Afrikanische Märchen auf 668 Seiten. T. von Held

Читать онлайн.
Название Afrikanische Märchen auf 668 Seiten
Автор произведения T. von Held
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742763129



Скачать книгу

entgegnete: »Laß mich! Heute noch kann ich leben

       und morgen muß ich sterben!« Sie fragte ihn:

       »Warum?« Er entgegnete: »Der Sultan hat an mich

       eine Anforderung gestellt, die mir nicht ins Herz hinein

       will!« Sie sprach: »Laß mich dir einen Rat geben!

       Was ist's mit dir?« Der Wesir erwiderte: »Es weilt ein

       Räuber in der Stadt, gegen den können sich die Bürger

       nicht schützen. Der Sultan hat mir nun gesagt:

       ›Entweder bringst du mir jenen her, oder ich lasse dir

       den Kopf abschneiden!‹« Die Frau erwiderte hierauf:

       »Nimmst du mich zur Gemahlin, wenn ich dir einen

       guten Rat gebe?« Der Wesir entgegnete: »Ich werde

       dich nehmen; gieb mir aber erst einen guten Rat!« Da

       sprach sie: »Hier im Grabe liegt mein Mann, mein

       Vetter, der ist seit einem halben Monat tot. Nun, den

       wollen wir aus dem Grabe hervorholen und ihm den

       Kopf herunterschneiden; dann sprich du zum Sultan:

       ›Hier ist der Kopf des Räubers!‹; der Sultan kennt

       jenen nicht!« Der Wesir blickte sie an und sprach zu

       ihr: »Der Dieb ist aber einäugig!« Sie entgegnete:

       »Warte nur, laß mich ihm ein Auge herausreißen und

       ihn einäugig machen!« Hiermit riß sie ihrem toten

       Gemahle ein Auge aus und machte ihn einäugig. Der

       Wesir nahm den Kopf, brachte ihn zum Sultan und

       sprach zu ihm: »Mein Herr, da ist der Kopf des Diebes!

       « Am folgenden Tage sandte die Frau an den

       Wesir und ließ ihm sagen: »Du mußt mich nun heiraten!

       « Der Wesir aber ließ ihr antworten: »Wäre an dir

       etwas Gutes, so hättest du unmöglich deinen Vetter,

       den trauten Genossen deines Lebens, aus dem Grabe

       hervorholen und ihn seines Kopfes und eines Auges

       berauben können! Such nur umher nach Herzenslust:

       vielleicht findest du ein paar Schwarze, die kannst du

       ja nehmen!«

       Der Sperling wandte sich an die Eule und sprach

       zu ihr: »Halte nicht alle Frauen für gleich; da giebt es

       auch eine gute und eine böse Art!« (Er begann nun

       folgendermaßen zu erzählen.)

       Ich nistete auf einem Hause, wo schon Vater und

       Großvater genistet hatten. Daselbst wohnte eine Frau,

       die war mit ihrem Vetter schon als Kind verheiratet

       worden. Da er sie sehr lieb hatte, ließ er ihr Bild auf

       seine Schnupftabaksdose malen, damit er sie sähe,

       wenn er die Dose beim Schnupfen hervorzöge. Er war

       ein Großkaufmann; einst mußte er eine Reise machen,

       drum nahm er Waren und begab sich nach einer andern

       Stadt, um dort zu handeln. Er gelangte nach

       jener Stadt, brachte seine Waren in einem Laden unter

       und begann sein Geschäft, so wie er begehrte. In dieser

       Stadt waren aber viele Diebstähle vorgekommen,

       und es befand sich da eine Masse von Dieben und

       Räubern. Eines Tages stand er des Morgens auf, um

       in der Moschee zu beten; er meinte, der Tag sei schon

       weiter vorgeschritten, und es sei nicht mehr früh; da

       nahmen ihn die Nachtwächter fest und führten ihn vor

       den Richter. Der fragte ihn: »Was ist mit dir, mein

       Sohn?« Er entgegnete: »Ich bin ein Kaufmann und

       treibe Handel in meinem Laden.« Der Richter fragte

       weiter: »Was hat dich so früh aufstehen heißen?«

       Jener erwiderte: »Ich dachte, der Tag sei schon ein

       gutes Stück vorgeschritten, und der erste Gebetsruf

       sei vorüber.« Der Richter sah ihn an und sprach zu

       ihm: »Hast du die Verordnung nicht vernommen?«

       Der Kaufmann entgegnete: »Nein!« Da fuhr ihn der

       Richter an: »Du lügst, du bist ein Dieb und Diebessohn!

       Führt ihn ins Gefängnis!«

       Als man ihn ins Gefängnis führte, da entfiel ihm

       seine Schnupftabaksdose, er tastete nach ihr umher,

       konnte sie aber nicht finden.

       Der Richter bekam sie zu Gesicht und brachte sie

       zu dem Sultan, um ihm das herrliche Bild zu zeigen.

       Der Sultan sah die Dose und begann die Einheit Gottes

       zu preisen; er blickte seinen Wesir an und befahl

       demselben: »Begieb dich zum Eigentümer dieser

       Dose und frage ihn, aus welcher Stadt er ist und wie

       er heißt!« Der Wesir begab sich ins Gefängnis und

       begann mit jenem auf eine freundliche Art und Weise

       zu sprechen und ihm Mut zu machen; er sagte zu ihm:

       »Wir werden uns für dich verwenden und deine Freilassung

       bewirken.« Dann fragte er ihn: »Aus welcher

       Stadt bist du?« Der Kaufmann entgegnete: »Aus der

       und der Stadt und ich wohne in dem und dem Viertel.

       « Hierauf verließ ihn der Wesir und begab sich

       zum Sultan, zu dem er sprach: »Ich habe jenen nach

       seiner Heimat befragt, und er hat mir mitgeteilt, aus

       welcher Stadt er kommt und in welchem Viertel er

       wohnt.« Der Sultan sprach: »Höre, Wesir! Ich wünsche,

       daß du ein Schiff mit Waren befrachtest und

       nach jener Stadt, wo sich die Frau dieses Kaufmanns

       befindet, reisest; handle klug und umsichtig und bringe

       mir diese Frau!« Der Wesir entgegnete: »Gott befohlen!

       der Befehl der Sultane erheischt Gehorsam!«

       Der Sultan rüstete dem Wesir ein Schiff aus, und

       dieser segelte ab. Er gelangte nach der Stadt, wo sich

       die Frau des Kaufmanns befand, kam in dem Hafen

       an, schaffte seine Ware nach der Stadt, mietete einen

       Laden, brachte seine Waren in diesem Laden unter

       und begann sein Geschäft wie die übrigen Leute.

       Schließlich kam eines Tages eine alte Frau zu ihm;

       die kam, um bei ihm zu kaufen; sie sah ihm an, daß er

       erst seit kurzem da war. Sie sprach zu ihm: »Hast du

       feine Zeuge, etwa die Stoffe ›Bostra‹ ›Bedrucktes‹

       und ›Spinnewebe des Palastes‹?« Er entgegnete ihr:

       »Ja, das habe ich?« Er fragte: »Was willst du damit

       thun?« Sie entgegnete: »Ich