Название | Die Brücke zur Sonne |
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Автор произведения | Regan Holdridge |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783754170441 |
„Diese Diskussion ist für mich längst beendet“, fiel Rachel ihr ungehalten ins Wort, wobei ihre Miene sich verfinsterte. „Hör endlich auf mit diesem Gezeter und benimm dich, wie ich es dich gelehrt habe!“
„Aber Mom!“, brauste das Mädchen verzweifelt auf. Ihre Lage schien aussichtslos und in ihren jungen, unerfahrenen Gedanken breitete sich eine Art von Abscheu aus – gegen das Leben, ihr Schicksal und gegen ihre Mutter, die sie zu zwingen vermochte. Keiner verstand sie! Keiner verstand, wie es in ihr aussah!
„Was haben wir denn in den Vereinigten Staaten schon verloren? Die Väter von anderen Mädchen in meinem Alter bleiben doch auch hier und haben bedeutende Stellungen in ihren Berufen! Wieso müsst ausgerechnet ihr derartig verrückt sein?“
„Erstens verbitte ich mir diesen Ausdruck und zweitens habe ich dir die Gründe bereits erklärt. Es geht um die Karriere deines Vaters. Ein Jahr ist schnell vorbei und jetzt reiß dich um Himmels Willen zusammen!“ Ungeduldig drehte Rachel sich auf dem Absatz um. „Ich muss zusehen, dass deine Schwester endlich das Chaos in ihrem Zimmer beseitigt. Dann schau ich nach, ob dein Vater die Koffer schon hinuntergetragen hat und ob ich das Taxi rufen kann. Außerdem solltest du noch gut frühstücken, bevor es losgeht.“ Sie eilte zur Tür, wobei die hohen Absätze ihrer Schuhe im Takt ihres schwebenden Ganges klapperten.
„Und was passiert jetzt mit mir?“ Mit einem letzten, aufbäumenden Versuch, dem Unvermeidbaren doch noch zu entrinnen, sprang das Mädchen auf. „Schön – für Paps ist es ein Aufstieg und für mich? Ich muss für ein Jahr alles aufgeben – meine Freunde, die Schule…“
„Patricia Lorena van Haren!“ Rachel hatte bereits die Türe aufgerissen. „Du hast vollkommen falsche Vorstellungen von einer amerikanischen Großstadt! Sie ähnelt London sehr, sei ganz beruhigt! Auch dort gibt es Mädchen, mit denen du dich anfreunden kannst, außerdem: Noch bestimme ich hier, was gut für dich ist und was nicht! Und ich erkläre dir hiermit zum allerletzten Mal: Wir fliegen!“
Rachel lief davon. Leise glitt die Tür hinter ihr ins Schloss. Regungslos hing Pattys Blick an den Schnitzereien im Nussbaumholz, als erhoffte sie sich von ihnen Hilfe oder eine Antwort. Alles hatte sie versucht, wirklich alles, um diesem einen Jahr in den Staaten zu entrinnen. Bis heute Morgen war sie so fest davon überzeugt gewesen, doch noch ihren Willen durchsetzen zu können, aber jetzt war auch diese Hoffnung geplatzt, wie eine schöne Seifenblase, die schon viel zu lange in der Luft geschwebt hatte.
Tränen der Wut und Enttäuschung brannten in ihren Augen und sie tat sich selbst entsetzlich leid. Allein die Vorstellung, in ein Land zu ziehen, das ihr vollkommen fremd war, jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Sie konnte das nicht, es war zuviel verlangt! Sie war nie, niemals in ihrem ganzen bisherigen Leben aus ihrer vertrauten Umgebung herausgekommen. Wie sollte sie ein ganzes Jahr in einem Land meistern, das sie schon jetzt verabscheute? Alle Mädchen in ihrer Schulklasse beneideten sie darum, dass sie zwölf Monate in den USA verbringen durfte – ein Land, das sie alle lediglich von der Leinwand des städtischen Kinos kannten. Nur Patty selbst brachte es beim besten Willen nicht fertig, es als neue, bereichernde Erfahrung zu empfinden.
Wenn ich nur mit jemandem tauschen könnte! Ihr genügte das Bild auf der Leinwand. Wozu dieses herrliche, sorgenfreie Leben hier aufgeben, wo es ihr gut ging und sie alles besaß, wovon andere Mädchen in ihrem Alter nur träumen konnten? Teure Kleider, zwei riesige Zimmer, ein eigenes Bad, eine eigene Lounge im Kino, die nur für ihre Familie reserviert war…
Die Wanduhr schlug laut und dröhnend die volle Stunde, ihr Gong hallte durch das Zimmer. Patty zuckte zusammen. Jeden Augenblick konnte es soweit sein. Vielleicht gab es noch einen letzten Ausweg, vielleicht bekam ihr Vater ja noch ein Einsehen! Ihr Vater – ihr letzter Strohhalm, an den sie sich klammern konnte, weil er viel nachgiebiger und weicher war als Rachel. Entschlossen warf Patty den Kopf zurück, ihr nach außen geföhntes Haar flog mit der Bewegung mit. Auch, wenn sie vor kurzem erst vierzehn geworden war, so besaß sie doch dieselben Eigenschaften wie ihre Mutter – nämlich Starrsinn und eisernen Willen und bisweilen sogar die gleiche unnahbare, schier unerträgliche Gefühlskälte.
Das Frühstück schmeckte Patty nicht und sie kaute lustlos darauf herum, bis sie den Teller schließlich beiseiteschob und wortlos das Speisezimmer verließ. Unter Louisas hartem Blick war ihr nichts anderes übriggeblieben, als die letzten Krümel doch noch zusammenzukratzen, denn die Haushälterin hätte es fertiggebracht und sich bei Rachel beschwert. Noch nie hatte Patty sich vom Leben derart ungerecht behandelt gefühlt. Es kam ihr beinahe vor, als bedeutete dies das Ende jeglicher Zukunftsaussichten. Sie strich sich den Stoff ihres Designerkleides zurecht und schlich hinaus in die Eingangshalle.
In der Zwischenzeit hatten sich dort die Koffer und Reisetaschen gestapelt, gefüllt mit dem Wenigen, was sie von all ihrem Besitz mitnehmen konnten und Patty stand eine Weile davor, um sie anzustarren. Auf einmal begann Rachels herrische Stimme aus dem oberen Stockwerk nach unten zu dringen. Wahrscheinlich bekam ihre dämliche, zwei Jahre ältere Schwester gerade wieder einmal eine Standpauke zu hören, weil sie zum einen nicht fertig war mit Packen und zum anderen wieder irgendetwas angestellt hatte, ohne es überhaupt zu bemerken.
Patty seufzte. Eigentlich wäre es überhaupt kein Problem, wenn ihre Eltern sie und Louisa alleine hier zurücklassen würden. Schließlich musste sich ja trotz allem jemand um die Villa kümmern, auch wenn niemand für ein Jahr darin wohnen würde. Die kostbaren Möbel würden mit Tüchern abgedeckt werden, um sie vor Staub und Schmutz zu schützen und die Blumenbeete blieben für einen Frühling ohne die prächtige Farbenpracht, weil Rachel sich das Geld für den Gärtner sparen wollte. Wer wusste, ob Louisa alleine, ohne Beaufsichtigung in der Lage sein würde, sich um alles anständig zu kümmern? Patty betrachtete sich im mannshohen Garderobenspiegel und überprüfte den Sitz ihrer Frisur. Eigentlich wäre sie durchaus eine würdige Vertretung für den Rest ihrer Familie, wie sie fand.
Eine Autohupe riss sie wüst aus den schönen Überlegungen. Die schwere, geschnitzte Haustür stand weit offen und am Ende der fünf Stufen parkte soeben das bestellte, schwarze Taxi ein. Neben ihren drei eigenen Gepäckstücken blieb Patty stehen und starrte ihrem Vater finster entgegen, der soeben herein eilte.
Matthew Cleavon van Haren war gut Einmeterneunzig groß und schlank und der lange Mantel in dunklem Blau ließ ihn ausgesprochen weltgewandt aussehen. Als er seine jüngere Tochter bemerkte, verlangsamte er seinen Schritt. Sein gutaussehendes, schmales Gesicht verzog sich zu einem zärtlichen Lächeln.
„Na, mein Mädchen? Hast du auch nichts vergessen?“
Wortlos schüttelte Patty den Kopf und schürzte unverhohlen die Lippen. Es war Verletzung und Angst in einem, was in ihr tobte. Regungslos beobachteten ihre rehbraunen, verdächtig glänzenden Augen, wie ihr Vater die nächsten beiden Koffer zum Taxi trug. Der blaugekleidete Fahrer nahm sie ihm ab und verstaute sie im Kofferraum. Matthew kam zurück und wollte wieder zu zwei Taschen greifen, es waren Pattys.
„Paps?“ Hastig packte seine vierzehnjährige Tochter ihn an den Armen, riss ihn zu sich herum. Sie musste es aufhalten, jetzt, sofort, ehe es zu spät für sie wäre, denn sie fühlte instinktiv, dass dieses ganze Vorhaben für sie entsetzlich enden würde und dass sie dieses Jahr womöglich nicht durchstehen konnte. Patty besaß weder die Fähigkeit, noch die Erfahrung, die Ausmaße eines solchen Aufenthalts einzuschätzen, denn sie war von Kleinkindesalter an verwöhnt und behütet. Das jüngste Kind ihrer Eltern und Rachels großer Liebling, von ihrem Vater heiß und innig geliebt und von ihrer Mutter immer daran erinnert, dass sie nicht irgendeiner Familie angehörte, sondern dass sie etwas Besonderes geworden war. Nie hatte sie für etwas, das sie haben wollte, arbeiten oder einen Finger rühren müssen und gerade deshalb brannte die Enttäuschung in ihr, diesmal ihren Willen nicht bekommen zu haben. Dieses Mal schienen ihre Eltern ihr eigenes Ziel durchzusetzen und das passte Patty ganz und gar nicht. Sie konnte nicht ahnen, dass Mädchen wie sie eines war, keine Enttäuschung im Leben erspart blieb und dass die Lektionen, die sie zu lernen haben würde, härter waren, als sie es sich in diesem Moment ausmalen konnte. Sie verstand das Leben nicht – sie verstand nur die Oberflächlichkeiten und das genügte ihr.
Liebevoll