Das dritte Kostüm. Irene Dorfner

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Название Das dritte Kostüm
Автор произведения Irene Dorfner
Жанр Языкознание
Серия Leo Schwartz
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738018509



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Schnaps und ein Glas aus der Küche.

      „Ich verstehe. Deshalb haben Sie sich auch keine Sorgen gemacht, als sie nicht nach Hause kam. Dürfen wir uns bei Ihnen umsehen?“

      „Natürlich,“ murmelte Sepp Zirbner und weinte nun, was die Alte mit einem Lachen kommentierte. Sie aß und trank seelenruhig weiter, sie schien sogar etwas erheitert wegen der neuen Lage auf dem Hof ohne die ungeliebte Schwiegertochter.

      „Schaun‘s sich nur um, es is alles sauber. I putz jeden Tag und koch auch immer noch, und ich koch guat, hob i von meiner Mutter glernt. Den russischen Fraß von der Kathi konnt man nicht essen. Pfui Teifel!.“

      „Ich halt dich nicht mehr aus! Manchmal könnt ich dich erschlagen!“, rief Sepp Zirbner. Aber seine Mutter blieb ganz gelassen, während er aufstand und aus dem Kühlschrank ein Schnapsglas holte. Er schenkte sich eine großzügige Menge ein und trank in einem Zug. Leo und Hans konnten ihn verstehen, Frau Zirbner war ein Typ Mensch, bei dem man schon mal ausrasten konnte.

      Die Beamten sahen sich in dem angrenzenden Wohnzimmer um, das spärlich mit alten Möbeln eingerichtet war. Nur wenig deutete darauf hin, dass hier ein junges Paar wohnte. An den Wänden hingen Fotos von längst Verstorbenen und über der Couch hing ein Ölbild mit einem röhrenden Hirsch. Die schweren Gardinen, die nicht zusammenpassten, dunkelten den Raum ab und die vielen verschiedenen Kissen auf der Couch hatten diesen Knick in der Mitte, wie es Leos Großmutter auch immer machte. Er fühlte sich um Jahre zurückversetzt. Sie sahen in Schubläden und Schrankfächer. Sie fanden nichts. Keine Spur der jungen Frau, sondern nur von Sepp Zirbner und seiner Mutter. Eins war klar: Hier herrschte das Regime der Alten, die bestimmt nicht duldete, dass die russische Schwiegertochter sich hier breitmachte. Im Schlafzimmer des ersten Stockes sah man endlich, dass hier eine junge Frau wohnte, denn einige Sachen waren neu und modern. Im Kleiderschrank fanden sie Katharinas Garderobe; alles sehr hübsche und hochwertige Stücke, die sie den Etiketten nach zufolge aus Russland mitgebracht hatte. Das Badezimmer war uralt, aber auch hier konnte man in einer Ecke Spuren einer Frau finden. Make-up in allen Formen und Farben, Parfumflaschen hübsch aufgereiht, und zwischen all dem anderen Zeug hing ein moderner, gelber Bademantel. Auf der Waschmaschine stand ein Waschbeutel, der ganz bestimmt der alten Zirbnerin gehörte, denn die dort enthaltenen Utensilien waren einfach, billig und uralt. Im vergilbten Medizinschrank an der Wand fanden sie die üblichen Medikamente und Verbandsmaterial, das meiste davon längst abgelaufen. Keine Spur von Insulin, Betäubungsmitteln oder irgendetwas in der Art. Hans hatte zwei Türen weiter das Schlafzimmer der alten Frau Zirbner gefunden und sah Leo fragend an.

      „Wenn wir nun schon mal hier sind…“

      Sie durchsuchten das muffige, uralte und unpersönliche Schlafzimmer. Neben Fotoalben, Pässen von ihr und ihrem verstorbenen Mann, Glückwunschkarten aus vergangenen Tagen und einer Mappe Briefpapier fanden sie nichts Auffälliges. Keine Bücher, Briefe oder Notizen. Auf dem Kosmetiktisch, der nur als Ablage benutzt wurde, stand eine Handtasche. Ohne lange zu überlegen, griff Hans in die Tasche.

      „Finger weg!“, rief Frau Zirbner, die in der Tür stand und vollkommen aufgebracht war. „Wagen Sie es nicht, in meinen Sachen zu wühlen, das ist privat!“ Sie riss Hans die Handtasche aus der Hand und verwies beide des Zimmers, schloss ihr Schlafzimmer demonstrativ ab und ging mit ihrer Handtasche wieder in die Wohnküche.

      „Was kommt die auch gerade dann, wenn‘s interessant wird? - Was jetzt?“

      „Keine Ahnung. Die Papierkörbe sind sauber. Auch in den Schubladen und Schränken keine persönlichen Notizen und keine Spur von irgendwelchen Medikamenten oder Medikamentenverpackungen, oder sonst irgendetwas Verdächtiges.“ Leo war enttäuscht. Er hatte sich mehr davon versprochen. Auch wenn die alte Zirbnerin echt ätzend ist – putzen kann sie, das muss man ihr lassen. „Wir sollten diesen Karl befragen. Vielleicht hat sie ihm etwas anvertraut.“

      „Und wie willst du das anstellen? Du hast doch gehört, dass der nicht redet.“

      „Das glaube ich ihm nicht. Er ist nicht so dumm, wie man uns weismachen will. Lenk du den Sepp Zirbner und vor allem diesen Drachen ab, vielleicht kann ich dann mit Karl in aller Ruhe sprechen.“ Leo war zuversichtlich, denn er war sich fast sicher, dass der junge Mann mehr verstand, als er vorgab. Vielleicht war er wirklich nicht der Hellste, aber Leo konnte beobachten, dass der Mann an den entscheidenden Stellen durchaus heftig reagierte – er verstand einiges.

      Leo fand Karl zum Glück allein im Stall beim Füttern der Tiere, während Hans Onkel und Großmutter im Haus weiter befragte, was eine Tortur für ihn war, denn das lief ähnlich ab wie vorhin: Sepp Zirbner war verzweifelt und die Großmutter zeterte und hetzte, was immer wieder zu lautstarken Auseinandersetzungen zwischen den beiden führte. Dabei hielt Frau Zirbner ihre alte, verschlissene Handtasche demonstrativ auf ihrem Schoss fest und gab sie nicht mehr aus der Hand. Was hatte die Alte zu verbergen? Am liebsten würde Hans einen Blick hineinwerfen, aber dazu war er nicht befugt – schade!

      Karl erschrak, als Leo in den Stall trat. Leo nickte ihm nur kurz zu und ohne ein Wort zu sagen, griff er zur Mistgabel und half wie selbstverständlich mit. Leo sah Karl die ganze Zeit nicht an. Die Arbeit war sehr schwer und Leo ließ sich die Anstrengung nicht anmerken, und bei jedem Handgriff wusste er, dass er spätestens morgen mit einem satten Muskelkater für seinen Übereifer büßen musste. Aber das war ihm jetzt egal, er musste Karls Vertrauen gewinnen. Nach etwa 20 Minuten waren sie mit der Arbeit fertig. Leo setzte sich auf einen Ballen Stroh und Karl setzte sich ihm gegenüber. Wortlos reichte ihm Karl eine Flasche Wasser und lächelte ihn sogar an; das Eis war geschmolzen.

      „Prost Karl, ich bin der Leo. Eigentlich hätten wir uns nach der Arbeit ein Bier verdient.“

      Karl nickte, ging zur Stalltür, spähte hinaus und schloss die Tür wieder. Dann ging er zu den aufgetürmten Strohballen und zog dahinter zwei Flaschen Bier hervor, die er mit den Zähnen gekonnt öffnete. Leo war baff, dieser Karl verstand wirklich jedes Wort.

      „Du bist ein Engel, das ist genau das, was ich jetzt brauche.“ Wieder prosteten sie sich zu und nahmen beide einen kräftigen Schluck.

      „Bist du traurig darüber, dass die Kathi tot ist?“

      Karl nickte heftig, während er ständig auf den Boden blickte. Obwohl Karl seinen Blicken auswich, konnte er sehen, dass sich seine Augen mit Tränen füllten.

      „Hat die Kathi jemals von jemandem gesprochen, der böse zu ihr war?“

      Karl schüttelte den Kopf.

      „Weißt du, was Kathi mit Fasching zu tun hatte?“

      Karl zuckte mit den Schultern und sah immer noch auf den Boden.

      „Ich gebe dir hier meine Karte. Wenn dir etwas einfällt, kannst du mich jederzeit anrufen. Ich bin mir sicher, dass du sprechen kannst. Aber wenn du nicht willst, ist das für mich in Ordnung. Du kannst mich auch jederzeit in meinem Büro in Mühldorf besuchen. Kennst du die Polizei in Mühldorf?“

      Wieder nickte Karl, diesmal kaum merklich.

      „Hast du Geld?“

      Jetzt schüttelte er beinahe verschämt den Kopf. Leo war sauer. Bekam Karl keinen Lohn für seine Arbeit? Er nahm seinen Geldbeutel und drückte ihm einen 50 €-Schein in die Hand. Karl sah ihn jetzt verstört an und schüttelte den Kopf, er wollte das Geld nicht annehmen, er fühlte sich nicht wohl dabei.

      „Das ist für ein Taxi nach Mühldorf, nur für den Fall, dass du mich besuchen kommst. Nimm das Geld und steck es weg, damit es deine Großmutter nicht findet.“

      Leo zwinkerte ihm zu, trank sein Bier aus.

      „Ich muss wieder gehen Karl. Danke für das Bier. Und es ist in Ordnung, wenn du weinen musst, auch ich weine, wenn ich traurig bin.“

      Leo hatte die Stalltür noch nicht ganz geschlossen, als er hörte, wie Karl hemmungslos weinte.

      Hans war sehr erleichtert, als Leo in die Küche kam, denn die Streitigkeiten zwischen Sohn und Mutter arteten langsam aus und waren unerträglich. Nach anfänglicher Zurückhaltung warf nun auch Sepp Zirbner mit allen möglichen