Das Barnabas-Evangelium. Irene Dorfner

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Название Das Barnabas-Evangelium
Автор произведения Irene Dorfner
Жанр Языкознание
Серия Leo Schwartz
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738053623



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Grössert wies Tatjana Struck den verwaisten Schreibtisch von Viktoria zu, an dem es sich die Neue sofort bequem machte. Eisiges Schweigen griff um sich.

      „Ob es Ihnen nun gefällt oder nicht: Ich gehöre ab sofort zum Team und wir müssen uns irgendwie zusammenraufen.“ Tatjanas Ansprache wurde jäh unterbrochen, denn Leo und Hans standen am Fenster und sahen amüsiert zu, wie die Ente auf einen Abschleppwagen gehievt wurde. Sie stand auf und wollte sehen, was die neuen Kollegen so amüsierte.

      „Hoffentlich überlebt die alte Kiste den Abtransport,“ sagte Hans und lachte.

      „Man hätte vielleicht noch mehr Aufkleber anbringen sollen. Das hätte die Stabilität deutlich erhöht.“

      Tatjana wurde schlecht, sie fand das überhaupt nicht lustig.

      „Wer hat das angeordnet? Sie etwa?“

      Leo und Hans nickten.

      „Sicher. Der Wagen parkte den ganzen Eingangsbereich zu. Sollen wir da untätig zusehen? Außerdem hatte der Fahrer genug Zeit, seine Schrottlaube wegzufahren.“

      Tatjana rannte so schnell sie konnte los.

      „Was ist denn mit der los?“

      Auch Werner hatte sich zu den Kollegen gesellt und nun sahen sie zu dritt, wie die alte Ente auf dem Abschleppwagen verzurrt wurde. Dann wurde es laut. Tatjana Struck schrie auf den Mann ein, der eben den letzten Haltegurt anlegen wollte. Erst jetzt verstanden die anderen: Das war ihr Wagen!

      „Ach du Scheiße! Das haben wir ordentlich verbockt! Das verzeiht sie uns nie!“, sagte Hans. Sie sahen zu, wie der betröppelte Mann den Wagen wieder ablud und schließlich davonfuhr. Tatjana Struck setzte sich in die Ente und parkte den Wagen ordentlich auf einen eingezeichneten Parkplatz. Sie blieb im Wagen sitzen und rauchte eine Zigarette, wobei sie sich langsam beruhigte.

      „Sie kommt zurück!“ Schnell setzten sich die drei auf ihre Plätze und warteten auf das Donnerwetter, das gleich über sie hereinbrechen würde. Aber die neue Kollegin holte einen Kaffee und setzte sich, ohne ein Wort zu sagen. Über eine halbe Stunde war es totenstill, dann wurde es Leo zu dumm.

      „Ich möchte mich für die Aktion entschuldigen,“ sagte er und reichte ihr die Hand. „Ich konnte ja nicht ahnen, dass das Ihr Wagen ist.“

      Tatjana Struck reagierte nicht darauf, sondern vertiefte sich in die Arbeit. Warum sollte sie diese dumme Aktion auch noch kommentieren? Klar war sie stinksauer gewesen, aber sie hatte sich wegen ihrem Wagen längst wieder beruhigt. Es war nur ein Wagen, mehr nicht. Nach einer schier endlos langen Fahrt war sie endlich angekommen und musste dringend auf die Toilette. Also parkte sie direkt vor der Tür. Warum auch nicht? Hier auf dem Land war doch sowieso nichts los. Wen also störte der Wagen? Die beiden arroganten Kollegen natürlich! Sie hatte sofort gemerkt, dass sie etwas gegen sie persönlich hatten und eine normale Diskussion mit ihnen nicht möglich war. Die waren beide auch sofort eingeschnappt! Gab es denn nirgends Männer, mit denen man sich so richtig fetzen konnte? Immer musste man überall vorsichtig sein und sich die Worte genau überlegen. Warum? Sie war immer der Meinung, dass man frei von der Seele reden sollte. Leo Schwartz setzte sich wieder. Das war also der Mann, der vorher in Ulm Leiter der Mordkommission war und hierher versetzt wurde, weil eine Falle misslungen war. Das allein hätte sie sympathisch gefunden. Aber dieser abschätzende Blick und diese ablehnende Haltung konnte sie nicht gutheißen. Hans Hiebler war von anderem Holz geschnitzt. Für sein Alter ein sehr gutaussehender Mann, der dazu auch noch fantastisch roch. Aber er hatte keinen Ehrgeiz, sonst würde er die Leitung der Mordkommission schon längst innehaben. Schade, denn Ehrgeiz und Biss gehörten bei ihr dazu. Aus diesem Werner Grössert wurde sie nicht schlau. Als sie sich über ihn informiert hatte und herausfand, dass der verheiratete 40-Jährige aus einer angesehenen Anwaltsfamilie stammte, hatte sie Vorbehalte ihm gegenüber. Allerdings verhielt er sich als Einziger offen und fair. Dazu war er bei den Kollegen beliebt, was sie seinem diplomatischen Geschick zuschrieb. Es wäre ihr am liebsten, wenn sie mit ihm ein Team bildete, dann gab es wenigstens keinen Ärger. Sie war müde und gereizt, was auch daran lag, dass man hier im gesamten Gebäude nicht rauchen durfte. Das war das Erste, was Krohmer ihr sagte, als sie sich vorstellte und dann ihre Zigarettenschachtel hervorholte. Bis jetzt fand sie den neuen Job ätzend.

      Sie konzentrierte sich wieder auf den Fall. Je länger sie die Faktenlage vor sich sah, desto mehr war sie davon überzeugt, dass mit diesen Bomben etwas bezweckt werden soll. Aber was? Eine plumpe Geldforderung? Eine Erpressung, die noch nicht vorlag? Oder etwa etwas ganz anderes?

      „Wir sollten uns nochmals alle Beteiligten vornehmen,“ sagte sie laut.

      „Ich weiß zwar nicht, was das bringen soll; aber bitte, wie Sie wollen,“ sagte Hans und stöhnte laut auf. „Dann mache ich mich mit Leo auf den Weg. Natürlich nur, wenn Sie nichts dagegen haben.“

      Tatjana fühlte sich angegriffen und überrumpelt. Sie sollte von Anfang an festlegen, wer hier das Sagen hatte, bevor ihr die drei, vor allem Schwartz und Hiebler, auf der Nase herumtanzen. Sie hatte es nicht nur als Neue, sondern vor allem als Jüngste und dazu auch noch als Frau schwer genug. Sie musste hart bleiben und gleich klare Anweisungen geben.

      „Fahren Sie mit Herrn Grössert,“ hörte sie sich sagen und bereute sofort ihre Worte. Das bedeutete, dass sie mit diesem Schwartz zusammenarbeiten musste. Sollte sie zurückrudern? Nein! Sie musste hart bleiben und nahm ihre Jacke. „Können wir?“

      Leo war sauer, mit der Entscheidung hatte er nicht gerechnet. Dieser Tag konnte ja nur beschissen werden!

      Die Befragungen liefen wie erwartet ab. Es gab keine einzige neue Information, die sie irgendwie weitergebracht hätte. Alle waren enttäuscht, denn das hatte alles nur unnötig viel Zeit gekostet. Vor allem Leo war über die fast unverschämte Art von Tatjana Struck erschrocken und er schämte sich sogar für sie. Die plumpe Art der Befragung und die teilweise sehr indiskreten Fragen kamen ihr leicht über die Lippen. Leo spürte, dass ihre Art hier in der Gegend nicht gut ankam, und hätte eigentlich einschreiten müssen, tat es aber nicht. Soll sie doch zusehen, wie sie allein zurechtkam. Darüber hinaus nervte ihn, dass sie fortwährend rauchte. Immer und überall zündete sie sich eine Zigarette an, sogar im Auto. Sie nahm wenigstens so weit Rücksicht, dass sie das Fenster zur Hälfte öffnete, wodurch es unerträglich kalt war und er bis auf die Knochen durchgefroren war. Die Chemie zwischen ihnen stimmte nicht.

      Der Tag verlief sehr langsam und schleppend. Endlich war Feierabend. Wie selbstverständlich ließ Hans seinen Wagen stehen und fuhr mit Leo zu Tante Gerda, die für alle gekocht hatte. Ausführlich berichteten sie bei Gulasch und Spätzle von der neuen Vorgesetzten.

      „Gebt der Frau doch eine Chance! Seid bitte fair, schließlich ist sie heute erst angekommen und hat trotz der langen Anfahrt sofort mit der Arbeit angefangen. Sie ist neu hier und braucht Zeit, um sich einzugewöhnen. Sie kennt euch noch nicht. Außerdem kommt sie aus der Stadt, sie muss sich erst mit dem Landleben, dem Dialekt und den Eigenheiten der Menschen hier anfreunden. Erinnere dich doch an deine Anfangszeit Leo. Wo ist die Frau Struck eigentlich untergebracht? Wo wohnt sie? Kennt sie hier jemanden? Das arme Mädl ist bestimmt vollkommen einsam und allein.“

      Hans und Leo hatten sich über all die Dinge keine Gedanken gemacht und zuckten mit den Schultern.

      „Das finde ich überhaupt nicht gut. Ihr beide habt Zeit, ihr die ersten Tage in der Fremde zu erleichtern. Es wäre anständig gewesen, sie zumindest zu fragen, ob sie Gesellschaft wünscht. Wie muss sich das Mädl jetzt fühlen? Schämt euch!“ Tante Gerda war enttäuscht. So kannte sie ihren Neffen und Leo nicht. Beide waren sonst sehr umgänglich. Hatten die beiden jüngsten Erlebnisse mit ihren Frauen sie so aus der Bahn geworfen?

      Leo und Hans sahen zusammen eine Sportsendung im Fernsehen an, die streckenweise sehr langweilig war. Sie verzichteten auf Alkohol, davon hatten beide in letzter Zeit genug.

      „Tante Gerda hat wie immer Recht. Wir hätten die Neue unterstützen sollen. Unser Verhalten zeugt nicht gerade von guter Kinderstube,“ sagte Hans.

      „Du hast doch gesehen, wie ätzend die Frau ist. Ich habe mich wegen dem Wagen bei ihr entschuldigt und habe ihr sogar