ZAHLTAG IN DER MORTUARY BAR. Eberhard Weidner

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Название ZAHLTAG IN DER MORTUARY BAR
Автор произведения Eberhard Weidner
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847636366



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das!«, erwiderte Bettina und wiegte sich schon wieder fröhlich im Takt der Musik.

      »Und wie willst du nach Hause kommen?«

      Bettina hob die Schultern und hob in gespielter Unschuld die Arme. »Wer, glaubst du, könnte mir einen Wunsch abschlagen? Irgendeinen Dummen werde ich schon finden.«

      Die beiden Mädchen lachten laut. Toni, der annahm, dass er schon wieder Zielscheibe ihres Spotts war, zog den Kopf noch ein Stück weiter zwischen die Schultern, als hätte er vor, wie eine Schildkröte im eigenen Panzer zu verschwinden.

      Eine halbe Stunde später verabschiedeten sich die Freunde von ihr. Bettina und Beate umarmten sich und gaben sich gegenseitig Küsschen auf die Wangen. Toni, der Träne, war es anzusehen, dass er sich auch gerne so von ihr verabschiedet hätte. Doch da er sich noch nicht einmal traute, ihr die Hand zu geben, winkte er ihr nur zögerlich zu und trottete dann mit eingezogenem Kopf hinter den anderen her.

      Nun war sie allein, doch das machte ihr nichts aus. Ab und zu war sie ganz gerne allein. Und wenn es ihr doch zu einsam werden sollte, würde sie gewiss keine Schwierigkeiten haben, hier nette Gesellschaft zu finden. Sie sah sich um und entdeckte ganz in der Nähe eine Gruppe junger Leute, von denen sie den einen oder anderen flüchtig kannte. Vielleicht würde sie später sogar einen von ihnen bitten, sie mitzunehmen und nach Hause zu fahren. Ihr Blick wanderte weiter und blieb an einem jungen Mann haften, der ebenfalls allein war, am Rand der Tanzfläche stand, mit der rechten Hand ein Bierglas umfasst hielt und die Tänzer beobachtete.

      Bettinas Herz setzte ein paar Schläge aus, als sie ihn erblickte. Sie wusste nicht, woher sie die plötzliche Gewissheit nahm, dennoch war sie sicher: Dort stand er, ihr Traummann. Und nun wusste sie auch endlich, wie er aussehen sollte. Wie eine Mischung aus Bradley Cooper und dem jungen Alain Delon. Bettina bemerkte, dass sie ihn anstarrte, und blickte schnell weg. Wenn er bemerkte, dass sie ihn wie eine dumme Göre anhimmelte, dann hatte sie doch gleich verschissen. Sie musste es schon geschickter anstellen, ihn auf sich aufmerksam zu machen. Bloß wie? Vielleicht sollte sie sich zuerst ein bisschen beruhigen, denn ihr Herz hämmerte schmerzhaft in ihrer Brust, ihr Puls raste wie nach einem Tanzmarathon, und ihr Mund war so ausgetrocknet wie die Marsoberfläche, über die dieses kleine süße Fahrzeug gefahren war. Nicht gerade die beste Ausgangslage, um kühl und überlegt an diese Sache heranzugehen.

      Ganz ruhig, sagte sie sich, einfach ganz cool und locker bleiben!

      Obwohl es ihr immer leicht gefallen war, Leute anzusprechen und neue Freunde zu finden, wusste sie instinktiv, dass es dieses Mal nicht so einfach werden würde. Schließlich waren das bisher nur irgendwelche Leute gewesen, die ihr nie so viel bedeutet hatten, während es sich hier um den Mann ihrer Träume handelte, in den sie sich auf den ersten Blick unsterblich verliebt hatte. Davon war sie schon jetzt felsenfest überzeugt. Also musste sie gut überlegen, wie sie nun vorging und was sie sagte, wenn sie ihn ansprach, denn eine Zurückweisung von ihm würde sie nicht überleben, ganz bestimmt nicht. Und falls doch, würde sie eben nachhelfen müssen und in der Badewanne ihre Pulsadern aufschneiden. Denn sie wusste, dass sie ohne ihn nicht mehr leben konnte.

      Da sie weder ihren Herz- noch ihren Pulsschlag beeinflussen konnte, beschloss sie, wenigstens etwas gegen die Trockenheit in ihrer Kehle zu unternehmen, nahm ihr Glas und stürzte den Rest des Colaweizens hinunter. Dabei fiel ihr Blick zufällig wieder auf ihren Traummann, und sie bemerkte, dass er sie ansah und lächelte. Beinahe wäre ihr das Glas aus den zitternden Fingern geglitten, doch sie umklammerte es krampfhaft und setzte es schnell ab. Sie versuchte, sein Lächeln zu erwidern, war sich jedoch nicht sicher, ob es geklappt hatte, da sich ihr Gesichtsausdruck innerlich eher wie eine Grimasse anfühlte.

      Das war’s dann wohl, blöde Kuh, schalt sich Bettina. Wahrscheinlich fragt er sich gerade, wer die Verrückte mit der beidseitigen Gesichtslähmung ist.

      Doch plötzlich setzte sich der junge Mann in Bewegung und kam langsam auf sie zu, wobei er sie weiter anlächelte.

      Bettina sah sich verwirrt um. Vielleicht meinte er ja gar nicht sie, sondern jemand anderen. Die meisten Leute in der Nähe waren jedoch mit anderen Dingen beschäftigt. Nur eine junge Frau, die allein an einer Säule in der Nähe lehnte, musterte sie für einen Moment mit ausdruckslosem Gesicht, blickte dann aber wieder gelangweilt weg.

      »Hallo«, rief der gut aussehende, junge Mann, als er dicht neben ihr stand, und stellte sein Bier auf den Tisch.

      Erschrocken fuhr Bettina zusammen. Sie drehte leicht den Kopf und blickte in seine warmen, braunen Augen. »Äh … hallo.«

      Ihre Köpfe befanden sich nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt, damit sie sich unterhalten konnten, ohne zu schreien.

      »Mein Name ist Andi«, stellte er sich vor. »Und wie heißt du?«

      Normalerweise wäre Bettina über so eine plumpe, direkte Anmache in schallendes Gelächter ausgebrochen und hätte demjenigen, der versucht hätte, sie auf diese Art anzubaggern, noch einen Tritt in den Hintern mit auf den Nachhauseweg gegeben, doch im Augenblick war sie wie verzaubert. Wieso sollte man die Sache denn umständlich über Umwege angehen, wenn es auch so einfach und direkt ging? »Ich heiße Bettina«, sagte sie und kicherte dabei verlegen.

      »Schön, dich kennenzulernen, Bettina«, sagte er lächelnd und streckte ihr seine Hand entgegen.

      »Finde ich auch«, stimmte sie zu, ergriff die dargebotene Hand und schüttelte sie überschwänglich. »Ich heiße übrigens Bettina.«

      Er lachte und befreite vorsichtig seine Hand aus ihrem Griff. »Ich weiß.«

      Sie machte große Augen. »Woher weißt du meinen Namen?«

      »Du hast ihn mir schon gesagt.«

      »Schei…« Sie schlug die Hand vor den Mund, bevor das schlimme Wort ihr vollends entschlüpfen konnte, und schämte sich für ihre Dämlichkeit. Sich zweimal namentlich vorzustellen – wie bescheuert konnte ein Mensch eigentlich sein? Wenn er sie zuvor nicht für eine Vollidiotin gehalten hatte, dann spätestens jetzt.

      »Ich heiße übrigens Andi«, sagte er und streckte ihr noch einmal die Hand entgegen.

      Sie brach in schallendes Gelächter aus, und er fiel mit ein. Nach kurzer Zeit ebbte das Gelächter ab, und Bettina wischte sich die Tränen aus den Augen.

      »Nun haben wir uns wohl ausreichend miteinander bekannt gemacht«, sagte Andi.

      »Stimmt.«

      »Bist du ganz allein hier?«

      Sie nickte. »Meine Clique ist noch woanders hingefahren, aber ich wollte nicht mit. Mir gefällt es hier. Und du?«

      »Ich bin allein hierhergekommen«, antwortete er. »Ich fahre zurzeit mit meinem alten VW-Bus durch Europa. Ich hab eigentlich nur haltgemacht, weil ich ein paar Ersatzteile brauche, und so bin ich heute hier gelandet. Zum Glück, wie ich vor wenigen Augenblicken festgestellt habe.«

      »Heißt das, dass du morgen schon wieder weiterfährst?«, fragte sie enttäuscht.

      Er zuckte mit den Schultern. »Wer weiß. Ich bin frei und ungebunden wie ein Vogel. Wenn ich die Ersatzteile kriege, die ich brauche, bin ich morgen vielleicht schon wieder ganz woanders. In Rom, Venedig oder Paris, der Stadt der Liebe. Wer weiß? Vielleicht bleibe ich aber auch etwas länger hier, wenn es einen guten Grund dafür gibt.« Lächelnd zwinkerte er ihr zu.

      Bettina schmolz beinahe wie Butter in der Mikrowelle dahin. »Toll!«, hauchte sie.

      »Was?«

      »Na ja, diese Freiheit. Einfach zu tun, was einem gefällt.« Sie senkte den Blick und starrte auf die Tischplatte. Während sie weitersprach, tauchte sie ihren Zeigefinger in eine Bierpfütze und zeichnete geometrische Figuren auf die Tischplatte. »Bei mir ist das ganz anders. Alles hier engt mich ein. Vor allem die blöde Schule und diese bescheuerten Lehrer. Das Abi schaffe ich wahrscheinlich sowieso nicht. Und dann sind da auch noch meine Eltern, die mir die ganze Zeit nur Vorschriften machen und damit so was von auf den Sack … ups« Sie verstummte erschrocken, nachdem ihr dieser Ausdruck herausgerutscht war,