Das dritte Kostüm. Irene Dorfner

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Название Das dritte Kostüm
Автор произведения Irene Dorfner
Жанр Языкознание
Серия Leo Schwartz
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738018509



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passen würde; eine aus der Ukraine und drei aus Russland. Eine der Frauen habe ich zum Glück in Mühldorf angetroffen, sie ist wohlauf. Ich habe ihr das Foto des Opfers gezeigt, auch sie kennt die Tote nicht. Die drei anderen habe ich noch nicht erreicht. Ich halte es auch für besser, wenn man zu zweit loszieht, ist auch Vorschrift. Ich habe mir einen entsprechenden Rüffel bereits von Krohmer eingeholt, der es überhaupt nicht gut fand, dass ich alleine unterwegs war, um die Frauen aufzusuchen. Die Behörden waren okay, aber direkt zu den Adressen zu fahren ist dann doch etwas anderes. Mir blieb aber nichts anderes übrig, schließlich hat Krohmer noch keinen Ersatz für Werner bekommen. Außerdem habe ich veranlasst, dass das Foto der Toten in den Medien erscheint, das Übliche eben.“

      „Du spinnst doch total,“ sagte Leo verärgert. „Wir hatten besprochen, dass du zu den Behörden alleine gehst, von etwas anderem war nie die Rede. Den Rüffel von Krohmer hast du dir redlich verdient. Ich will mir überhaupt nicht vorstellen, was hätte passieren können!“

      Die drei zogen am Nachmittag gemeinsam los, um die anderen drei Frauen aufzusuchen, was sich als sehr mühsam und nervenaufreibend darstellte. Sie wurden nicht mit offenen Armen empfangen. Überall, wo sie auftauchten, schlug ihnen Misstrauen entgegen. Besonders die Männer waren zwar freundlich, wurden aber sauer, wenn es um ihre Frauen ging.

      „Das ist meine Frau. Alles in Ordnung.“ Die erste Frau konnte von der Liste gestrichen werden.

      Dann waren nur noch zwei Frauen in Altötting, aber auch die trafen sie wohlbehalten an. Allen zeigten sie Fotos des Opfers.

      „Und jetzt? Keiner kennt die Tote.“

      „Dann müssen wir wohl oder übel warten, ob sich irgendjemand bei uns meldet, der die Frau kennt.“

      Auf Krohmers Anweisung blieben die Beamten am Sonntag zuhause und ruhten sich aus. Ihnen waren die Hände gebunden, es gab nicht die kleinste Spur, der sie nachgehen konnten. Anfangs waren sie enttäuscht über die unerwartete Zwangspause, genossen aber einen ruhigen Tag, an dem sie die Gedanken an die unbekannte tote Frau und die damit verbundenen seltsamen Umstände trotzdem nicht in Ruhe ließen.

      3.

      „Ich darf Ihnen den Kollegen Sebastian Kranzbichler vorstellen. Er wird die Mordkommission für die Zeit der Abwesenheit von Werner Grössert unterstützen,“ empfing Rudolf Krohmer seine Beamten im Besprechungszimmer. Er hatte sich eine halbe Stunde verspätet, der Grund lag nun auf der Hand.

      Der dicke, kurzhaarige und sehr große 30-jährige Kranzbichler strahlte mit seinen roten Bäckchen übers ganze Gesicht, als er jedem die Hand gab. Er trug einen grauen Anzug, der so aussah, als besäße er ihn seit seiner Konfirmation, er passte hinten und vorne nicht. Das weiße Hemd spannte über dem Bauch und die Krawatte, die schon längst aus der Mode war, saß völlig schief.

      „Herr Kranzbichler wurde uns wärmstens empfohlen und ich bin sehr glücklich, dass die Vertretung so schnell geklappt hat. Herr Grössert hat sich gemeldet und wird wohl länger ausfallen, bei seiner Frau traten größere Komplikationen auf.“

      „Schlimm?“ Die Kollegen machten sich große Sorgen, denn Grössert und auch seine Frau neigten nicht zu Übertreibungen. Es mussten gravierende Gründe vorliegen.

      „Ich habe nur so viel verstanden, dass es nicht gut aussieht. Grössert hat versprochen, uns auf dem Laufenden zu halten. Aber das ist jetzt nicht unser Thema und gehört hier nicht her. Der Kollege Kranzbichler bleibt bis zur Rückkehr des Kollegen Grössert in unserem Team.“ Krohmer war sichtlich stolz auf den Zuwachs seiner Mannschaft, der nur wegen seiner Kontakte so schnell zur Verfügung stand. Normalerweise dauerte so etwas viel länger und jetzt war die Vertretung bereits nach zwei Tagen hier. Aber durch den kurzen Anruf des Kollegen Grössert, war er sehr beunruhigt. Aber darum würde er sich später kümmern.

      „Wenn Sie den Kollegen unter Ihre Fittiche nehmen Frau Untermaier? Bei Ihnen ist er am besten aufgehoben.“

      „Sehr gerne.“ Natürlich wäre sie viel lieber mit Leo als Team unterwegs, denn sie ergänzten sich hervorragend. Aber so gereizt, wie Leo momentan war, war es auf jeden Fall besser, wenn der Neue sie begleitete.

      Frau Gutbrod trat ohne Klopfen ins Besprechungszimmer, denn sie hatte nichts von der heutigen Besprechung mitbekommen, gerade auf dem Flur erfuhr sie erst von dem neuen Kollegen. Warum war der hier? Krohmers neugierige Sekretärin war am Wochenende zuhause und kam heute später, da sie noch einen Termin hatte. Die 62-jährige Hilde Gutbrod hatte den Samstag genutzt, um sich frisch aufspritzen zu lassen, wodurch sie zumindest im Gesicht wieder etwas jünger aussah, was nun wiederum zum Rest nicht mehr passte. Aber Frau Gutbrod fand sich wunderschön und für ihr Alter sehr jung, was sie auch mit ihrer Kleidung zum Ausdruck brachte: Das weiße Kostüm war sehr, sehr kurz, dafür waren die Absätze ihrer neuen Schuhe umso höher. Bei jeder ihrer Bewegungen klimperte und glitzerte es. Auch das dick aufgetragene Make-up stach heute besonders hervor. Sie setzte sich und besah sich den neuen Kollegen von oben bis unten – und er gefiel ihr überhaupt nicht. Erst jetzt sah sie in die Runde. Was machte Leo Schwartz hier? Hatte er nicht Urlaub? Und wo war der Kollege Grössert? Schnell kombinierte sie, dass dieser Neue für den Kollegen Grössert hier war – aber warum? Sie musste so schnell wie möglich herausbekommen, was dahintersteckte!

      „Frau Gutbrod, welch Glanz in unserer Hütte! Da sind Sie ja endlich, wir haben Sie schon vermisst! Sie sehen ja wieder phantastisch aus – sind Sie übers Wochenende in einen Jungbrunnen gefallen?“, rief Hans Hiebler erfreut aus. Aber Frau Gutbrod verstand sofort den Sarkasmus, denn die beiden verstanden sich nicht besonders gut. Mehr als einmal hatte Hans sie beim Lauschen erwischt und machte sich einen Spaß daraus, ihr das bei jeder Gelegenheit unter die Nase zu reiben. Krohmer stellte ihr den neuen Kollegen Kranzbichler vor, an dem sie aber kein Interesse hatte und ihn deshalb nur beiläufig begrüßte.

      Hilde Gutbrod war im Rückstand und musste sich dringend über den aktuellen Fall informieren. Sie hatte bereits durch die Sekretärin der Spurensicherung mitbekommen, dass der neue Fall sehr interessant und knifflig war. Sie griff nach Krohmers Ermittlungsakte, als der einen Moment unaufmerksam war. Als sie sich die Fotos angesehen hatte, erschauerte sie, denn so ein Hexenkostüm hatte sie noch nie gesehen und mit Fasching hatte sie überhaupt nichts am Hut. Sie mochte keine Betrunkenen und diese aufgezwungene Fröhlichkeit war ihr zuwider. Zumindest in diesem Punkt war sie sich mit Leo Schwartz einig. Sie schenkte nun reihum Kaffee ein und besah sich den neuen Kollegen nochmals in aller Ruhe, was allgemein amüsiert beobachtet wurde. Krohmer war das Verhalten seiner Sekretärin überaus unangenehm. Aber Frau Gutbrod interessierte sich nicht für die Meinung der anderen. Es war ihr gutes Recht, sich den Neuen genauer anzusehen. Der Mann war zu dick, sah aus wie ein Bauer, und für ihre Nichte Karin absolut nichts. Noch immer suchte sie für ihre unvermittelbare Nichte Karin einen geeigneten Mann. Bei jeder Gelegenheit bot sie ihre Nichte an wie sauer Bier, was allen gehörig auf die Nerven ging. Karin bekam das nicht richtig mit, denn sie war nicht die hellste Kerze auf der Torte, hatte ein einfaches Gemüt. Sie war nur an ihrem Aussehen und ihrer Kleidung interessiert – und natürlich an einem potentiellen Mann. Frau Gutbrod hakte diesen Mann gedanklich ab und setzte sich wieder. Was hatte sie verpasst? Wenn ihr gestern nicht dieser blöde Nagel abgebrochen wäre, hätte sie sich den Termin bei ihrer Nageldesignerin heute früh sparen können. Aber es blieb ihr nichts anderes übrig, als diesen Fauxpas sofort zu beheben – wie hätte das denn ausgesehen?

      Leo informierte Krohmer über den neuesten Stand und Frau Gutbrod atmete erleichtert auf, sie war nicht zu spät hinzugestoßen.

      „Das sieht doch bis jetzt nicht schlecht aus,“ sagte Krohmer bemüht freundlich, denn vor dem Neuen musste er sich zusammenreißen. Natürlich war er nicht erfreut darüber, dass die Identität der Toten noch nicht feststand. „Haben Sie aus der Pathologie noch andere Erkenntnisse mitgebracht, die uns weiterhelfen können? Konnte die Todesursache nun einwandfrei festgestellt werden?“, fragte er nun Fuchs, der endlich seinen großen Auftritt hatte, auf den er schon lange gewartet hatte. Was interessierte ihn dieser neue Kollege? Ob nun der oder die anderen, das war ihm vollkommen egal. Ihm war nur wichtig, dass er seine Arbeit vernünftig machen konnte. Und diese schreckliche