Das Barnabas-Evangelium. Irene Dorfner

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Название Das Barnabas-Evangelium
Автор произведения Irene Dorfner
Жанр Языкознание
Серия Leo Schwartz
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738053623



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eine heftige Diskussion innerhalb der Familie Salonakis, die immer lauter wurde. Vor allem die resolute Olivia nahm kein Blatt vor den Mund und gab ihrem Sprössling Matthias kräftig contra. Es war unverkennbar, dass Matthias ganz nach seiner Mutter kam.

      Auch die Kriminalpolizei hatte an einen ausländerfeindlichen Anschlag gedacht. Allerdings bekannten sich danach immer irgendwelche Gruppen und prahlten mit ihrer Tat. Diesmal gab es nichts, absolut nichts.

      Die Familie Salonakis erlaubte, dass Leo und Hans den Laptop und das Handy des Toten mitnahmen. Vielleicht gab es darauf Informationen, die sie weiterbrachten. Fuchs nahm sich beides sofort vor und musste die Kriminalbeamten enttäuschen: Das Handy zeigte nur Verbindungen zu Familienmitgliedern und der Laptop wurde nicht häufig benutzt. Die wenigen aufgerufen Seiten waren harmlos und unverfänglich.

      Die Möglichkeit des ausländerfeindlichen Hintergrundes konnte nicht bestätigt werden, was Waldemar Schenk zufriedenstellte. Es gab in der Vergangenheit keine ausländerfeindlichen Auffälligkeiten, auch nicht seit den massiven Flüchtlingsströmen, mit denen vor allem Bayern zu kämpfen hatte. Hier waren der gemütliche Lebensstil und die positive Einstellung der Bevölkerung von Vorteil.

      Der Christkindlmarkt Altötting wurde nach zwei Trauertagen, die auch für Aufräumarbeiten genutzt wurden, fortgeführt. Nach anfänglicher Entrüstung in der Bevölkerung ging man schnell zur Tagesordnung über. Waldemar Schenk hatte für eine ständige Polizeipräsenz gesorgt, die allgemein sehr gut angenommen wurde und womit die Christkindlmarkt-Besucher sich sehr viel sicherer fühlten. Das Medieninteresse ließ zum Leidwesen Krautweins stark nach. Niemand interessierte sich mehr für den Bombenanschlag, den man allgemein als Tat eines Irren abtat, den die Polizei wohl niemals finden würde.

      Krohmer und Schenk standen im ständigen Kontakt mit den nun überall veranstalteten Weihnachts- und Christkindlmärkten. Auch dort sorgten sie für Polizeipräsenz, auch wenn sie bei kleineren Veranstaltungen nur aus einem Polizisten bestand. Der Personalaufwand stieß an seine Grenzen und trotz der vielen Urlaubsanträge musste Schenk eine Urlaubssperre aussprechen; bereits schon die zweite in diesem Jahr. Das gab Ärger, den er aber für die Sicherheit gerne in Kauf nahm.

      5.

      Die Vorbereitungen des Weihnachtsmarkts in Mühldorf am Inn, der dieses Jahr vom 3. bis 6. Dezember stattfand, liefen auf Hochtouren. Wie jedes Jahr war der Haberkasten Veranstaltungsort des ebenfalls weit über die Grenzen beliebten Weihnachtsmarktes. Der frühere Getreidespeicher aus dem 15. Jahrhundert und seit dessen Umbau 1996 Kulturzentrum der Stadt Mühldorf, war voller Buden und Stände. Die Betreiber hatten ihre Waren bereits eingeräumt, morgen ging es endlich los. Krohmer hatte auf besonderen Wunsch des Bürgermeisters zwei Polizisten eingeteilt, was diesem aber nicht genügte.

      „Ich werde den Weihnachtsmarkt morgen persönlich eröffnen. Außer der Mühldorfer Bevölkerung und den vielen Gästen aus dem Umland sind heuer einige Besucher der Partnerstädte und natürlich meine ganze Familie anwesend. Ich verlange, dass ein Sprengstoffspürhund vorab seine Runden dreht. Nicht auszudenken, was passiert, wenn auch bei uns eine Bombe hochgeht.“ Der Bürgermeister hatte Angst, große Angst.

      „Jetzt mal ganz ruhig. Nur, weil in Altötting eine Bombe gezündet wurde, muss das nicht zwangsläufig in Mühldorf auch passieren. Wie Sie wissen, läuft der Altöttinger Christkindlmarkt seit 30.11. reibungslos weiter. Ich verspreche Ihnen, dass wir alles vorher abchecken.“

      Krohmer orderte einen Sprengstoffspürhund aus Landshut an, da der Bürgermeister darauf bestand. Was sollte er tun?

      „Der Hundeführer ist morgen gegen 10.00 Uhr bei Ihnen,“ versprach der Landshuter Kollege.

      Tags darauf war der Hundeführer pünktlich vor Ort und Leo begleitete ihn und dessen Hund, nachdem alle Budenbetreiber und Schaulustige des Platzes verwiesen worden waren. Der Hund ging seiner Arbeit nach und auch der Hundeführer war sehr konzentriert und beobachtete seinen Vierbeiner genau. Leo trottete gelangweilt hinterher. Er interessierte sich nicht für die Arbeit des Hundeführers und dessen Hund, daher sah er sich um. Für ihn sahen alle Weihnachtsmärkte gleich aus, er war kein großer Freund davon. Fast an jedem Stand gab es Glühwein, irgendetwas Essbares und Weihnachtsnippes in Hülle und Fülle. Wann war er als Besucher das letzte Mal auf einem Weihnachtsmarkt gewesen? Das war vor einem Jahr, als er noch mit Viktoria zusammen war und sie darauf drängte, zumindest einen kleinen Spaziergang über den Christkindlmarkt Altötting zu machen. Als er an Viktoria dachte, gab es ihm einen Stich in der Magengrube. Wie es ihr in Berlin wohl erging? Kam sie dort zurecht? Wurde sie akzeptiert? Fühlte sie sich wohl? Hatte sie vielleicht schon einen Neuen gefunden? Leo wischte die düsteren Gedanken davon, die zum Glück immer seltener wurden, denn anfangs hatten ihn die Fragen fast verrückt gemacht. Viktoria war weg und er konnte nichts mehr daran ändern. Er sollte sich endlich an die Situation gewöhnen.

      Der Hundeführer blieb plötzlich stehen, da auch sein Hund stehengeblieben war.

      „Was ist los?“

      „Der Hund hat etwas gefunden. Hier in diesem Fass muss Sprengstoff sein.“

      Leo wollte widersprechen, denn er glaubte einfach nicht daran. Aber er sah das besorgte Gesicht des Hundeführers, das Bände sprach. Leo rief die Kollegen und dann ging alles ganz schnell. Während ein Sprengkommando eigens aus Landshut hinzugezogen wurde, sorgte die Polizei dafür, dass weiträumig abgesperrt und evakuiert wurde. Der Haberkasten stand mitten in einem dichtbesiedelten Wohngebiet, hier musste die Polizei reagieren. Noch war nicht klar, ob hier tatsächlich eine Bombe war. Und wenn ja: Wie hoch war deren Sprengkraft?

      Die Polizisten waren alle bis aufs Äußerste angespannt, denn auch sie fürchteten um ihr Leben und schützten sich notdürftig mit einer schusssicheren Weste, einem Helm und einem Schild, hinter dem sie sich im Ernstfall verstecken konnten. Das Warten auf die Landshuter Kollegen schien schier unendlich zu sein. Endlich rückten die Spezialisten an und machten sich an die Arbeit. Nach einer gefühlten Ewigkeit kam die Entwarnung.

      „Das hübsche Ding hier lag in dem Fass, der Hund hat eine sehr gute Nase. Die Bombe könnte gefährlich sein, wenn sie einen Zünder hätte,“ sagte der Mann mit einem Lächeln und zeigte auf die Rohrbombe, die auf dem Boden lag. „Selbstgebastelt. Obwohl der Zünder fehlt, war kein Stümper am Werk. Der Bastler wusste, was er machte.“

      „Sie meinen, er hat den Zünder mit Absicht nicht angebracht?“

      „Das meine ich, ja. Hier wollte jemand allen einen gehörigen Schrecken einjagen, was ihm ja auch gelungen ist. Wir sind soweit fertig und räumen alles weg. Ich würde vorschlagen, dass der Hund nochmals eine Runde dreht. Nicht, dass hier noch eine Bombe versteckt ist und wir nochmal gerufen werden. Wo wir nun schon mal hier sind…“ Der Mann lachte laut, der hatte echt einen makabren Humor.

      Der Sprengstoffspürhund drehte noch eine Runde und alle Beteiligten sahen ihm mit Argwohn und großem Abstand zu. Aber diesmal schlug der Hund nicht an. Der Hundeführer gab grünes Licht und nun konnten alle Betreiber mit einem flauen Gefühl im Magen in ihre Buden zurück. Die ganze Aktion hatte sehr viel Zeit gekostet. Nur noch eine halbe Stunde und der Weihnachtsmarkt wurde offiziell eröffnet. Sollten die Polizisten den Bürgermeister informieren? Leo rief Krohmer an.

      „Da hat sich wohl einer einen dummen Scherz erlaubt,“ schrie Krohmer wütend und erleichtert zugleich.

      „Sollen wir den Bürgermeister informieren?“

      „Nein, das regt den nervösen Mann nur noch mehr auf und er redet vielleicht noch Unsinn in seiner Ansprache. Gleich danach werde ich ihn informieren, das reicht vollkommen.“

      Die Ansprache des Bürgermeisters war blumig und gespickt mit guten Wünschen. Noch bevor Krohmer mit ihm sprechen konnte, erfuhr er von der vermeintlichen Bombe von einem Budenbetreiber, bei dem er seinen ersten Glühwein trank.

      „Und das konnten Sie mir nicht früher berichten?“, schnauzte der Bürgermeister Krohmer an, nachdem der endlich in Ruhe mit ihm sprechen konnte.

      „Diese Bombe hätte nie hochgehen können, sie hatte keinen Zünder,“