Название | Gelbfieber |
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Автор произведения | Thomas Ross |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783742722485 |
14
Heute standen die letzten Berge bevor, danach sollte das lange, abschließende Zeitfahren erfolgen. Die Teamsitzung war kürzer als üblich ausgefallen.
Waitz befahl Angriff und bedingungslose Hingabe. Ben lag dreieinhalb Minuten hinter Mulligan und vierzig Sekunden hinter Pellegrini. Der Etappensieg musste her, und das Minimalziel der Mannschaft war, eine Lücke zwischen Ben und Mulligan zu reißen. Pellegrini könne man als schlechteren Zeitfahrer zur Not wegfahren lassen, Mulligan nicht. Während Waitz den Plan vortrug, studierte der Mannschaftsarzt eine Liste mit den aktuellen Leistungsdaten seiner Fahrer. Sein Blick verriet tiefe Besorgnis. Würde es reichen, um diesen Mulligan in Schach zu halten?
Drei Stunden später wusste man Bescheid. Mulligan rollte als Zweiter zeitgleich mit einem Ausreißer, den er eingeholt hatte, ins Ziel, weit vor Ben, der Vierter wurde. Ein kurzer Handschlag, Konvention nach hartem Kampf, und dann das schmerzfreie Gefühl der hoffnungslosen Leere. Enttäuschung, Bitterkeit und Neid – noch waren es ferne, kaum greifbare Empfindungen, die im Dämmerschlaf auf dem Massagebett verborgen lagen, sich aber zeigen würden, wenn die Lebensgeister zurückkämen und die Fahrer, die Ereignisse des Tages rekapitulierend, endlich begriffen, was vorgefallen war.
Ben begriff es nicht. Um ein Uhr nachts stand er auf, klingelte den Teamleiter aus dem Bett und verlangte eine Unterredung. Waitz wies ihn zurück. Worauf Ben den Fuß in die Tür schob und sie gewaltsam aufdrückte. Waitz stieß Ben eine Hand vor die Brust. Wütend packte der seinen Teamchef am Arm.
„Verdammt noch mal, was denkst du, wer du bist!“, schrie Ben. „Die verdammte Transfusion war völlig wertlos; dieser Bastard hätte noch schneller fahren können.“
Waitz zog Ben ins Zimmer.
„Bist du verrückt geworden? Kommst hier rein und setzt mir die Pistole auf die Brust, du dummer Junge? Ein Wort von mir und du siehst kein Land mehr, in der Gosse landest du, kannst für den Rest deines Lebens Tüten kleben in dem Dreckloch, wo du herkommst!“
Ben sah die Wand an.
„Schau mir in die Augen, wenn ich mit dir rede, du Feigling! Ein großer Champion willst du sein, was? Sieh dich doch an, ein Rüpel bist du! Glaubst du im Ernst, wir wüssten nicht, was das Stündlein geschlagen hat? Mulligan hat was Neues, die Amerikaner haben was Neues, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Niemand fährt den Tourmalet mit 460 Watt hoch, niemand, nicht mit herkömmlichen Mitteln.“
Ben setzte sich aufs Bett und kratzte sich am Hals.
„Ja, kratz dich nur, mein Kleiner, du hast richtig gehört. 460 Watt, 40 Minuten lang hat der das getreten. Bei dir warenʼs 440, und du bist optimal eingestellt. Mulligan hat was Neues, sag ich, und damit basta. Was das für uns bedeutet ... wir werden sehen. Aber die Tour ist verloren.“
In Bens Augen standen Tränen der Wut und der Enttäuschung.
„Ja, heul du nur“, spottete der Teamchef, „und find dich damit ab, die Tour ist weg!“ Nachdenklich fügte er hinzu: „Aber nächstes Jahr, verlass dich drauf, da sehen wir uns alle wieder.“
Waitz zog die Jalousien zurück und öffnete das Fenster. Die Nacht war mild und hell und sternenklar. Waitz sah zum Himmel, sein Blick fixierte die Sterne, seine Lippen zuckten leise, als halte er Zwiesprache mit den Göttern. „Nächstes Jahr“, sagte er laut, „packen wir ihn beim Schlafittchen, den sauberen Herrn Mulligan! Du gehst gut trainieren und wir besorgen uns, was der hat, und dann wirst du ihn von der Platte putzen, den sauberen Herrn Mulligan. Den fegst den von der Piste, so wahr ich Eduardo heiße!“
15
Das abschließende Zeitfahren ging an Ben, aber Mulligan gewann die Tour mit zweieinhalb Minuten Vorsprung. In diesem Jahr verzichtete Ben auf die Teilnahme an der Vuelta. Es gab die Zeitfahrweltmeisterschaft, und für Ben stand der Ruf des besten Zeitfahrers auf dem Spiel. Also trainierte er eigens für diese Disziplin, ging in den Windkanal, adjustierte seine Sitzhaltung während der Anstiege und legte großen Wert auf den Zustand seiner Zeitfahrmaschine. Unterdessen interessierten sich Fahrer und Mannschaftsleitung brennend für die Hintergründe der enormen Leistung Mulligans während der Tour. Vor zwei, drei Jahren hatte ihn noch niemand so recht auf dem Schirm gehabt. Mulligan war kein Jungstar gewesen wie Ben, der früh Erfolge einfuhr und sie dann kontinuierlich ausbaute. Verglich man die Leistungsentwicklung der beiden Männer, konnte man bei Ben einen prototypisch logarithmischen Verlauf erkennen, bei Mulligan aber deutliche Schwankungen und einen späten Leistungssprung. Die Teamleitung verbrachte ganze Nächte mit dem Studium der Daten, denn es war klar, dass man über Mulligan einfach zu wenig wusste. Wie in Gottes Namen hatte er es angestellt? Alle Dopingtests waren negativ, es gab nicht ein einziges Verdachtsmoment. Mulligan hatte keine Fehler gemacht, diese Amerikaner waren gerissen. Aber es wollte niemand glauben, dass neben den üblichen Mitteln keine neuen Substanzen verwendet wurden. Glukokortikoide, Testosteron, Epo, Wachstumshormone, das war ja alles bekannt, und die amerikanischen Labors konnten es auch nicht besser als die europäischen. Man hatte alle verfügbaren Fotos und Filmaufnahmen von Mulligan gesichtet, datiert und eingehend analysiert, aber man fand keinen Hinweis auf Manipulationen. Mulligan war durchtrainiert, aber das galt auch für viele andere. Fett- und Wassereinlagerungen, Hautpigmentierung, Form und Größe der Brustwarzen, Augenfarbe, die Entwicklung des Knochengerüsts, kurz, alle Merkmale, die auf Testosteron- oder Glukokortikoidmissbrauch hinweisen, waren unauffällig.
Es blieb die Möglichkeit, dass die Amerikaner einen neuen, effizienteren, auf die individuellen Bedürfnisse der Fahrer optimal abgestimmten Applikationsplan entwickelt hatten. Es hieß, die Amerikaner hätten ein extremes Trainingspensum; wenn es ihnen gelungen war, durch Anpassung der zeitlichen Parameter die Medikamentenwirkung zu optimieren, konnte sich das positiv auf die Belastbarkeit durch Trainingsreize auswirken. Aber noch war das Spekulation, zu wenig greifbar für einen Mann wie Waitz, der eindeutige Fakten liebte.
Waitz konzentrierte sich auf die Beschaffung weiterführender Informationen über die Konkurrenzteams, die, wie man während der Tour sehen konnte, alle kleine Fortschritte gemacht hatten. Vor allem aber musste er mehr über Mulligans Mannschaft US FedEx in Erfahrung bringen. Waitz hatte bereits vor Jahren ein Netz von Helfern auf allen Kooperationsebenen geknüpft. Dazu zählten auch Journalisten, die gegen finanzielle Zuwendungen Informationen aus den gegnerischen Lagern liefern sollten. Ideal war es, wenn es einem Spion gelang, in die Unterkünfte der Konkurrenz vorzudringen. Natürlich waren die Privaträume der Fahrer für Journalisten tabu, aber das eine oder andere verdeckt aufgenommene Foto von Küche und Flur, Garten und Abfalltonne konnte wertvolle Hinweise über die Arbeitsweise der Rivalen erbringen. Es ist schwer, eine komplexe Ordnung dauerhaft auf hohem Niveau zu organisieren, und so wird es nicht ausbleiben, dass irgendwelche Gegenstände, die Rückschlüsse zulassen könnten, leere Medikamentenschachteln etwa, Blutbeutel oder Injektionskanülen, früher oder später einmal offen liegen bleiben.
Außer Journalisten wurden Putzfrauen angeworben, gelegentlich auch professionelle Fotografen und Privatdetektive, die auf die Privathäuser der Topfahrer und deren Familien angesetzt wurden. Neuerdings hatte Waitz sich mit einem Computerspezialisten zusammengetan, der gute Kontakte zur internationalen Hackerszene pflegte. Diese Strategie war neu und vielversprechend; ein Trojaner an geeigneter Stelle im gegnerischen Feld konnte Wunder wirken. Manchmal engagierte Waitz sogar Kinder, die er während der Wettbewerbe in der Nähe von gegnerischen Mannschaftsautos spielen ließ. Ihre Aufgabe war es, irgendeinen Gegenstand – einen Ball, einen Flugdrachen oder ein Spielzeugflugzeug – in dem Augenblick,