Das Barnabas-Evangelium. Irene Dorfner

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Название Das Barnabas-Evangelium
Автор произведения Irene Dorfner
Жанр Языкознание
Серия Leo Schwartz
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738053623



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Möglichkeit, das Buch zu beschaffen.“

      „Mitwisser?“

      Giancomelli schüttelte nur den Kopf und der Kardinal wusste, was das bedeutete und wollte keine Einzelheiten wissen. Es war besser, abzuwarten, bis Gras über die Sache gewachsen war. Und bis dahin musste das Buch sicher aufbewahrt werden. Trotz allem war Kardinal Varese sehr zufrieden, dass dieses unsägliche Buch im Vatikan war und kein Unheil mehr anrichten konnte. Varese konnte getrost zurück nach Spanien reisen.

      Giancomelli selbst brachte das Buch in die Bibliothek im Keller des Vatikans und verstaute es in einem klimatisierten Safe. Er fühlte sich nicht wohl dabei. Er hatte dieses Buch mit langer Vorbereitung, sehr großem Aufwand und den schrecklichen, unvermeidlichen Opfern besorgt. Und jetzt sollte er es einfach in dem Safe verschwinden lassen? Giancomelli war durcheinander. Wenn das Buch echt war, und danach sah es aus, dann war das für die katholische Kirche eine Katastrophe. Er bekam eine Gänsehaut. War das Buch nicht doch eine Fälschung? Optisch sah es durchaus echt aus, aber das konnte auch täuschen. Das Buch bestand aus dunkelbraunem Leder und die aramäischen Texte wurden mit Gold geschrieben. Warum wurde das Buch nicht einfach geprüft? Wenn es eine Fälschung war, müsste man sich nicht darum sorgen. Aber die anderen waren dagegen. Fürchteten sie die Echtheit? Man hatte beschlossen, das Buch einzuschließen und Giancomelli fügte sich der Anweisung, obwohl er damit nicht einverstanden war. Aber was sollte er machen? Er hatte das Buch zwar gestohlen, aber einem Kardinal widersprach man nicht, vor allem nicht Kardinal Varese. Schon der Blick und die tiefe Stimme der Eminenz waren gefürchtet. Das Buch war unter vorgehaltener Hand schon seit vielen Jahren Thema im Vatikan. Im Jahr 2000 soll es bei einer Schmugglerbande gefunden worden sein, Einzelheiten waren nicht bekannt. Hinter vorgehaltener Hand kursierten auch hier immer wieder Gerüchte. Erst in den letzten Monaten erschienen in Fachzeitschriften einige Artikel, die auf dieses Buch hinwiesen: Das Barnabas-Evangelium. Niemand wusste genau, was darin stand und was es damit auf sich hatte. Es schien, als wäre dieses Buch nicht existent. Bis vor zwei Wochen. Die Nachricht machte die Runde, dass das Barnabas-Evangelium in der Hauptbibliothek Carolina Rediviva in Uppsala geprüft werden sollte, die dafür extra vier hochkarätige Spezialisten angefordert hatte. Diese Gelegenheit war einmalig, denn bis dahin hatte Giancomelli nicht die leiseste Ahnung, wo dieses Buch aufbewahrt wurde. Schweden! Das war endlich eine Chance, um das Buch in die Finger zu bekommen. Giancomelli war glücklich gewesen, als er im Frühsommer eine Nachricht auf seinem Zimmer vorfand. Er solle diese Bibel unter allen Umständen besorgen. Einzelheiten wollte man nicht wissen, man überließ ihm die Organisation und die Durchführung der Aufgabe. Der Nachricht war eine Kontonummer eines Bankkontos beigefügt, das eigens für diese Aktion eingerichtet worden war. Die Summe war nicht begrenzt. Wer hatte ihn beauftragt? In der Nachricht wurde kein Name genannt und man verlangte Stillschweigen von ihm. Von da an war das seine Hauptaufgabe. Der Sicherheitschef des Vatikans, Carlo Fumagalli, kam kurz darauf auf ihn zu und bot ihm seine Hilfe an. Für Giancomelli war sofort klar, dass er ebenfalls damit beauftragt worden sein musste. Woher sonst wusste er davon? Gemeinsam planten sie das Vorhaben, schmiedeten Pläne und verwarfen sie wieder. Es war nicht sicher, wo sich das Buch befand, und Giancomelli unternahm viele unsinnige Reisen auf vage Aussagen hin, die sich aber dann alle zerschlugen. Bis vor zwei Wochen bekannt wurde, dass das Buch in Uppsala war. Jetzt musste alles schnell gehen. Giancomelli nutzte seine vielen Kontakte und bekam so Zugang zu den Akten der schwedischen Polizei. Fumagalli kam auf die brillante Idee mit der Teilnahme an dem Symposium. Alles war perfekt geplant und konnte nicht schiefgehen. Trotzdem hatte Giancomelli Gewissensbisse wegen dem geplanten Mord an den drei Männern, die zusammen mit dem Piloten in die Luft gesprengt werden sollten. Fumagalli hatte das geplant und würde die Organisation übernehmen. Giancomelli brauchte lediglich auf den Knopf des Senders drücken. Er war erschrocken von dieser Idee. Aber er ließ sich überzeugen, Fumagalli war ein brillanter Redner und hatte sehr überzeugende Argumente. Es war wirklich besser, wenn es keine Mitwisser gab. Bis zuletzt saßen die beiden über dem Plan und gingen alle Einzelheiten mehrfach durch. Der Diebstahl musste klappen, bevor die Sicherheitsmaßnahmen verstärkt wurden.

      Alles war wie geplant verlaufen und hatte vier Menschenleben gekostet. Und jetzt sollte die Bibel in dem Safe schlummern. Nicht mehr lange, und sie würde in Vergessenheit geraten.

      Als Giancomelli die Tür der Bibliothek schloss, fühlte er sich schlecht. Dieses Buch, das die Fundamente der Kirche ins Wanken bringen könnte, lag dort hinten im Safe und war existent und deshalb immer noch sehr gefährlich. Hätte er es nicht einfach verbrennen sollen, als er noch in der Lage dazu war?

      Der schwedische Polizist Malte Hedlund war außer sich, als er die dreisten Einbruchspuren in der Hauptbibliothek Uppsala in Augenschein nahm. Es ging den Dieben also nur um dieses Buch, an anderen Dingen hatten sie kein Interesse. Die Diebe sind bei ihrem Einbruch sehr rabiat vorgegangen. Warum diese Gewalt? Die Explosion hatte die uralte Holztür des historischen Gebäudes komplett zerstört und die herumfliegenden Trümmerteile hatten weitere Schäden an umliegenden Gebäuden und parkenden Fahrzeugen verursacht. Und alles nur wegen dieses Buches, das laut Angabe der Leiterin der Bibliothek eine alte Bibel sein soll. Die Existenz des gestohlenen Buches, das im Jahr 2000 bei einer Schmugglerbande gefunden worden sein soll, wurde fast täglich in den Medien thematisiert. Wilde Spekulationen wurden ausgesprochen, das Interesse der Bevölkerung an dem Inhalt war immens groß. Jetzt war es weg. Gestohlen auf brutale Art.

      „Was ist so besonders an diesem Buch?“ Der Leiter der Bibliothek befand sich auf einer Informationsreise in Asien und deshalb musste er mit dessen Stellvertreterin Hala Magnusson sprechen, die sofort zur Stelle war, als die Polizei sie über den Diebstahl informierte. Unter ihrem dicken Mantel trug die 56-jährige, unscheinbare Frau noch ihren Schlafanzug, dicke Wollsocken und Gummischuhe. Man sah an ihrer ungekämmten Frisur, dass sie vor kurzem noch im Bett war. Es schien die Frau nicht zu interessieren, wie sie aussah und dass die Polizisten über sie lachten.

      „Es handelt sich bei dem Buch um eine Bibel, die das Evangelium von Barnabas enthält. Da unser Haus für die Prüfung historischer Schriften perfekt ausgerüstet ist, wurde angefragt, ob wir die Echtheit des Buches prüfen könnten. Dafür haben wir vier hochrangige Experten hinzugezogen, um einen Übersetzungsfehler auszuschließen. Seit Donnerstag letzte Woche sind die Experten bei der Arbeit. Und jetzt das. Wissen Sie, was das für unser Haus bedeutet? Man wird uns verspotten, weil ein so wertvolles Buch bei uns nicht sicher ist. Man wird uns nie wieder solch ein Exemplar anvertrauen.“ Waren das tatsächlich Tränen in ihren Augen? Wegen dem Diebstahl des Buches und den zu erwartenden Folgen? Für Malte Hedlund war diese Reaktion nicht nachvollziehbar. Es gab wahrlich Schlimmeres. Es ging also um eine Bibel, genauer gesagt um ein Barnabas Evangelium. Malte war kein sehr gläubiger Mensch.

      „Vielleicht bin ich ein Banause oder nicht intelligent genug, um Ihnen folgen zu können. Es könnte auch an der späten Stunde liegen. Ich verstehe immer noch nicht, was dieses Evangelium von Barnabas, von dem ich noch nie gehört habe, anrichten könnte.“

      Hala Magnusson verdrehte verständnislos die Augen. Sie war genervt von dem Polizisten, der sie nicht verstand, obwohl sie sich Mühe gegeben hatte, alles so einfach wie möglich zu erklären.

      „Diese Bibel ist ein wertvolles Relikt aus der Zeit, als Jesus lebte. Wir bekommen mithilfe der Bibel vielleicht einen detaillierten Einblick über die damalige Zeit und das Leben Jesu. Viellicht hätte der Inhalt auch völlig neue Informationen geliefert, die die heutige Bibel, wie wir sie kennen, ins Wanken bringen könnte. Zumindest waren die Experten davon überzeugt, dass das durchaus der Fall sein könnte. Stellen Sie sich vor, was passieren würde, wenn wichtige Stellen der Bibel in Frage gestellt werden. Wenn zum Beispiel die Kreuzigung Jesu so nicht stattgefunden hat, wie sie überliefert wurde. Oder die Auferstehung nicht einmal erwähnt wird?“ Hala Magnusson war völlig in ihrem Element. Sie brannte für Geschichte und für die Möglichkeit, durch alte Artefakte und vor allem Schriften Wahrheiten an die Oberfläche zu schwemmen. Malte war das gleichgültig. Was würde das ändern? Eine weitere Diskussion über mögliche neue Informationen aus dem Leben von Jesus, die doch nicht zu beweisen waren.

      „Ich möchte mit den Experten sprechen.“ Hala Magnusson notierte die Adresse des teuersten Hotels in Uppsala. „Bringen Sie ihnen die schreckliche Nachricht schonend bei.“

      Hedlund stöhnte auf. Dieser