Das Barnabas-Evangelium. Irene Dorfner

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Название Das Barnabas-Evangelium
Автор произведения Irene Dorfner
Жанр Языкознание
Серия Leo Schwartz
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738053623



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drehten. Krohmer und Schenk mussten ausschließen, dass sich eine weitere Bombe auf dem Gelände befand, bevor sie den Rettungskräften erlauben konnten, bis ins Zentrum der Explosion vorzudringen. Bis dahin kümmerten sie sich um die Verletzten, die sich in Sicherheit gebracht hatten. Endlich gaben die Hundeführer Entwarnung, was Leo mit Erleichterung aufnahm. Der 50-jährige, 1,90 m große Schwabe stand fassungslos vor der zerstörten Bude. Zwei Sanitäter waren ihm gefolgt und fanden zum Glück keine Verletzten mehr, Passanten hatten sie in Sicherheit gebracht. Über drei Leichen waren von unerschrockenen Helfern Tücher gelegt worden. Leo wies sich dem überforderten Uniformierten gegenüber aus und besah sich die Gesichter der Leichen. Die waren so sehr entstellt, dass man nur aus den Kleidungsfetzen erkennen konnte, ob es sich um Männer oder Frauen handelte. Sie hatten es mit zwei toten Männern und einer Frau zu tun. Um wen es sich dabei handelte, musste später festgestellt werden. Leos Kollege Werner Grössert war nun ebenfalls vor Ort und übernahm die Aufgabe, die verstörten Zeugen zu befragen. Der 40-jährige Werner hatte auch heute wieder einen sehr teuren Anzug an und passte optisch nicht in dieses chaotische Umfeld.

      Friedrich Fuchs, Leiter der Spurensicherung, hatte den Tatort weiträumig abgesperrt und machte sich mit seinen Leuten sofort an die Arbeit. Es war lange her, dass er es mit einer Bombe zu tun hatte. Jetzt galt es, jede noch so kleine Kleinigkeit zu sichern, um damit eventuell die Herkunft einzelner Bauteile nachweisen zu können. Jeden Polizisten, der ihn mit Fragen löcherte und ihn bei seiner Arbeit störte, verwies er schroff hinter die Absperrung und verweigerte jegliches Gespräch. Sahen die nicht, dass seine Arbeit wichtig war?

      Leo kannte Fuchs schon lange und ließ ihn in Ruhe. Wo war Hans? Hatte Krohmer nicht gesagt, dass er den Christkindlmarkt besucht und die Detonation mitbekommen hatte? Leo sah sich um. War das dort hinten nicht sein Freund und Kollege? Doch! Das war er. Zielstrebig lief er auf ihn zu und blieb wenige Schritte vor ihm stehen. Was war los mit Hans? Er rief ununterbrochen den Namen Rita und schien sie überall zu suchen.

      „Hans? Was ist los mit dir?“

      „Ich kann meine Rita nicht finden. Sie wollte uns einen Glühwein holen, weil sie eine Wette verloren hat. Sie ist verschwunden. Ich muss sie doch finden!“ Hans war vollkommen aufgelöst.

      „Wo wollte Rita den Glühwein holen? Von welcher Bude?“

      „Die gibt es nicht mehr, dort habe ich schon nachgesehen. Rita war nicht dort. Sie hat sich ganz bestimmt erschrocken und ist davongelaufen.“

      „Sie wird schon auftauchen, keine Sorge. Sieh mich an. Hans? Bist du in Ordnung?“ Jetzt, wo er in das vertraute Gesicht seines Freundes und Kollegen Leo sah, beruhigte er sich. Er nahm den Schal vom Gesicht und atmete mehrmals durch. „Geht es wieder? Bist du in der Lage, die Arbeit aufzunehmen?“

      Hans nickte nur. Natürlich musste er arbeiten. Bis jetzt hatte er nur nach seiner Freundin gesucht und schämte sich jetzt fast dafür. Leo hatte Recht. Rita war irgendwo in Sicherheit und er musste dringend seiner Arbeit nachgehen.

      „Ich habe mit dem Einsatzleiter da vorn gesprochen. Wir haben es mit 14 Verletzten zu tun, vier davon schwer.“

      „Keine Toten?“

      „Drei Leichen. Zwei Männer, eine Frau. Sie liegen noch am Tatort. Willst du sie sehen?“

      „Muss nicht sein, es gibt Wichtigeres.“ Leo und er schlossen sich Werner an, der allein mit den Befragungen der Zeugen überfordert war. Viele behaupteten, weder etwas gesehen, noch gehört zu haben. Die meisten von ihnen waren total geschockt. Erfahrungsgemäß fielen dem einen oder anderen doch einige Kleinigkeiten auf, die für die Ermittlungen von enormer Wichtigkeit sein konnten. Nach zwei Stunden war der Christkindlmarkt wie leergefegt. Alle Zeugen, Besucher, Verletzte und Schaulustige waren verschwunden. Nur noch die Polizeibeamten waren bei der Arbeit. Schenk und Krohmer hatten veranlasst, dass die spontan verlassenen Buden bewacht wurden, da sie Plünderungen nicht auch noch brauchen konnten. Vor allem musste die Presse davon abgehalten werden, sich dort herumzutreiben. Nein, es war besser, den ganzen Kapellplatz abzusperren und bewachen zu lassen.

      Dann wurden die Leichen abtransportiert. Leo, Hans und Werner standen zusammen und beobachteten die Arbeit. Von einer Bahre rutschte etwas herunter. Es fiel nur zwei Meter entfernt von den Kripobeamten auf den Boden.

      „Was ist das?“ Werner griff danach. „Ein Lebkuchenherz. Gehört wohl der Toten.“

      Hans hatte das Lebkuchenherz sofort wiedererkannt. Er ging zu der Toten und schlug das Tuch zur Seite: Rita!

      3.

      „Was haben wir?“, fragte Krohmer Fuchs, der endlich den Bericht fertig hatte. Es war 5.30 Uhr des 28. Novembers und allen war die Anstrengung der vergangenen Nacht anzusehen.

      Fuchs holte weit aus und warf mit Fachbegriffen um sich. Er war stolz auf die Arbeit seiner Leute, die ohne eine Pause gearbeitet hatten. Trotzdem waren die anderen genervt von den langen Ausführungen.

      „Wir haben es also mit einer selbstgebastelten Rohrbombe zu tun, die hinter der Bude platziert wurde. Konnten Teile davon sichergestellt werden, die auf den Täter schließen lassen?“

      „Nein.“

      „Braucht man Fachkenntnis für diese Bombe?“

      „Nein. Anleitungen hierzu findet man zuhauf im Internet.“

      „Das sollte verboten werden!“ Werner Grössert war außer sich. Er ärgerte sich schon lange über die frei zugänglichen Seiten des Internets, die mit gefährlichem Inhalt voll waren.

      Krohmer und Schenk gingen nicht darauf ein. Auch ihnen waren diese Internetseiten ein Dorn im Auge. Aber wie sollten sie denen zu Leibe rücken? Die meisten Server befanden sich im Ausland und mit den dortigen Behörden zu arbeiten war ein Witz. Bis Anträge und Zuständigkeiten durch waren, befanden sich die betreffenden Seiten längst nicht mehr online, dafür wurden andere freigeschaltet. So segensreich das Internet auch war, so unheilbringend war es auch.

      „Gab es Bekennerschreiben? Irgendwelche Hinweise auf ein bevorstehendes Attentat?“

      „Nichts, rein Garnichts,“ sagte Schenk verzweifelt. Er hatte sich zusammen mit Krohmer die ganze Nacht damit beschäftigt. Sie befürchteten, irgendwas übersehen oder nicht ernst genommen zu haben und beide somit eine Mitschuld an dem ganzen Desaster zu haben. Aber das war nicht der Fall.

      „Das kann doch nicht sein,“ schrie Hans verzweifelt. „Solche Bombenanschläge werden entweder angekündigt oder es bekennt sich jemand nach dem erfolgreichen Anschlag dazu. Irgendjemand muss doch die Verantwortung übernehmen.“

      „Das ist nicht immer so Hans,“ sagte Leo, der großes Mitleid mit Hans hatte. „Denk doch an den Bombenanschlag 1980 während des Oktoberfestes in München. Bis heute weiß man nicht, wer tatsächlich dahintersteckt. Eine Sonderkommission hat die Ermittlungen erst kürzlich neu aufgenommen, weil damals nicht alle Spuren verfolgt wurden.“

      „Stimmt, der Kollege Schwartz hat Recht! Wir müssen nochmals mit allen Zeugen sprechen. Mehr haben wir nicht.“

      „Was ist nun mit dem Christkindlmarkt Altötting? Die Veranstalter und die Stadt selbst haben mehrfach angefragt, ob trotz allem der Christkindlmarkt weiterlaufen soll.“

      „Spinnen die? Es sind drei Menschen getötet worden und viele wurden verletzt. Und die wollen einfach so tun, als wäre nichts passiert?“

      „Seien Sie nicht ungerecht, Kollege Hiebler. Sollen wir uns dem Terror geschlagen geben? Sollen Spinner unser Leben so weit beeinflussen, dass wir uns nach denen richten? Ich für meinen Teil gebe grünes Licht, dass der Christkindlmarkt weiterlaufen soll. Warum auch nicht?“ Krohmer war kein Freund davon, sich von einzelnen Idioten einschränken zu lassen. Natürlich war das viel verlangt und kam bei vielen auch bestimmt nicht gut an. Es entbrannte eine heftige Diskussion darüber. Einige waren dafür, andere dagegen. Schlussendlich musste Schenk als zuständiger Polizeichef die Empfehlung an die Stadt Altötting und die Veranstalter übergeben. Wie die zuständigen Stellen letztendlich entschieden, war dann deren Problem.