Das Barnabas-Evangelium. Irene Dorfner

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Название Das Barnabas-Evangelium
Автор произведения Irene Dorfner
Жанр Языкознание
Серия Leo Schwartz
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738053623



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der vier Männer, den Auftraggeber, waren alle strafrechtlich bereits aktenkundig. Trotz der Umstände waren sie bester Laune, obwohl noch knapp vier Stunden Fahrtzeit vor ihnen lag. Dann hatten sie es geschafft und sie waren reich, sehr reich.

      Der 32-jährige Auftraggeber, der seinen Namen nicht genannt hatte und den die anderen daher nur den Jüngeren nannten, hieß Lorenzo Giancomelli. Er hatte die Männer angeworben. Durch seine Kontakte kam er an schwedische Polizeiakten und suchte gezielt nach furchtlosen Männern, die dringend Geld brauchten. Er hatte darauf geachtet, dass sie keine Familie hatten, schließlich war er kein Unmensch. Giancomelli konnte aus dem Vollen schöpfen, denn die Männer, die er suchte, gab es wie Sand am Meer. Er hatte sich trotzdem Mühe gegeben, alle Kriterien zu berücksichtigen, die für ihn wichtig waren. Dann suchte er die Männer persönlich auf und bot ihnen den Job an. Es war leicht gewesen, sie für das Vorhaben zu gewinnen, schließlich bot er jedem von ihnen sehr viel Geld. Giancomellis Bedingung war: Keine Fragen. Dafür verlangten die Männer, nach dem Auftrag außer Landes geflogen zu werden, was Giancomelli sehr entgegenkam. Dadurch würde die ganze Sache einen runden Abschluss bekommen.

      Alles lief wie geplant und Giancomelli war sehr zufrieden. Sie hatten es geschafft, das Buch befand sich in seinen Händen. Er war glücklich und sprach ein stilles Gebet.

      Endlich waren sie an ihrem Ziel angekommen: Der kleine Flughafen in Sundsvall-Timra, der vier Stunden von Uppsala entfernt lag. Nur ab und zu hob ein kleineres Passagierflugzeug ab, größere sah man auf diesem Flugplatz selten. Die Männer parkten den Wagen. Sie gaben sich keine Mühe, die Nummernschilder zu entfernen oder ihn abzuschließen. Die Arbeit war erledigt und sie würden nie wieder schwedischen Boden betreten. Sie gingen zielsicher zum Rollfeld. Hier stand ein Sportflugzeug für die drei Schweden bereit, um sie außer Landes zu fliegen. Die Stimmung unter den Männern wurde gelöster und man spürte, wie die Anspannung von ihnen abfiel. Giancomelli übergab jedem einen dicken Umschlag, der mit Geldscheinen prall gefüllt war. Es war selbstverständlich, dass die drei sich erst von der Summe überzeugten, bevor sie beschwingt in das Sportflugzeug stiegen, das von einem zwielichtigen, verschlagenen Mann geflogen wurde, der Giancomelli kräftig über den Tisch gezogen hatte. Giancomelli bedankte sich bei jedem per Handschlag und verabschiedete sie mit warmen Worten, auch bei dem Piloten, der sich über die Dummheit des Italieners freute. Giancomelli selbst blieb mit dem Koffer zurück, er hatte andere Pläne. Er winkte dem Sportflugzeug hinterher und sah ihm beim Start zu. Als das Flugzeug fast schon außer Sichtweite war, nahm Giancomelli einen Sender aus der Tasche, schloss die Augen und drückte ab. Ein heller Feuerball erschien im dunklen Himmel der sternklaren Nacht. Giancomelli kniete nieder und sprach ein Gebet. Diese Opfer mussten sein, er konnte keine Mitwisser brauchen, das war Teil des Plans. Auf das Geld, das unwiederbringlich ebenfalls verloren war, konnte er gerne verzichten. Es ging nicht um das Geld, davon gab es genug. Es ging nur um das Buch.

      Noch bevor die Rettungsteams alarmiert wurden, ging Giancomelli zu den Schließfächern, entnahm eine Tasche und lief damit zu den Toiletten. Er musste sich beeilen, er war spät dran. Nach wenigen Minuten kam er mit einer schwarzen Soutane bekleidet und dem weißen Kollar, dem römischen Kragen, heraus und ging zielstrebig auf eine Gruppe zu, die auf ihn zu warten schien.

      „Endlich Monsignore, wir warten schon auf Sie. Unser Flug wurde bereits aufgerufen,“ lief ihm ein Mann entgegen und übergab ihm das Flugticket. Die Gruppe bestand aus insgesamt vierzehn Personen, die alle an einem Symposium teilgenommen hatten. Die Teilnehmer waren anfangs überrascht, dass sich ein katholischer Priester anschloss, denn das Thema aus der Astrologie war sehr spezifisch aufgebaut und eigentlich stand die katholische Kirche dem Thema skeptisch gegenüber. Trotzdem wurde Giancomelli rasch in die Gruppe integriert, obwohl er sich nicht wirklich für das Thema interessierte. Für ihn war die Teilnahme an diesem Symposium eine sehr gute Möglichkeit, ohne großes Aufsehen in Schweden ein- und auch wieder ausreisen zu können.

      Die inzwischen heulenden Sirenen drangen bis in die Abflughalle. Die wenigen Personen spürten, dass etwas passiert sein musste, denn die Sicherheitskräfte rannten durcheinander. Das Gerücht eines Flugzeugabsturzes machte die Runde und löste Diskussionen und schließlich auch Panik aus. Beinahe alle drängten sich an den Fenstern. Das Flughafenpersonal war heillos überfordert und winkte die Gruppe, in der Giancomelli stand, einfach durch.

      Erst, als das Flugzeug mit Giancomelli an Bord das schwedische Hoheitsgebiet verlassen hatte, wurden die Fahndungsbilder der Diebe veröffentlicht. Von Giancomelli gab es nur eine verschwommene Aufnahme, durch die man nie auf ihn kommen würde. Auch dieser winzig kleine Flughafen würde nie im Zusammenhang mit dem Diebstahl stehen; warum auch? Die Namen der drei Ganoven tauchten nirgends auf. Das war die Bedingung an den Piloten gewesen, als der ihm seinen völlig überzogenen Preis nannte. Jetzt waren sie tot und in tausend kleine Stücke gerissen. Es war klar, dass die Explosion des Flugzeugs als Unfall eingestuft werden würde, was aufgrund des maroden und in die Jahre gekommenen Flugzeugs nahelag. Der Plan hatte funktioniert und er hatte es geschafft, das Buch ohne einen Mitwisser in seinen Besitz zu bringen. Er lehnte sich in seinen Sitz zurück und verließ seinen Platz erst, als das Flugzeug auf dem italienischen Flughafen Leonardo da Vinci in Fiumincino nahe Rom landete. Freundlich ließ er den anderen den Vortritt und zog dann den Koffer unter seinem Sitz hervor, den er dort sicher verstaut und auf den niemand geachtet hatte. Nachdem er seine Reisetasche vom Kofferband genommen und sich von allen Teilnehmern der Gruppe verabschiedet hatte, stieg er in die Limousine, die am Ausgang auf ihn wartete.

      „Hast du das Buch?“

      „Ja, Vater.“

      „Ich bin sehr zufrieden mit dir. Gab es Probleme?“

      „Nein. Es lief alles wie geplant.“ Die Einzelheiten verschwieg er. Nur zwei Personen waren in den Plan eingeweiht, das genügte.

      Es dauerte eine gute halbe Stunde, dann fuhren sie durch das Tor des Vatikans, wo Giancomelli bereits trotz der frühen Morgenstunden ungeduldig von acht Männern erwartet wurde, unter ihnen der berüchtigte Kardinal Alberto Varese. Er war extra aus Spanien gekommen, um das Buch persönlich in Augenschein zu nehmen und zu entscheiden, wie weiter damit verfahren werden sollte. Varese war erschrocken über den Zustand des Buches. Konnte das eine Fälschung sein? Konnten sie es jetzt nach dem Diebstahl überhaupt noch auf die Echtheit überprüfen lassen? Nein, dafür war jetzt nicht der richtige Moment. Was, wenn es Fotos oder Abschriften des Buches gab? Das war ganz sicher so, aber ohne das Original brachten die ganzen Kopien und Abschriften nichts.

      Jeder der Männer begutachtete das Buch und nach zwei Stunden entbrannte eine heftige Diskussion, während derer die wildesten Vorschläge in den kleinen Raum geworfen wurden. Kardinal Varese sprach ein Machtwort: Dieses Buch durfte nicht an die Öffentlichkeit gelangen, zumindest noch nicht. Die Stimmung im Vatikan war momentan so schlecht wie nie und es wäre jetzt sehr ungeschickt, das Buch zu präsentieren. Als Kardinal Varese vor einigen Monaten den Auftrag erteilte, das Buch zu besorgen, war alles noch in bester Ordnung. Er hatte sich einen kleinen Fehler erlaubt und war daraufhin gerüffelt worden. Durch die Einladung eines Fernsehsenders und der damit verbundenen, sehr großzügigen Spende wurde ihm seine Eitelkeit zum Verhängnis. Ohne groß darüber nachzudenken hatte er zugesagt, ohne Rücksprache mit dem Vatikan zu halten, der bei solchen öffentlichen Auftritten gerne vorher informiert werden wollte. Der Kardinal hatte sich während der Sendung anfangs sehr gut geschlagen und ließ sich von den anderen nicht aus der Reserve locken. Von Anfang an hatten es zwei der Teilnehmer auf den Kardinal und die katholische Kirche abgesehen und provozierten ihn, wo sie nur konnten. Am Ende der Sendung ließ sich der Kardinal zu einigen Äußerungen hinreißen, die im Vatikan nicht gut ankamen und ihm eine gehörige Standpauke bescherten. Sein gutes Ansehen hatte einen Kratzer bekommen. Längst hatte er nicht mehr an die Möglichkeit gedacht, dass dieser Giancomelli es tatsächlich schaffen würde, das Buch zu besorgen. Er war erstaunt, als er die Nachricht erhielt und flog sofort in den Vatikan, um es persönlich in Augenschein zu nehmen.

      „Hast du es auf dem Schwarzmarkt gekauft Lorenzo?“

      „Nein Eminenz. Ich musste es stehlen.“

      Der Kardinal atmete tief durch. Ein gestohlenes Buch konnte er weder den anderen, noch dem Papst präsentieren.

      „Wie seid ihr vorgegangen?“