Das dritte Kostüm. Irene Dorfner

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Название Das dritte Kostüm
Автор произведения Irene Dorfner
Жанр Языкознание
Серия Leo Schwartz
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738018509



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anderen Schuhe dabei und wischte mit Taschentüchern notdürftig und völlig aussichtslos seine verdreckten Cowboystiefel ab.

      „Einen Moment noch,“ hörten sie die Stimme ihres Kollegen Friedrich Fuchs lautstark rufen. „Ich habe noch etwas für Sie, das wichtig sein könnte.“ Da Fuchs keine Anstalten machte, zu ihnen zu kommen, mussten sie wohl oder übel nochmals die Schuhe wechseln und wieder durch den Matsch zu ihm gehen. Vor allem Leo war stinksauer, denn er hatte keine Taschentücher mehr. Aber was sollten sie machen? Fuchs war stur und würde so lange warten, bis sie bei ihm waren.

      „Ich hoffe für Sie, das ist wirklich wichtig,“ schnauzte Leo mit Blick auf seine Stiefel.

      „Selbstverständlich. Würde ich Sie wegen einer Nichtigkeit rufen? Dieses Hexenkostüm ist bei einem Banküberfall in Reischach vor gut drei Wochen aufgetaucht, genauer gesagt am 18. Dezember. Wir wurden damals gerufen, weil der Bankräuber eben dieses Hexenkostüm anhatte, das wir dann in einem öffentlichen Abfalleimer an einer Bushaltestelle in Reischach nicht weit von der Bank entfernt gefunden haben. Das Kostüm befindet sich in der Asservatenkammer. Einer meiner Mitarbeiter hat mich darauf aufmerksam gemacht und ich entschuldige mich an dieser Stelle für meine Unaufmerksamkeit. Ich habe eben in meinen Unterlagen nachgesehen und sehen Sie selbst.“ Fuchs hielt ihnen seinen Laptop vor, auf dem das Bild des gleichen Faschingskostüms zu sehen war.

      „Das ist ja interessant. Was war damals genau passiert?“

      „Ich könnte Ihnen die Akte zukommen lassen, was aber nicht meine Aufgabe ist. Besorgen Sie sich die Unterlagen bitte selbst, denn ich habe noch jede Menge Arbeit vor mir. Ich kann nur so viel sagen, dass bei dem Banküberfall niemand zu Schaden kam. Nach meinen Informationen wurde nicht einmal Geld erbeutet. Aber bitte sehen Sie sich die Unterlagen selbst an. Ich bin weg.“ Wortlos reichte er Leo ein frisches Paket Taschentücher, die er dankbar annahm. Ab und zu zeigte Fuchs tatsächlich menschliche Züge, man glaubt es kaum. Fuchs startete seinen Wagen und sah zu, dass er den Abstand zum Leichenwagen, der bereits abgefahren war, so schnell wie möglich verringern konnte.

      „Seltsam. Zwei dieser Ulmer Faschingskostüme in so kurzer Zeit hintereinander? Ich bin gespannt, was die Unterlagen über den Banküberfall hergeben.“

      Kurz vor ihren Fahrzeugen ging Franz Grindlmaier mit energischen Schritten auf Leo zu.

      „Und Sie,“ drohte er ihm mit dem Finger, „werden noch von mir hören. Ihre Unverschämtheiten werde ich nicht auf mir sitzen lassen. Sie werden mich noch kennenlernen. Sie kommen von Sachsen mit Ihren Stasimethoden hierher zur bayrischen Polizei und meinen, Sie können unbescholtene, angesehene Bürger beleidigen. Das wird ein Nachspiel haben. Ich werde mich über Sie beschweren. Ich habe Kontakte zu den höchsten Kreisen, unterschätzen Sie mich nicht. Sie werden noch sehen, was Sie mit Ihren Unverschämtheiten angerichtet haben, das wird Ihnen noch leidtun.“

      Viktoria war erschrocken über die Schroffheit des Mannes, Hans hingegen war amüsiert, denn er kannte seinen Kollegen Leo Schwartz, der sich das nicht einfach so gefallen lassen würde.

      „Erstens,“ sagte Leo ganz ruhig und trat einen Schritt näher an Grindlmaier ran, „bin ich kein Sachse, sondern Schwabe. Aber es kann schließlich nicht jeder so umfassend gebildet sein, das sehe ich Ihnen nach. Und zweitens können Sie sich gerne jederzeit über mich beschweren, das steht Ihnen frei. Trotzdem bleibe ich bei meiner Meinung und wiederhole mich gerne: wer auf einem Friedhof seine Notdurft verrichtet, obwohl er andere Möglichkeiten hätte, ist und bleibt für mich eine pietätlose Drecksau. Und jetzt gehen Sie mir aus den Augen, bevor ich mich vergesse.“

      „Sie haben es selbst gehört,“ schrie Grindlmaier beinahe hysterisch, „der Mann hat mich eben nicht nur wiederholt beleidigt, sondern auch noch bedroht. Sie beide sind meine Zeugen.“

      „Ich habe nichts gehört,“ murmelte Viktoria, ging zu ihrem Wagen und wechselte die Schuhe. Was immer auch zwischen den beiden vorgefallen war, würde sie später erfahren. Jetzt sehnte sie sich danach, den Wagen zu starten und die Heizung auf höchster Stufe laufen zu lassen. Sie konnte es kaum erwarten, bis die Wärme sich in ihrem Körper breitmachte. Schade, dass sie keine Sitzheizung hatte, denn sie hatte neben kalten Händen und Füßen auch einen eiskalten Hintern.

      „Sie haben wirklich dort drüben am Pestfriedhof Ihre Notdurft verrichtet? Habe ich das richtig verstanden?“ Hans glaubte, seinen Ohren nicht zu trauen. Leo nickte. „Dann schließe ich mich den Ausführungen meines Kollegen an. Denn das geht überhaupt nicht, das macht man doch nicht. Pfui Teufel!“

      Grindlmaier suchte nach Worten, fand aber keine. Hans und Leo ließen den Mann einfach stehen.

      „Ich kann solche aufgeblasenen Typen einfach nicht leiden. Er meint, er wäre etwas Besseres und führt sich auf wie ein Schwein.“

      „Ganz deiner Meinung. Trotzdem solltest du in Zukunft etwas vorsichtiger sein, irgendwann bekommst du wegen deiner schwäbischen großen Klappe riesigen Ärger.“

      „Und wenn schon. Was wahr ist, darf auch gesagt werden.“

      „Was haben wir,“ empfing Rudolf Krohmer, Leiter der Polizei Mühldorf am Inn seine Leute der Mordkommission. Mit einem missmutigen Blick registrierte er Leos verdreckte Schuhe. Natürlich! Wie immer war der Kollege Schwartz nicht vorbereitet und schleppte jetzt den halben Kastler Wald mit in das Besprechungszimmer der Polizeiinspektion Mühldorf.

      Ausführlich schilderte Leo in den schillerndsten Farben die Leiche und den Fundort, wobei er kein Detail ausließ, auch nicht die Auseinandersetzung mit dem Zeugen Grindlmaier. Angewidert und fasziniert zugleich besah sich Krohmer derweil die Fotos der Leiche.

      „Die Akte über den Banküberfall am 18. Dezember in Reischach haben wir durchgesehen, sie ist sehr dünn. Zum Glück wurde dabei niemand verletzt. Und Fuchs lag vollkommen richtig, der Bankräuber, der in demselben Faschingskostüm die Bank überfiel, hat kein Geld erbeutet. Den Zeugenaussagen zufolge hatte er den beiden Angestellten und einem Bankkunden nur einen gehörigen Schrecken eingejagt. Das Faschingskostüm fand man nur wenig später im Mülleimer der nächsten Bushaltestelle.“

      Krohmer legte die Fotos vor sich auf den Tisch und konnte es nicht glauben.

      „Zwei identische Faschingskostüme, das ist ja echt der Hammer. Ist das Kostüm echt oder nur eine billige Kopie?“

      „Laut Aussagen der Spurensicherung handelt es sich bei dem Kostüm um ein Original. Leider konnten darin keine Spuren des Trägers sichergestellt werden.“

      „Gut, gehen Sie der Sache bitte mit Hochdruck auf den Grund. Dieser Zeuge Grindlmaier wird sich ganz sicher bei mir über Sie beschweren, ich kenne solche Typen,“ winkte Krohmer ab. „Um den kümmere ich mich. Aber ich finde es seltsam, dass wir es gerade mit einem Ulmer Faschingskostüm zu tun haben, finden Sie das nicht auch merkwürdig?“

      „Sie meinen, weil ich aus Ulm komme?“

      „Natürlich, was denn sonst. Das kann doch kein Zufall sein.“

      „Ich kann mir nicht vorstellen, was das mit mir zu tun haben soll, das ist reiner Zufall. Wenn es Sie beruhigt, spreche ich später mit meinen Ulmer Kollegen, aber das steht jetzt nicht im Vordergrund. Für mich ist viel wichtiger herauszufinden, um wen es sich bei der Leiche handelt.“

      „Dann haben Sie jede Menge Arbeit, legen Sie los. Und vielen Dank Kollege Schwartz, dass Sie für Herrn Grössert einspringen. Ich weiß das zu schätzen. Ich befürchte, dass Herr Grössert länger ausfällt und ich werde mich daher so schnell wie möglich um eine Lösung bemühen. Trotzdem möchte ich Sie bitten, zu allererst Ihre Schuhe zu säubern, Sie machen ja alles dreckig, das geht so nicht. Besorgen Sie sich endlich Gummistiefel für Ihren Wagen!“

      Leo hatte keine Lust, seine Stiefel zu säubern, dafür war jetzt auch keine Zeit. Er zog sie einfach aus und lief auf Socken, was die anderen mit unverständlichem Kopfschütteln registrierten. Typisch für Leo Schwartz! Immer machte er, was er wollte und ging unkonventionelle Wege!

      Es war zwar schon spät, trotzdem arbeiteten die drei auf Hochtouren. Sie gingen die Vermisstenmeldungen durch, sprachen mit Kollegen,