Das dritte Kostüm. Irene Dorfner

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Название Das dritte Kostüm
Автор произведения Irene Dorfner
Жанр Языкознание
Серия Leo Schwartz
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738018509



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Vorurteile, denen wir ausgesetzt sind. Es mag sein, dass die Migrations-Politik und die Toleranz noch nicht überall angekommen sind, aber ich bin stolz auf unseren Staat und unsere Politik, die für meine Begriffe in die richtige Richtung geht. Sicher gibt es Schwachpunkte, Politiker sind auch nur Menschen. Aber trotzdem möchte ich Ihre Einschätzung nicht pauschalieren. Meine Kollegen und ich, sowie auch meine Freunde sind Migranten gegenüber nicht negativ eingestellt, für uns zählt nur der Mensch selber, nicht die Herkunft. Ein Deutscher sagt gerne: der Russe! Oder die Russen! Das ist oft nicht abwertend gemeint. Ich bin nicht aus Bayern, sondern aus Baden-Württemberg und auch ich höre immer wieder: der Schwabe – und das verstehe ich nicht als Beleidigung, das sagt man nun mal so.“ Das stimmte so nicht ganz, denn Leo stieß mit seiner Herkunft auch immer wieder auf Abneigung, aber das interessierte ihn nicht. Die, die ihn wegen seines Dialekts sofort ablehnten, waren für ihn dumm und ungebildet, und mit denen wollte er sowieso nichts zu tun haben. Aber das waren wenige Ausnahmen, die er nicht ernst nahm und die er nicht an sich ranließ. „Und um das Ganze jetzt abzuschließen möchte ich noch anmerken, dass ich es nicht gut finde, dass es Ziel dieses Vereins ist, unter sich zu bleiben und gemeinsam die Freizeit zu verbringen. Gehen Sie raus! Laden Sie Bürger, Nachbarn, Arbeitskollegen ein! Dann werden Sie feststellen, dass es sehr viele gibt, die meine Meinung teilen und den Migranten, im Speziellen den Russen, offen gegenüberstehen. Nur was einem fremd ist, fürchtet man.“

      „Und dumme Menschen können Sie nicht ändern, die können sie nur ignorieren,“ sagte Hans, der Leo in allem absolut Recht gab. Er hatte Freunde mit Migrationshintergrund, von denen er wusste, dass sie es auch schwer haben, ganz abgesehen von seiner italienischen Freundin. Aber die Zahl derer, die intelligent und offen mit Ausländern und Migranten umgingen, stieg zum Glück von Tag zu Tag. Erst gestern hatte er im Fernsehen gesehen, wie viele Menschen für Menschenrechte und Zuwanderung auf die Straße gingen und dem Fremdenhass und den damit verbundenen Vorurteilen entgegenzutreten. Leo hatte Recht, alles ging in die richtige Richtung. Aber alles braucht seine Zeit und geht nicht von heute auf morgen.

      Zwetkow war sprachlos und sah die beiden Polizisten erstaunt an. Man konnte sehen, wie es in seinem Kopf arbeitete. Lagen dieser komisch gekleidete, riesige Polizist und sein gutriechender und gutaussehender Partner richtig mit ihren Aussagen? Pauschalierte er aufgrund weniger persönlicher Erfahrungen und scherte alle Deutschen speziell die Bayern über einen Kamm? Machte er es sich vielleicht zu leicht? Der Ansatz dieses Herrn Schwartz war nicht so schlecht, das musste er bei nächster Gelegenheit mit seinen Freunden besprechen. Aber das würde er hier und jetzt nicht zugeben, das würde für ihn Schwäche bedeuten, die er nicht zeigen wollte.

      „Ich danke Ihnen für Ihre ehrlichen, offenen Worte. Warum sind Sie hier? Wie kann ich Ihnen helfen?“

      Leo zog die Fotos der Toten aus seiner Jackentasche.

      „Wir haben diese Frau tot aufgefunden. Nach unseren Informationen handelt es sich bei der Frau um eine Russin oder Ukrainerin.“

      Sergej Zwetkow besah sich die Fotos sehr genau und schüttelte schließlich den Kopf.

      „Ich kenne die Frau nicht. Aber das heißt nicht, dass es sich nicht doch um eine Russin handelt. Nicht alle meiner Landsleute kommen zu uns, viele lehnen uns und unseren Verein ab.“ Zwetkow hatte in der Vergangenheit mehrfach neu eingereiste Landsleute angesprochen und eingeladen, aber vermehrt Absagen kassiert. „Haben Sie schon bei den Ukrainern nachgefragt? In Mühldorf gibt es einen Verein.“

      „Dort waren wir schon. Herr Makarenko kennt die Frau ebenfalls nicht, möchte aber bei den morgigen Treffen seine Landsleute befragen. Kennen Sie Herrn Makarenko?“

      Sofort veränderte sich der Gesichtsausdruck von Zwetkow und er wandte sich auch körperlich etwas ab, wodurch man die Abneigung sofort spürte.

      „Das sind Ukrainer,“ sagte er nur.

      „Das glaube ich jetzt nicht! Sie verurteilen die Deutschen, weil sie Sie nicht mit offenen Armen empfangen und mögen die Ukrainer nicht? Warum? Sie sitzen doch im gleichen Boot. Bevor Sie Toleranz und Integration fordern, würde ich lieber bei Ihnen selbst anfangen.“ Leo konnte sich diese Bemerkung nicht verkneifen und wollte nur noch weg hier. Der Tag war bisher beschissen gelaufen, er hatte sich mehr von den Befragungen versprochen. Er hatte genug und brauchte dringend eine Pause. „Wir lassen Ihnen die Fotos der Toten hier. Zeigen Sie sie ihren Landsleuten und melden Sie sich bei uns, wenn jemand die Frau erkennt.“

      Leo ging davon und murmelte nur einen leisen Gruß, Hans folgte ihm. Auch er hatte genug, aber er war amüsiert über Leos Offenheit, mit der er diesem Zwetkow einheizte. Wer weiß, vielleicht musste dieser Schwabe kommen, um diesem Russen einen Spiegel vorzuhalten. Denn dass diese Klatsche gesessen hatte, war sicher. Schweigend gingen sie zurück zu ihrem Wagen, wobei Leo diesmal das Kapuzinerkloster und die Magdalenenkirche ignorierte, so sehr ärgerte er sich über diesen Zwetkow und seine Einstellung. Sie stiegen in den Wagen und fuhren nach Mühldorf.

      „Jetzt beruhige dich endlich, du allein kannst die Welt nicht ändern,“ sagte Hans genervt, als er mehrfach versucht hatte, Leo in ein Gespräch zu verwickeln, und dieser aber nicht reagierte.

      „Das weiß ich auch. Aber es regt mich tierisch auf, dass manche Toleranz erwarten, sie aber selbst nicht leben. Wie soll sich da irgendetwas ändern? Man muss sich kennenlernen und gegenseitig aufeinander ohne Vorbehalte zugehen.“

      „Du bist und bleibst ein Traumtänzer. Ich bin auch der Meinung, dass unsere Gesellschaft in die richtige Richtung geht. Aber wir beide werden es nicht mehr erleben, dass Menschen verschiedener Herkunft, Kultur, politischer Richtung und vor allem unterschiedlicher Religion friedlich nebeneinander leben.“

      „Schon alleine diese jahrhundertlangen Kriege um Religion. Für mich ist jeder Gott akzeptabel, solange es ein guter, gütiger Gott ist. Von mir aus darf jeder seinen Gott haben, es ist doch auf der ganzen Welt genug Platz dafür.“

      Mit Leo war wirklich nicht mehr zu reden und da Hans am Steuer saß, lenkte er den Wagen auf den Parkplatz einer Pizzeria in Mühldorf.

      „Keine Widerrede – du isst jetzt erst mal was, bevor du noch ausflippst. Du musst runterkommen und dich wieder beruhigen. Außerdem wird es Zeit, dass du endlich Urlaub bekommst, das ist ja nicht mehr zum Aushalten.“

      „Du hast gut reden,“ sagte Leo, der für diese Ablenkung sehr dankbar war. Er war wirklich hungrig und bei diesem Italiener war er schon lange nicht mehr. „Du hast in letzter Zeit genug Ablenkung und freie Tage gehabt. Wie geht es Lucrezia?“

      „Was? Wie? Du weißt von uns?“ Hans war erschrocken, denn bis jetzt war er sehr diskret gewesen und war sich sicher, dass niemand von ihm und seiner Lucrezia wusste.

      „Denkst du, ich bin blöd? Ich weiß das schon seit dem Adlerholz-Fall. Ich kenne dich Hans, sogar besser, als du dir vorstellen kannst.“

      Hans erzählte während dem Essen ausführlich von Lucrezia und seinen Aufenthalten in Florenz und den Besuchen seiner italienischen Freundin hier in Mühldorf; er ließ sich auch durch das Essen nicht unterbrechen. Es tat Hans sehr gut, endlich mit jemandem über seine Beziehung zu Lucrezia zu sprechen und Leo kam dadurch endlich auf andere Gedanken. Er freute sich für seinen Freund und Kollegen und bemerkte das Leuchten in seinen Augen, dass er seit der Zeit mit der getöteten Doris nicht mehr gesehen hatte. Damals hatte er sich um Hans große Sorgen gemacht, aber jetzt strahlte er wieder und war glücklich. Und Lucrezia war genau die richtige für ihn. Sie war voller Leben, dazu witzig, intelligent und sehr laut. Hans brauchte eine Frau, auf die er sich blind verlassen konnte und die mit seinem Tempo mithalten konnte – und das war für Lucrezia kein Problem, denn sie hatte ein Temperament, bei dem sich Hans ordentlich anstrengen musste, um ihr folgen zu können.

      „Wo bleibt ihr denn so lange?“, empfing Viktoria ihre Kollegen. Sie hatte sich bereits Sorgen gemacht. Außerdem war sie es nicht gewohnt, so lange Zeit alleine im Büro zu arbeiten, diese Ruhe war fast unheimlich.

      Leo erzählte ausführlich über die Gespräche mit Makarenko und Zwetkow - und regte sich erneut auf. Viktoria fand die richtigen Worte, um ihn zu beruhigen. Sie hatte keine Lust, mit ihm über Politik und die aktuelle Lage zu diskutieren, darin konnte Leo