Название | Gelbfieber |
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Автор произведения | Thomas Ross |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783742722485 |
Warum er so häufig Blut abgeben müsse, hatte Ben einmal gefragt, als er mit fünfzehn erstmals bei nationalen Meisterschaften antreten sollte. Routine, alles nur Routine, lautete die Antwort, und zum Teil stimmte das ja auch. Das Blut wurde auf verbotene Substanzen untersucht, über die Details ließ man Ben im Unklaren. Es verstrichen Monate intensiven Testens und Beobachtens, bis man zu dem Schluss kam, dass hier tatsächlich eine genetische Disposition für erhöhte Hämoglobinwerte vorlag. Bei der Präsentation von Bens Ergebnissen vor Trainern und Sportfunktionären des Radsport-Landesverbandes sah man viel Kopfschütteln und hörte ungläubiges Raunen. Fragen über Fragen prasselten auf den Referenten ein, doch an der Analyse gab es nichts zu rütteln. Ben war ein Jahrhunderttalent, ein sportliches Juwel, Offenbarung und Verpflichtung zugleich für jeden Radsportmenschen. Binnen kürzester Zeit war jeder ob der zukünftigen Größe des Jungstars berauscht und freudetrunken bis zur Rührseligkeit. Der 25. November 2003 war ein Tag für die Geschichtsbücher. Aber Ben wusste von alledem noch nichts.
5
Drei Jahre später gewann Ben, neunzehnjährig, die Straßenweltmeisterschaft und den Gesamtweltcup der Amateure. Er erhielt seinen ersten Profivertrag. Es folgten ein zweiter Platz bei der deutschen Meisterschaft im Zeitfahren und weitere Auftritte auf internationaler Bühne. Seine Leistungsdaten prädestinierten ihn für längere Rundfahrten, aber auch Eintagesrennen, bei denen er mit guten Sprintern mithalten konnte. Bei den Zeitfahrweltmeisterschaften belegte er den dritten Platz hinter Juan Antonio Gonzales und Guido Bellini, die zu den weltweit stärksten Zeitfahrern zählten, und sicherte sich damit Anerkennung weit über Deutschlands Grenzen hinaus.
Bei seinem Debüt bei der Tour de France im Jahr 2007 wurde er auf Anhieb bester Jungprofi. Insgesamt erreichte er Rang zehn mit dreizehn Minuten Rückstand auf den Gesamtsieger und sechs Minuten auf seinen Teamkollegen Lasse Mickelgren, der Vierter wurde und in Bens Team auf Position Eins fuhr. Es kam die Zeit der großen Fernsehauftritte; Ben war in den Augen der Öffentlichkeit endgültig zum Hoffnungsträger für den Gewinn großer Rundfahrten aufgestiegen. Ob die plötzliche Popularität seine Einstellung zum Sport veränderte, seine Lebensführung abseits der Berge und steilen Abfahrten beeinflusste? Es lässt sich kaum sagen, denn Ben war kein Mensch fürs Rampenlicht. Nachdem die ersten euphorischen Hymnen verklungen waren, gab er sich stets scheu und wortkarg. Es war offensichtlich, dass er sich nicht wohl in seiner Haut fühlte. Dabei beantwortete er die vielen Fragen ebenso brav wie inhaltsleer, was sollte man von einem Zwanzigjährigen auch anderes erwarten? Was soll man auch sagen, wenn einer zum zigsten Male wissen will, warum es heute, nach vier Stunden Tortur im Wind, auf den letzten Kilometern nicht „gereicht“ hat? Na, da war der Akku eben leer, die anderen hatten am Schluss halt mehr drauf. Wie immer folgte die Frage nach der Teamtaktik.
Auch dazu fiel Ben nichts Aufregendes ein. Er tat einfach, was ihm gesagt wurde. Er fuhr nach Plan, aber er machte den Plan nicht, das war nicht seine Aufgabe. Es galt, auf die Beine von Lasse Mickelgren zu achten und die Sprints für Arne Paulsen anzuziehen. Im Übrigen tat er dies so gut wie niemand sonst.
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2008 gewann Ben zwei Etappen bei der Tour de France, darunter ein langes Zeitfahren. Er wurde Zweiter der Gesamtwertung, hinter Mickelgren. Das beste Ergebnis eines Deutschen in der Geschichte der Tour. Eine Sensation, die Begeisterung war grenzenlos. Es war perfekt, oder sagen wir, fast perfekt: Ein letztes Wölkchen trübte den Himmel über der deutschen Sportseele: der Gesamtsieg. Der fehlte eben noch.
An den Stammtischen und im Kreise der Sportjournalisten erregten die Fähigkeiten unseres Jungen, der quasi über Nacht zum Adoptivsohn eines ganzen Landes aufgestiegen war, die Gemüter. Was war das doch für ein Teufelsbraten: zieht seinen Boss über die höchsten Berge und gewinnt das schwere Zeitfahren trotzdem. Der Rückstand auf Mickelgren betrug am Ende gerade einmal hundert Sekunden. Ein Windhauch war das, noch Wochen nach dem Ereignis wehte er süß durch die deutschen Gassen, er wehte auch dann noch, als der Dritte der Tour, ein Italiener aus den Abruzzen, bei der Vuelta wegen Dopingverdachts aus dem Rennen genommen wurde. Man hatte überhöhte Testosteronwerte festgestellt, worauf eine zweijährige Wettkampfsperre drohte. Auf diesen Vorfall angesprochen erwiderte Ben, dass er mit Doping nichts zu tun habe, dass er Sportbetrug schäbig und unfair fände, und sprach dem Volke damit aus der Seele. Für die Öffentlichkeit war die Sache erledigt.
Tatsächlich hat es sich aber ganz anders zugetragen. Ein Rückblick.
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Sachgerecht durchgeführtes Blutdoping führt zu einem Leistungszuwachs von mindestens fünf Prozent. Auf einer Strecke von 3.500 Kilometern (das entspricht in etwa der Länge der Tour de France) wird ein gedopter Fahrer gegenüber einem nicht gedopten einen Vorsprung von 175 Kilometern herausfahren, also fast eine Etappenlänge. Bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 39 km/h macht dies über alle Etappen gerechnet einen Vorteil von knapp viereinhalb Stunden. All dies bei sehr konservativer Schätzung.
Als man Ben die Einnahme leistungsfördernder Mittel zum ersten Mal antrug, wusste er über die Details nicht Bescheid. Er musste sie auch nicht wissen, denn das Gefühl, das die Unausweichlichkeit einer Niederlage gegen jene, die nachhalfen, in ihm hervorrief, wirkte jenseits von Fakten. Ben spürte, dass sein Verzicht auf leistungsfördernde Mittel in eine Kette von Niederlagen münden würde; er hatte es am eigenen Leibe erfahren. Er, der einst so viele Rennen mit fliegenden Fahnen gewonnen hatte, er, der Mann mit dem phänomenalen Antritt am Berg, er, dessen Leistungsdaten Ärzten und Trainern Freudentränen in die Augen getrieben hatte, der immer dieses eine Prozent mehr draufhatte als alle anderen, ja, er spürte nun mit jeder Faser seines durchtrainierten Leibes, dass das Siegen nur kalte Arithmetik war. Das eine Prozent natürlicher Überlegenheit seines gesegneten Körpers stand den fünf, zehn, fünfzehn Prozent biochemischer Möglichkeiten entgegen. Fünf minus eins, eins minus fünf, wie man es auch dreht, der Betrag ist immer vier, und er ist immer negativ. Ebenso gut hätte Ben mit gebrochenen Füßen an den Start gehen können, ohne Königin gegen einen Schachgroßmeister gewinnen wollen. Fünf minus eins, eins minus fünf, so lautete das Kräfteverhältnis der nordamerikanischen Indianer, die mit Pfeil und Bogen und Streitaxt bewaffnet im Kugelhagel der weißen Armeen bluteten. Fünf minus eins, eins minus fünf, so riefen die Trommeln der afrikanischen Stämme zum Krieg gegen die europäischen Usurpatoren, fünf minus eins, das ewige Verhältnis von Sieger und Besiegtem und gnadenlose Wahrheit, der auch Ben sich fügen musste; an jenem denkwürdigen dritten Juni nämlich, bei diesem gottverdammten Anstieg zum Nufenenpass in den Schweizer Alpen. Dort durchschritt er sein Inferno, dort durchmaß er sein Leiden, sein Körper und er allein gegen den Berg, diesen verfluchten Berg. Und im Moment der größten Entäußerung fällte das grausame Schicksal sein Urteil. Es gab Weisung, das Fallbeil über dem Hals des Helden zu lösen.
Er spürte das scharfe Eisen in seinem Nacken in dem Moment, als die Dreiergruppe zu ihm aufschloss. Sein Bewusstsein blitzte ein letztes Mal auf und Ben sah ein helles Licht, dann löste sich der Kopf vom Rumpf und sein Leben erlosch in einem schwarzen Punkt. Siegfried spürte den blanken Stahl in seine Schulter dringen, und von nun an würde er ihn wieder und wieder spüren, an allen Gliedern seines Körpers, und immer aufs Neue würde er ihn sterben müssen, diesen furchtbar einsamen Tod ohne Hoffnung und ohne Liebe, einen Tod ohne Verheißung auf ein neues Leben im Radfahrerolymp. An diesem Tag erreichte Ben das Ziel als Achter mit drei Minuten und fünfunddreißig Sekunden Rückstand. Drei Minuten fünfunddreißig Sekunden, das ist eine Welt für einen, der auf der Erde steht und zu den Sternen will. Drei Minuten fünfunddreißig Sekunden, das ist der Unterschied zwischen Wachen und Träumen, Hoffen und Wissen, Leben und Sterben. In jenen bitteren Stunden der Niederlage begriff er, dass etwas Unausweichliches, etwas Endgültiges geschehen war, aus seinen Tränen schimmerte etwas hervor, das den hässlich derben Geschmack des Unumkehrbaren in sich trug; die raue Erkenntnis der Sterblichkeit brannte wie Feuer in seinem Herzen und der Schmerz dieser elenden Niederlage riss seine Seele entzwei.
Er schleppte sich durch zwei trübsinnige Wochen, dann aber spürte er in seinem Inneren eine Regung, etwas Lebendiges, Hoffnungsvolles stieg aus seinem Herzen empor. Es war eine Regung