ZAHLTAG IN DER MORTUARY BAR. Eberhard Weidner

Читать онлайн.
Название ZAHLTAG IN DER MORTUARY BAR
Автор произведения Eberhard Weidner
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847636366



Скачать книгу

stehen. Von dort verfolgten sie fasziniert die Dreharbeiten. Silke legte gleich einen neuen Film in die Nikon und schoss selbst Fotos von dem, was sie sahen.

      In einem großen Schlafzimmer im Erdgeschoss des Hauses befanden sich momentan vier Personen. Ein Mann mit einer Baseballkappe der Arizona Diamondbacks, bei dem es sich vermutlich um den Regisseur des Films handelte, erklärte den Darstellern, zwei weiteren Männern und einer Frau, die nächste Szene. Die Frau trug nur ein dünnes Nachthemd und lag auf dem Bett. Fast schien es, als würde sie vor sich hindösen und kaum etwas von dem wahrnehmen, was der Regisseur erklärte. Wahrscheinlich, dachte Silke, konzentrierte sich die Schauspielerin auf die bevorstehende Szene. Die beiden männlichen Darsteller nickten zum Zeichen, dass sie die Regieanweisungen verstanden hatten, und verließen das Schlafzimmer durch eine Tür in der Seitenwand. Auch der Regisseur verließ die Kulisse, sodass lediglich die Frau zurückblieb.

      Der Regisseur gesellte sich zu den anderen Leuten unter die schützende Plane und nahm auf einem Klappstuhl Platz. Neben ihm stand die Kamera. Etwas weiter vorn stand ein junger Mann und hielt den Mikrofongalgen so, dass das Aufnahmegerät auf das Schlafzimmer gerichtet war, aber nicht im Bild auftauchte. Der Regisseur nickte einer jungen Frau zu, die daraufhin mit einer Filmklappe vor die Kamera trat.

      »Der Tod kommt nur nachts, Szene 138, die erste«, sagte sie laut, schlug die beiden Teile der Klappe krachend aufeinander und huschte dann flink zur Seite.

      »Ton?«, fragte der Regisseur.

      »Läuft.«

      »Kamera?«

      »Läuft.«

      »Action!«

      Die Frau im Bett rührte sich nicht und gab vor, zu schlafen. Plötzlich zerbarst die Fensterscheibe hinter dem Bett, und einer der beiden männlichen Darsteller kletterte ins Schlafzimmer. Der zweite trat die Tür ein, durch die sie kurz zuvor verschwunden waren, und stürmte ins Schlafzimmer. Beide hielten gefährlich aussehende Messer mit langen, glänzenden Klingen in ihren Händen. Die Frau auf dem Bett, scheinbar durch den infernalischen Lärm geweckt, fuhr hoch, sah die beiden Eindringlinge und schrie gellend. Die beiden Männer stürmten zum Bett, hoben unisono die Messer und stachen damit wie wild auf die Frau ein. Ihr Schrei endete buchstäblich wie abgeschnitten. Immer wieder schwangen die beiden Messerklingen nach oben und sofort wieder nach unten. Das Blut spritzte sogar bis zur Zimmerdecke, und das weiße Bettzeug färbte sich rasch rot.

      Günther warf seiner Frau einen kurzen Blick zu. Silke hatte zwar leicht angewidert das Gesicht verzogen, da sie übertriebene Brutalität in Filmen eigentlich nicht mochte, starrte aber dennoch wie hypnotisiert auf die bestialische Szene. Günther lächelte und richtete seine Augen wieder auf die Filmszene.

      Die beiden Darsteller gebärdeten sich noch immer wie rasend. Mit verzerrten Gesichtern, aus denen alles Menschliche gewichen war, hackten sie immer wieder auf ihr Opfer ein. In diesem Moment rief der Regisseur: »Schnitt!« Augenblicklich ließen die beiden Männer die Messer sinken und wandten sich vom Bett ab. Sie grinsten sich an und klatschten sich mit ihren linken Händen gegenseitig ab. Mit mehreren Mitarbeitern im Schlepptau betrat der Regisseur das Set und klopfte den beiden Männern anerkennend auf die Schultern. Das Schlafzimmer war jetzt voller Menschen, die dort diversen Tätigkeiten nachgingen, sodass man das blutüberströmte Bett und die Schauspielerin dahinter gar nicht mehr sehen konnte.

      Silke wandte sich ab und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Hauswand. »Puh, für meine Begriffe war das ziemlich brutal. Den Film sehe ich mir bestimmt nicht an, wenn er bei uns im Kino oder im Fernsehen kommt.«

      »Aber gut gemacht, oder?«, wandte Günther ein. »Sah irgendwie richtig echt aus.«

      »Stimmt. Wie machen die so was bloß?«

      Günther zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Auf alle Fälle braucht man dafür eine Menge Filmblut. Ich glaube, es wird in kleinen Beuteln auf die Haut geklebt und dann überschminkt. Die Klingen der Messer sind nicht starr, sondern verschwinden im Griff. Und sobald das Messer auf einen Beutel mit Filmblut trifft, platzt der Beutel und verspritzt seinen Inhalt.«

      »Sehr interessant, nicht wahr?«

      Günther drehte sich sofort um, als er die unbekannte Stimme hinter sich hörte. Zwei Schritte von ihm entfernt stand ein alter Mann mit dem wettergegerbten Gesicht des Marlboro-Mannes und einem Zahnstocher im Mundwinkel.

      »Ja, wirklich sehr interessant«, antwortete Günther.

      »Darf ich fragen, woher Sie kommen?«

      »Natürlich. Wir sind aus Deutschland.«

      »Aus Deutschland«, wiederholte der alte Mann nachdenklich. »Da war ich auch schon. Ist allerdings schon ein paar Jahre her. Ich war dort, um Nazischweine zu töten.«

      Günther und Silke warfen sich irritierte Blicke zu.

      »Übrigens, mein Name ist Walt Hooper«, stellte sich der Alte vor und streckte die rechte Hand aus. Günther ergriff sie und nannte ihre Namen. Walt schüttelte auch Silke die Hand und musterte sie dabei von oben bis unten. »Haben Sie schon mal daran gedacht, in einem Film mitzuspielen, Lady?«

      Silke schüttelte entgeistert den Kopf. »Nein, so etwas kann ich nicht. Ich bin Lehrerin.«

      »Na, vielleicht bringen wir Sie ja noch dazu, solange Sie sich in unserem schönen Städtchen aufhalten«, meinte Walt lächelnd. »Sie kommen mir nämlich vor wie eine zweite Rita Hayworth.«

      Silke lachte. »Wohl kaum.«

      »Nun, wie auch immer, ich bin jedenfalls der Bürgermeister von Movietown. Nebenbei mache ich auch Filme.«

      »Sie sind Regisseur?«, fragte Günther überrascht.

      »Ja. Jeder Einwohner unserer Stadt hat mit dem Film zu tun, denn Movietown ist nach Hollywood die zweite Filmmetropole dieses Landes. Wir produzieren etwa fünfzig Filme pro Jahr«, erklärte Walt stolz. »Warum kommen Sie nicht einfach heute Abend auf unsere Feier. Sie sind hiermit herzlich eingeladen. Die ganze Stadt wird da sein und feiern.«

      »Eine Feier?«, wiederholte Silke. »Was wird denn gefeiert?«

      »Gerade wurde die letzte Szene aus Der Tod kommt nur nachts gedreht. Das wird natürlich gefeiert. Romero wird selbstverständlich auch kommen.«

      »Romero?«, fragte Günther verwundert.

      »Ja. Joseph Romero. Sie haben ihn bestimmt gesehen. Er ist der Regisseur des Films. Und, wie sieht’s aus? Können wir mit Ihnen rechnen?«

      Günther und Silke warfen sich fragende Blicke zu.

      »Was meinst du?«, fragte Günther.

      »Wäre zur Abwechslung mal was anderes«, sagte Silke, und die Vorfreude ließ ihre Augen in einer Art und Weise funkeln, der Günther noch nie hatte widerstehen können. »Außerdem haben wir’s ja nicht so eilig, oder? Heike und Rolf werden auf alle Fälle Bauklötze staunen, wenn wir Ihnen diese Geschichte erzählen und die Bilder zeigen.«

      Lächelnd gab Günther sein Einverständnis. Er wandte sich an den Bürgermeister. »Sie haben uns überredet, Mr Hooper, wir kommen gerne. Vielleicht können Sie uns auch sagen, wo wir hier für eine Nacht ein Zimmer bekommen.«

      »Freut mich, dass Sie zu unserer Feier kommen. Ich kann Ihnen schon jetzt versprechen, dass Sie es bestimmt nicht bereuen werden. Und nennen Sie mich bitte Walt.« Er drehte sich um und zeigte auf ein großes Fachwerkhaus, das genauso gut in einer deutschen Stadt hätte stehen können. »Das ist das Hollywood Hilton, wahrscheinlich das beste Hotel im Umkreis von fünfhundert Meilen. Sagen Sie Linda – das ist die freundliche junge Dame am Empfang –, dass ich Sie geschickt habe, dann macht sie Ihnen einen Sonderpreis.«

      »Vielen Dank«, sagte Günther.

      »Ich danke Ihnen, wir freuen uns nämlich immer über Gäste. Ich sehe Sie dann auf der Feier.« Damit wandte sich Walt ab und ging in Richtung Main Street davon.

      Günther und Silke warteten, bis er um die Ecke verschwunden war,