Das dritte Kostüm. Irene Dorfner

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Название Das dritte Kostüm
Автор произведения Irene Dorfner
Жанр Языкознание
Серия Leo Schwartz
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738018509



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Akten vor sich auf dem Tisch verteilt sah.

      Es war weit nach 22.00 Uhr und Leo wählte die Handy-Nummer des Kollegen Fuchs, der über die Störung sehr ungehalten war.

      „Gibt es schon irgendetwas, das für uns hilfreich sein kann? Für jede Kleinigkeit wäre ich dankbar, wir haben noch nicht herausgefunden, um wen es sich bei der Leiche handelt.“

      „Nach so kurzer Zeit wollen Sie Informationen von mir? Wir sind noch mitten in der Obduktion! Sie müssen schon Geduld haben, schließlich will ja niemand, dass geschlampt wird.“

      „Ich bitte Sie Herr Fuchs, irgendetwas können Sie bestimmt schon sagen. Das Alter der Frau, irgendwelche Merkmale, wodurch wir sie identifizieren können.“

      Fuchs machte eine kurze Pause.

      „Also gut, weil Sie es sind. Die Frau ist ca. 30 Jahre alt, 1,70 m groß und wie Sie gesehen haben, sehr schlank. Die blond gefärbten Haare sind ursprünglich mittelbraun.“ Diese Angaben wusste Leo bereits, der dunkle Haaransatz des Opfers war ihm aufgefallen. „Die Hände zeigen deutlich, dass sie über einen längeren Zeitraum schwere Arbeiten verrichtet hat. Dazu hat die Frau einige frische und auch ältere Hämatome. Mir waren diese Flecken schon aufgefallen, konnte sie aber nicht zuordnen. Aber hier bei sehr gutem Licht ist es klar: die Frau war entweder ungeschickt und hat sich überall gestoßen, oder wurde geschlagen. Weder das eine, noch das andere kann jetzt noch nachgewiesen werden. Außerdem hat der Pathologe anhand der Zähne festgestellt, dass die Frau keine Deutsche ist; er vermutet die Ukraine oder Russland.“ Diese Information hatte gesessen.

      „Sind Sie sicher?“

      „Die Methoden der Zahnbehandlung waren noch bis vor einigen Jahren länderbezogen sehr unterschiedlich, bis sich auch im Osten die westlichen Behandlungsmethoden durchgesetzt und angepasst haben. Einige ältere Zahnärzte behandeln auch heute noch nach den alten Methoden, vor allem im ländlichen Bereich.“

      „Also suchen wir nach einer ca. 30-jährigen Frau, die offenbar sehr ungeschickt war oder geschlagen wurde. Vermutlich stammt sie aus Russland oder der Ukraine?“

      „Spreche ich so undeutlich? Das ist genau das, was ich eben gesagt habe.“

      „Konnte schon geklärt werden, wie die Frau ums Leben kam?“

      „Hören Sie Herr Schwartz, die Pathologen hier sind keine Zauberer. In der kurzen Zeit ist das wirklich noch nicht möglich gewesen, dass dürfte auch Ihnen einleuchten. Sie müssen Geduld haben, die Leute hier tun ihr Möglichstes. Und wenn ich anmerken darf, sie arbeiten sehr ordentlich und gewissenhaft, ich bin sehr beeindruckt.“

      „Vielen Dank Herr Fuchs, Sie haben uns sehr geholfen. Sobald die Untersuchung der Leiche abgeschlossen ist, melden Sie sich umgehend bei mir oder meinen Kollegen. Wir sind schon sehr gespannt darauf, wie die Frau ums Leben kam.“

      Fuchs murmelte noch irgendetwas Unverständliches, das sich sehr unfreundlich anhörte. Leo hatte aufgelegt. Dieser Fuchs war zwar eine unangenehme Erscheinung, aber er machte seine Arbeit sehr, sehr gut. Niemals würde Fuchs Informationen weitergeben, wenn er sich derer nicht sicher wäre. Außerdem hatte Fuchs entgegen seiner sonstigen Gewohnheiten freiwillig vorab Informationen genannt, das musste er ihm hoch anrechnen. Leo informierte sofort seine Kollegen.

      „Dann haben wir jetzt zumindest eine vorläufige Personenbeschreibung, mit der wir durchaus etwas anfangen können. Es müsste doch mit dem Teufel zugehen, wenn wir damit bei Meldebehörden nicht fündig werden. Heute können wir nichts mehr unternehmen, machen wir Schluss für heute,“ beschloss Viktoria, die die Nase gestrichen voll hatte. Sie hatte Hunger und war vollkommen übermüdet. Außerdem hatten Behörden und andere Stellen sowieso längst geschlossen. Leo und Hans ging es ähnlich, auch sie waren vollkommen fertig, obwohl beide aufgekratzt waren. Leo ging strumpfsockig mit seinen Stiefeln in der Hand zum Ausgang. Er schlug die Stiefel kräftig gegeneinander, wodurch die gröbsten Dreckbrocken weit davonflogen; der Rest würde bis zuhause von allein abfallen.

      Viktoria duschte lange und ausgiebig, während Leo nochmals die Pizza in den Ofen schob, die sie unterwegs zum Glück gerade noch vor Schließung der Pizzeria bekommen hatten. Sie aßen beide mit großem Appetit und sahen noch etwas fern, um sich von dem heutigen Tag abzulenken. Beide waren von dem Tod der jungen Frau geschockt. An keinem Polizisten gingen solche Dinge spurlos vorbei, daran gewöhnt man sich nie. Bis zum Feierabend wurde keine weitere Vermisstenanzeige gestellt, die auf die Frau zutraf. Vermisste die Frau denn niemand?

      Hans Hiebler ging es ähnlich. Er holte Brot, Käse und Schinken, hatte aber keinen Appetit. Immer wieder tauchte die Tote vor seinen Augen auf. Er öffnete eine Flasche Bier und rief seine Freundin an, die ihm geduldig zuhörte und an den richtigen Stellen die richtigen Fragen stellte. Nach einer halben Stunde ging es ihm besser und er konnte zu Bett gehen. Vor dem Gespräch mit seiner Freundin hätte er bestimmt keinen Schlaf gefunden.

      Am nächsten Tag machten sich die drei umgehend an die Arbeit. Sie sprachen mit Meldebehörden in Altötting und Mühldorf, was sich in beiden Fällen als sehr kompliziert herausstellte, denn heute war Samstag und sie erreichten jeweils nur die Notbesetzung. Sie erfuhren, dass Meldebehörden grundsätzlich telefonisch keine Auskunft gaben. Sie hatten großes Glück, dass sich am heutigen Samstag jemand bereiterklärte, im Büro zu erscheinen und Auskunft zu geben – Hans hatte besonders bei der Dame in Mühldorf seinen ganzen Charme einsetzen müssen.

      Daneben hatten sie aus dem Internet die Adresse eines russischen Vereines in Altötting und einem ukrainischen in Mühldorf ermittelt, aber auch hier wollte niemand am Telefon Auskunft geben. Es ging nicht anders, sie mussten persönlich vorstellig werden.

      Viktoria Untermaier übernahm die Meldebehörden in Altötting und Mühldorf alleine, da sie jetzt nur zu dritt waren und sie sowieso nur auf einen Mitarbeiter traf. Den anderen passte das zwar nicht, aber es ging nun mal nicht anders. Krohmer hatte in der kurzen Zeit noch keinen Ersatz für Grössert gefunden, was auch so schnell nicht möglich war, denn solche Anträge dauerten oft mehrere Wochen. Er ließ seine Kontakte spielen, aber trotzdem war Hilfe noch in weiter Ferne. Bei den Meldebehörden musste Viktoria ihre ganze Überzeugungskraft einsetzen, um Auskünfte zu bekommen, denn die Mitarbeiter in beiden Behörden ließen sich ganz schön bitten. Erst, als sie ausführlich berichtete, um was es ging und diese Ausführungen mit Fotos der Toten untermauerte, wurde ihr sofort und unkompliziert geholfen. Vollkommen kaputt und genervt, aber mit 4 Namen und den dazugehörigen Adressen fuhr sie zurück ins Präsidium.

      Leo und Hans übernahmen derweil die russischen und ukrainischen Vereine. Zuerst fuhren sie zum Mühldorfer Stadtplatz, wo der ukrainische Verein vor drei Jahren ein altes, leer stehendes Gebäude gemietet hatte. Sie hatten sich telefonisch beim Leiter Bohdan Makarenko angemeldet, der vor der Tür stand und auf sie wartete. Makarenko begrüßte die beiden überschwänglich und bat sie herein, er hatte sogar frischen Tee zubereitet und reichte dazu Gebäck, das hervorragend schmeckte. Hans konnte nicht anders und langte kräftig zu; er hatte nicht nur für Frauen eine Schwäche, sondern auch für Süßigkeiten.

      „Wir haben eine weibliche Leiche, die nach vorläufigen pathologischen Untersuchungen aus der Ukraine oder aus Russland stammt. Sehen Sie sich die Fotos in Ruhe an. Kommt Ihnen die Frau bekannt vor?“

      „Es tut mir leid, die bedauernswerte Frau gehört nicht zu unserem Verein und ist mir persönlich auch nicht bekannt. Nicht alle Ukrainer sind bei uns Mitglied, was wir natürlich sehr bedauern. Gerade hier in der Fremde ist die Eingewöhnungsphase viel einfacher, wenn man Hilfe von Menschen aus der Heimat bekommt. Aber bei dieser Frau muss ich leider passen. Wir haben morgen Abend das nächste Treffen, wir treffen uns jeden Sonntagabend. Wenn Sie es erlauben, würde ich die Fotos gerne herumreichen, vielleicht ist die Frau einem unserer Freunde bekannt.“

      „Sehr gerne,“ sagte Leo, der einen zweiten Satz Fotos dabei hatte.

      „Warum sprechen Sie so gut unsere Sprache? Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich nie darauf kommen, dass Sie aus der Ukraine kommen.“ Leo war beeindruckt, denn er verstand diesen Mann sehr viel besser als viele Bayern.

      „Ich bin seit 7 Jahren in Deutschland. Als ich herkam, habe ich