Das dritte Kostüm. Irene Dorfner

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Название Das dritte Kostüm
Автор произведения Irene Dorfner
Жанр Языкознание
Серия Leo Schwartz
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738018509



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und stieg; schließlich schrien sich die beiden nur noch an. Hans stand abseits und wäre am liebsten gegangen, aber er musste hierbleiben, um sicherzugehen, dass sich Leo ungestört mit dem Jungen unterhalten konnte. Die beiden sahen dem Streit einige Minuten zu und konnten nicht fassen, wie Mutter und Sohn miteinander umgingen. Sie waren so sehr mit sich und ihrem Streit beschäftigt, dass sie alles um sich herum vergaßen. War der Umgang zwischen den beiden normal? Wie musste sich Katharina Zirbner dabei gefühlt haben? Und Karl? Wie ging es dem Jungen damit, der quasi damit aufgewachsen war? Sprach er deshalb kein einziges Wort? Das wäre zumindest eine Erklärung.

      „Ruhe!“, musste Leo mehrmals brüllen, bis die Zirbners ihn überhaupt wahrnahmen. „Schämen Sie sich eigentlich nicht? Sie sind beide erwachsen und führen sich hier auf wie Verrückte! Jetzt beruhigen Sie sich gefälligst! Das ist ja nicht zum Aushalten!“ Beide waren endlich still. Leo starrte die beiden böse an und schüttelte den Kopf. „Na also, geht doch! Was bekommt Karl für seine Arbeit? Sie bezahlen ihn doch ordentlich?“

      Statt einer Antwort stand Sepp Zirbner auf und deutete Leo an, ihm zu folgen. Die alte Zirbnerin merkte, dass ihr Sohn nicht vor ihr sprechen wollte, und wollte hinterher, aber Hans hielt sie zurück. Er hatte genug von dem ganzen Theater und um nichts in der Welt würde er die Alte an sich vorbei lassen. Er würde auch nicht davor zurückschrecken, sie mit Handschellen am Ofen zu fixieren. Offenbar spürte Frau Zirbner seine Entschlossenheit und setzte sich zähneknirschend, wobei sie vor sich hin schimpfte, diesmal aber in erträglicher Lautstärke; etwas anderes hätte Hans auch nicht ungestraft durchgehen lassen. Was trieb ihr Sohn hinter ihrem Rücken? Der Polizist sprach von einem Lohn, der Karl bezahlt werden soll! Bekam der blöde Karl für seine Arbeit tatsächlich Geld, von dem sie nichts wusste? Sie rutschte unruhig auf ihrem Stuhl hin und her. Liebend gerne wäre sie aufgesprungen und ihrem Sohn und dem Langen hinterher, aber dieser parfümierte Schnösel stand direkt vor ihr und ließ sie nicht vorbei. Frau Zirbner war sauer. Sie hatte keine Wahl und musste hier verharren. Dann musste sie eben aus dem blöden Karl irgendwie herausbekommen, was da hinter ihrem Rücken mit dem Geld ablief!

      Leo und Sepp Zirbner gingen in den ersten Stock ins Schlafzimmer. Im Schrank hinter den Pullovern seiner Frau zog er ein Sparbuch hervor.

      „Karl bekommt von mir kein Geld, weil es ihm meine Mutter sowieso gleich wieder abnimmt. Anfangs habe ich natürlich ganz offiziell ein Gehalt bezahlt und es hat lange gedauert, bis ich dahinter gekommen bin, dass meine Mutter es sofort kassiert. Seitdem zahle ich jeden Monat einen Betrag auf ein Sparbuch ein, damit der Junge Geld hat, wenn er es braucht. Sie können das gerne überprüfen. Hier ist das Sparbuch.“

      Leo schlug das Sparbuch auf und tatsächlich zahlte Sepp Zirbner jeden Monat 1.000 € auf das Sparbuch ein. Er pfiff durch die Zähne, als er die Gesamtsumme las.

      „Bitte behalten Sie das mit dem Sparbuch für sich. Meine Mutter flippt aus, wenn sie davon erfährt. Der Karl weiß natürlich davon, das ist unser Geheimnis. Und wenn Sie das jetzt öffentlich machen, bekommen auch das Finanzamt und die Berufsgenossenschaft Wind davon - und dann geht der Ärger erst richtig los.“

      „Von mir erfährt niemand was, das geht mich nichts an. Ich finde es anständig, dass Sie den Jungen bezahlen.“

      „Natürlich, ich bin doch kein Unmensch. Der Karl ist fleißig und ordentlich, er jammert nie und ich kann immer auf ihn zählen. Und dafür hat er auch einen Lohn verdient.“

      Endlich konnten die Beamten wieder von hier weg. So schnell wie möglich lenkte Hans den Wagen vom Hof. Ihr nächstes Ziel war die Freundin Ludmilla, die in Neuötting wohnte.

      4.

      „Diese Alte ist die Pest,“ schimpfte Hans auf dem Weg zu ihrem nächsten Ziel. „Was soll der Sohn machen? Wenn das mit dem Erbvertrag stimmt, muss er seine Mutter bis zu ihrem Tod im Haus behalten, versorgen und vor allem ertragen. Ich könnte das nicht, ich glaube, ich wäre längst ausgeflippt. Von morgens bis abends dieses Gezeter und Beschimpfungen. Dazu kommt noch, dass die Alte überall dafür sorgt, dass die eigene Familie im schlechten Licht steht, das ist doch der reinste Horror. Bevor ich so ein Leben führe, würde ich lieber auf den Hof und auf alles Geld der Welt verzichten, Pflichtbewusstsein hin oder her. Der reine Wahnsinn, wie ein Mensch allein einem das Leben so zur Hölle machen kann. Dabei ist der Hof nicht übel, sauber und ordentlich. Sepp Zirbner ist sehr fleißig und seine Einstellung der Hofführung ist sehr lobenswert. Klar ist das auf dem Hof sehr viel Arbeit, das kenne ich von meinen Eltern und von einigen Freunden, aber wenn man mit Freude an die Sache rangeht und das Umfeld stimmt, dann macht einem die Arbeit nicht ganz so viel aus. Außerdem stimmt auch das Einkommen, wenn man gewieft ist und gute Absatzkanäle hat. Und so, wie der Hof in Schuss ist, versteht der Zirbner was von seiner Arbeit. Ich muss den Hut vor ihm ziehen, denn diese Hofgröße bedeutete eine Riesenarbeit für so wenige Leute. Und jetzt fehlt durch den Tod der Frau eine Arbeitskraft. Trotz allem hat der Zirbner doch die Arschkarte Platin gezogen: Der Tod seiner Frau, die Verantwortung für Karl, die viele Arbeit und dann noch dieser Drachen von Mutter, die einem den ganzen Tag die Hölle heiß macht.“ Ihn schüttelte es bei dem Gedanken.

      Auch Leo war geschockt von den Zuständen auf dem Zirbner-Hof und konnte für sich noch nicht einschätzen, wie er die einzelnen Familienmitglieder beurteilen sollte. Die alte Zirbnerin war eine Beißzange, das stand ohne Zweifel fest. Sepp Zirbner war von der Zeugin Schmied als gutmütig beschrieben worden, wozu auch das Verhältnis zu seinem Neffen Karl passen würde. Aber als er vorhin in die Wohnküche kam und mitbekam, wie derb Sepp Zirbner mit seiner Mutter umging und welches Gesicht er aufhatte, wurde das gutmütige Bild sehr angekratzt. Und Karl? Der bedauernswerte Junge hatte mit seinen 17 Jahren schon so viel Leid erlebt, was ihm sehr zu Herzen ging. Von der eigenen Mutter nicht nur verstoßen, sondern knapp davor, von ihr ins Heim gesteckt zu werden. Dann dieses unsägliche, lieblose Aufwachsen und Leben auf dem Hof, dazu die schwere Arbeit. Leo konnte verstehen, dass es dem Jungen die Sprache verschlagen hatte, obwohl er sich sicher war, dass er sprechen konnte. Er traute ihm die Tat am wenigsten zu, den anderen beiden schon.

      „Träumst du? Ich habe gesagt, wir sind da.“

      Sie standen vor einem hübschen Einfamilienhaus in Neuötting in der Trostberger Straße und klingelten. Auf dem Klingelschild stand Hauptmann/Petrovka. Eine junge, hübsche Frau öffnete.

      „Sind Sie Ludmilla Petrovka?“

      „Wer will das wissen?“

      „Mein Name ist Leo Schwartz, Kriminalpolizei Mühldorf. Das ist mein Kollege Hiebler. Wir sind hier wegen einer Katharina Zirbner.“

      „Ich bin Ludmilla Petrovka. Was ist mit Katharina? Ich habe schon versucht, sie zu erreichen, aber sie geht nicht an ihr Handy. Ist etwas passiert?“ Sie spürte sofort, dass etwas Schreckliches geschehen war, denn warum sonst sollte sich die Kriminalpolizei für Katharina interessieren? Und dazu noch die betroffenen Gesichter der beiden Männer! Ihr wurde übel.

      „Milla, wer ist da?“, hörten sie eine männliche Stimme aus dem Haus.

      „Die Polizei,“ rief sie zurück und bat die beiden mit einer Geste ins Haus. Sie gingen ins Wohnzimmer, in dem ein älterer Mann mit einer Decke über den Beinen im Ohrensessel saß und die beiden neugierig ansah.

      „Das ist Konrad Hauptmann. Herr Schwartz und Herr Hiebler von der Kriminalpolizei, sie kommen wegen Katharina.“

      „Setzen Sie sich bitte. Was ist mit dem Mädchen? Hat sie etwas angestellt?“

      „Sie wurde gestern tot aufgefunden, sie wurde ermordet.“

      Ludmilla war total geschockt, der alte Mann hielt ihre Hand.

      „Entschuldigen Sie mich einen Moment,“ sagte Ludmilla bemüht gefasst und rannte nach draußen. Sie wollte allein sein und diese Nachricht verarbeiten. Es widersprach ihrer Erziehung, dass sie sich Fremden gegenüber gehen ließ und ihre Gefühle zeigte. Sie musste weinen und wollte allein sein. Diese schreckliche Nachricht musste sie begreifen und sacken lassen, dazu konnte sie keine Zuschauer gebrauchen. Katharina war tot! Hatte der große Polizist gesagt, sie wurde ermordet? Sie spritzte sich mehrmals