tieres entgegnete: »So ist es!« Der zweite

       Bruder fragte: »Dein Kamel ist einäugig?« Der Gefragte

       erwiderte: »Gewiß!« Der dritte Bruder forschte:

       »Dein Kamel trug auf der einen Seite eine süße, auf

       der andern Seite eine saure Last?« Jener bestätigte

       dies wiederum.

       »Also ihr,« rief er aus, »habt mein Kamel, denn ihr

       habt mir seine Kennzeichen angegeben!« Die Brüder

       entgegneten: »Junger Mann, wir haben dein Kamel

       nicht!« Jener fragte sie: »Wo habt ihr es da gesehen?«

       Die Brüder entgegneten: »Wir haben es gar nicht gesehen!

       « Da hielt der Besitzer des Kameles die Brüder

       fest und wollte sie nicht fortlassen. Jene sprachen:

       »Wir wollen gerade zum Kadi Hiddi; drum geh du

       mit uns!«

       Bald gelangte man zum Kadi; der Besitzer des Kamels

       trat zuerst vor und sprach: »Mein Kamel befindet

       sich im Besitz jener jungen Leute!« Der Kadi

       sprach zu den drei Brüdern: »Gebt ihm sein Kamel!«

       Die Brüder erwiderten: »Zwischen ihm und uns sei

       Gott Zeuge! Wahrhaftig, wir haben sein Kamel

       nicht!« Da blickte der Besitzer des Kameles auf und

       rief: »Aber sie haben mir doch genau seine Kennzeichen

       angegeben: mein Kamel habe keinen Schwanz;

       es sei einäugig und trage auf der einen Seite eine

       süße, auf der anderen Seite eine saure Ladung!« Der

       Kadi fragte hierauf den ersten der Brüder: »Woran

       hast du erkannt, daß es keinen Schwanz hatte?« Der

       Gefragte entgegnete: »Wenn das Kamel mistet, so wedelt

       es mit seinem Schwanze den Mist auseinander, so

       daß derselbe breit gekollert wird. Als ich nun den

       Mist sah, fand ich ihn auf einen Haufen gehäuft. Da

       erkannte ich sofort, daß das Kamel keinen Schwanz

       habe.« Hierauf wandte sich der Kadi an den zweiten

       Bruder mit den Worten: »Woher hast du geschlossen,

       daß das Kamel einäugig sei?« Jener entgegnete: »Ich

       sah, daß es auf der Seite, wo sein Auge (nach meiner

       Vermutung) heil war, das Gras abgefressen hatte,

       während auf der Seite, wo das Auge des Kamels (nach

       meiner Ansicht) erblindet war, das Gras stehen geblieben

       war.« Schließlich wandte sich der Kadi an

       den dritten der Brüder mit der Frage: »Woher weißt

       du, daß das Kamel auf der einen Seite eine süße und

       auf der andern eine saure Ladung trug?« Der dritte

       Bruder entgegnete: »Auf der Seite, wo ich das Saure

       vermutete, schwärmten über dem Heruntergetropften

       Mücken; aber auf der Seite, wo ich das Süße vermutete,

       summten Fliegen.« Da wandte sich der Kadi an

       den Besitzer des Kameles und sprach zu ihm: »Wie

       war dein Kamel beschaffen?« Jener entgegnete: »Es

       war in der That ohne Schwanz, ferner einäugig und

       trug auf der einen Seite Saures und auf der andern

       Süßes, auf der einen Seite Essig und auf der andern

       Honig!« Da sprach der Kadi: »Nun, dann suche dir

       dein Kamel. Die Leute hier haben durch ihre eigene

       Schlauheit die Merkmale deines Kameles herausgefunden!

       Sie sind kluge Leute!«

       Hierauf wandte sich der Kadi an die drei Brüder

       und fragte sie: »Was ist eure Streitsache?« Die Brüder

       entgegneten: »Herr, als unser Vater ans Sterben

       kam, da sagte er: ›Muhammed soll erben, Muhammed

       soll erben, und Muhammed soll nicht erben!‹ Wir

       wissen aber nicht, wer das ist (der nicht erben soll);

       wir heißen alle drei Muhammed!« Der Kadi erwiderte:

       »Schlaft heute Nacht bei mir als Gäste! Morgen

       will ich euern Streit schlichten!« Hiermit ließ er sie

       ins obere Stockwerk kommen, rief dann seinen Hirten

       her und befahl ihm: »Geh hin und schlachte für die

       Gäste ein Lamm!« Der Hirt schlachtete ein Lamm für

       die Gäste, zog es ab und schaffte es nach dem Hause,

       damit es der Kadi für jene braten lassen könne. Bald

       brachte man den Brüdern das Abendbrot. Sie began-

       nen zu speisen; der Kadi aber horchte draußen vor der

       Thür des Zimmers ihrem Gespräche zu. Einer von den

       Brüdern sah auf und begann: »Dies ist Hundefleisch!

       « Der andere sprach: »Die Frau, welche das

       Abendbrot bereitet hat, ist krank!« Der dritte rief:

       »Der Kadi ist ein unehelicher Sohn!« Die beiden anderen

       Brüder aber riefen: »Nein, Mensch, sage nicht,

       der Kadi sei ein unehelicher Sohn! Woher weißt du

       denn das von ihm?« Der Gefragte erwiderte: »Wer ein

       Essen auftragen läßt und nicht mit seinen Gästen

       speist, der ist stets ein uneheliches Kind!«

       Der Kadi hatte also ihr Gespräch gehört.