Название | Die Brücke zur Sonne |
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Автор произведения | Regan Holdridge |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783754170441 |
„Grausam“, sagte sie auf einmal. „Einfach furchtbar!“ Verächtlich legte sie den Kopf schief. Ein höhnischer Blick traf ihren Mann. „Hoffentlich passen die Leute hier nicht zu der Straße. Ich kann mir nämlich sehr gut vorstellen was passiert, wenn erst einmal diese Art von Touristen Einzug hält, die sich hier wohl fühlen! Dann wimmelt es wahrscheinlich von Möchtegern-Revolverhelden! Seit dieser ganzen Westernmanie kann man ja sogar in London Cowboyhüte kaufen. Matt! Es wird höchste Zeit für dich aufzuwachen – wir leben im Jahr 1965! Wieso befassen sich die Leute heutzutage noch mit Dingen, die längst vorbei sind und auch niemals wiederkommen werden?“ Rachel machte eine gespannte, lauernde Pause, doch ihr Mann schürzte lediglich die Lippen und wandte den Blick von ihr ab. Sie hob die Brauen. „Kommt, lasst uns gehen. Nicht, dass wir noch in Gefahr laufen, versehentlich über den Haufen geschossen zu werden.“
Während Patty der Aufforrderung dankbar nachkam, hatte Jean weder Rachel, noch Matthew bei ihrem verhaltenen Zank zugehört. Ihr Herz schlug schneller. Fasziniert betrachtete sie die alten Gebäude und sie spürte, wie die Anziehungskraft, die von ihnen ausging, auch vor ihr nicht Halt machte. Welche Geschichten diese Häuser erzählen könnten! Gleich links, das erste Gebäude neben dem sie standen, war ein Saloon. Als Türen besaß er lediglich zwei halbhohe, typische Schwingklappen, wie sie es aus den Hollywoodfilmen kannte und unter dem Balkon baumelte ein riesiges Holzschild an zwei dicken Eisenketten, das dem Besucher seine Funktion verriet: „Big Bear Saloon“.
Neben dem Eingang, im Schatten, den der überstehende Balkon spendete, lehnten zwei Männer an der braunen Holzwand. Sie waren jung, kaum über zwanzig, und sprachen leise miteinander. Beide trugen Bluejeans und Cowboystiefel und einen dazu passenden Hut mit breiter Krempe und verziertem Band. Der vordere, der ihnen den Rücken zuwandte, zog genüsslich an einer Zigarette, während sein Gesprächspartner die Daumen lässig in den vorderen Gürtelschlaufen seiner Hose eingehängt hatte.
Ohne es zu merken, betrachtete Jean ihn unverhohlen. Er war groß und auffallend schlank und besaß strohblondes, leicht gelocktes Haar. Er sah recht gut aus, wobei seine schmalen, weichen Gesichtszüge an die eines Lausejungen erinnerten. Als er laut auflachte, zeigte er eine Reihe gerader, schneeweißer Zähne und plötzlich bemerkte er Jeans unverhohlen neugierige Blicke. Sein Lachen verwandelte sich zu einem breiten Grinsen und er tippte sich mit zwei Fingern zum Gruß an die Krempe seines Hutes.
Unwillkürlich musste Jean ebenfalls lächeln. Etwas an ihm gefiel ihr. Er erinnerte sie daran, wie sie heimlich mit ihren beiden besten Freundinnen und den Jungs aus der Stadt im Park umhergetobt hatte – bis zu dem Tag, an dem Rachel sie dabei erwischte. Das war nun bestimmt schon drei Jahre her. Seitdem verbrachte sie ihre Freizeit nur noch mit Mädchen gleichen Alters und nur noch mit solchen, die Rachel als angemessen empfand. Mit irgendwelchen Kindern von der Straße hatte sie sich nicht zu umgeben – das war ihr seither strengstens untersagt und die Jungs waren ohnehin merkwürdig geworden. Sie wollten sich wie Rebellen und Helden benehmen und taten die Mädchen als „Kinder“ ab. Jean konnte das nicht verstehen. Was war in sie gefahren? Sie waren ebenso erst sechzehn Jahre alt, doch dieser junge Amerikaner dort, keine zehn Schritte von ihr entfernt, schien anders zu sein, ganz anders. Nur äußerlich hatte er sich zu einem jungen Erwachsenen entwickelt, in seinen blauen Augen dagegen blitzte unverkennbar der Schalk – sie konnte sich seinem übermütigen, gutgelaunten Grinsen und der unschuldigen Ausstrahlung nicht entziehen.
In diesem Augenblick drehte Rachel sich um, da ihr auffiel, dass das vierte Mitglied ihrer Familie den Anschluss verloren hatte. Erschrocken zuckte Jean zusammen. „Wie bitte? Hast du mit mir gesprochen? Ich meine…ich wollte fragen: Was tun wir jetzt?“
Mit einem Wimpernschlag hatte ihre Mutter die Situation erfasst. Missbilligend zogen sich ihre Brauen zusammen. Ein eisiger Blick traf den jungen Mann.
„Dieser Umgang dürfte kaum der richtige für dich sein“, raunte sie scharf. „Und jetzt komm endlich!“
Jean fühlte, wie sie errötete und senkte beschämt den Kopf. Sie wusste, dass ihre Mutter es nicht ausstehen konnte, ja, geradezu hasste, wenn sie sich mit Personen abgab, die ihr nicht gut genug erschienen. Deshalb und nur deshalb hatte sie ihr das Spiel mit den Jungs im Park verboten – keiner von ihnen stammte aus der oberen Gesellschaftsschicht Londons. Verschüchtert, ohne sich noch einmal umzusehen, ließ Jean sich von ihrer Mutter zum Jeep zurück dirigieren, während Matt einige Schritte dahinter folgte.
Seine Begeisterung hatte einen gehörigen Dämpfer und sein Mut einen gewaltigen Rückschlag erlitten. In weitem Abstand folgte er seiner Familie zurück zum Wagen. Seine zuvor zumindest im Ansatz noch vorhandene Hoffnung, Rachel könnte sich vielleicht mit den Gegebenheiten abfinden, schwand mit jedem seiner Schritte und er ärgerte sich darüber. Die Minute der Wahrheit rückte unaufhaltsam näher und schon jetzt graute ihm vor dem, was ihm in Kürze bevorstand. Wortlos stiegen sie wieder in den schwarzen Jeep.
„Jetzt fahr endlich zu unserem neuen Haus“, kommandierte seine Frau unwirsch. „Du bist vielleicht noch als einziger bei Laune, beim Anblick deiner zur Wirklichkeit gewordenen Kinoträume!“
Mit einem tiefen Seufzer startete Matthew den Motor. Absichtlich langsam fuhr er die Teerstraße weiter hinab zum östlichen Ende Silvertowns. Sie ließen den Ort hinter sich und folgten der einspurigen Landstraße, immer weiter in die endlose Ebene hinaus. Etwa fünf Minuten später bremste Matt unvermittelt ab und bog nach rechts in einen für Unwissende kaum erkennbaren Feldweg ein.
Irritiert starrte Rachel ihn an. „Würdest du vielleicht die Güte besitzen und uns verraten, wohin du uns entführst?“
„Vielleicht bringt er uns in eine Höhle, irgendwo da draußen in der Wildnis!“, unkte Patty von hinten und wurde im selben Moment unsanft zur Seite geschleudert, als der Jeep ein Schlagloch erwischte.
„Nun…der Weg führt zu unserem Haus.“ Wie von einer großen Last befreit, atmete Matt tief durch – es war endlich ausgesprochen.
Der Wagen rumpelte über den regendurchweichten, unebenen Boden, der an einigen Stellen mit rauen Steinen übersät war, wodurch die Radfederung strapaziert und die Insassen gehörig durchgerüttelt wurden.
„Zu unserem Haus?“, wiederholte Rachel mit eigenartigem, ungläubigem Gesichtsausdruck. Sie verstand noch immer nicht recht.
„Es hat früher einem Siedlerehepaar gehört“, erklärte Matthew schnell, um sie nicht weiter zu Wort kommen zu lassen. „Als sie verstarben, kaufte die Stadt das Haus. Nun stand es geschlagene fünfzehn Jahre leer und entsprechend sieht es von außen natürlich aus. Das soll dich aber nicht irritieren! Wir müssen noch ein wenig an Reparaturkosten investieren, aber bis auf das Dach werden sie sich in Grenzen halten. Natürlich habe ich auch die alten Möbel rausgeworfen und neue gekauft. Sie sind auch schon geliefert worden und auf die richtigen Zimmer verteilt. Es wird euch gefallen – bestimmt!“ Ein schlechter Lügner bist du, Doktor van Haren.
„Siedlerehepaar!“, echote Patty empört von der Rücksitzbank. „Das mag ja vielleicht das richtige für Jean sein, aber wie kannst du mir so etwas zumuten?! Ein Haus, in dem womöglich schon die Spinnweben von den Decken fallen oder der Boden durchbricht, wenn ich mich traue, das obere Stockwerk zu betreten! Hoffentlich hat es wenigstens einen Swimmingpool. Bei der Hitze, die hier wohl im Sommer herrscht, ist das ja das Mindeste!“
Matthew musste sich auf die Lippen beißen, um nicht laut aufzulachen. Wenn seine kleine Tochter doch nur eine blasse Ahnung von dem Leben hier draußen, weit weg von jeder größeren Metropole hätte! Aber sie besaß leider ausschließlich Ahnung von den aktuellen Modetrends und den neuesten Meldungen aus den gehobenen Londoner Kreisen – ganz ähnlich seiner Frau. Sie waren sich einfach sehr ähnlich, für seinen Geschmack zu ähnlich.
Der Weg führte über einen Hügel, von dessen Kuppe aus die Sicht weit über das dahinterliegende Land reichte. Außer vereinzelten, kleinen Wäldchen und Sträuchern schien bis zum weit entfernten Horizont nichts mehr zu kommen, nur noch Präriegras.
„Wo soll denn hier ein Haus sein?“ Verwirrt blickte Jean sich nach allen Seiten um. „Ich sehe keins!“