Die Brücke zur Sonne. Regan Holdridge

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Название Die Brücke zur Sonne
Автор произведения Regan Holdridge
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754170441



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eine Melodie vor sich hin summte. Sie schien aufgeregt, ja, geradezu erfreut zu sein, auf diese Feier gehen zu dürfen.

      „Musst du meine Nerven schon wieder mit deinem falschen Gejodel strapazieren?“, blaffte sie Jean einige Sekunden später an, die überrumpelt verstummte. „Es ist ja schön, wenn du glücklich bist, in deinem Alter endlich einmal zu erfahren, was eine Party ist“, fuhr Patty keifend fort. Sie genoss es jedesmal, wenn sie ihrer zwei Jahre älteren Schwester hineinwürgen konnte, dass sie in vielerlei Hinsicht schon wesentlich besser informiert war als diese. „Wenn du dich mal anständig anziehen würdest und ein bisschen auf dich achten, würde dich vielleicht auch endlich mal ein Junge ausführen.“

      „Patty!“, ermahnte Rachel sie, noch immer mit dem Lippenstift beschäftigt. Jean hingegen schwieg verletzt und starrte für den Rest der Fahrt regungslos zum Fenster hinaus. Sie kannte die Bosheiten ihrer kleinen Schwester zur Genüge und hatte keine Lust, sich davon den Abend verderben zu lassen. Was konnte sie dafür, dass sie nicht die Schönheit ihrer Mutter geerbt hatte?

      Draußen war es bereits dunkel. Nur ganz weit im Westen, über den weithin sichtbaren Gipfeln des bereits zu Oregon gehörigen Columbia Plateaus, erhellten die Sonnenstrahlen den Abendhimmel und schenkten ihm eine tiefe, leuchtend-rote Farbe. Je länger Patty nachdachte, desto unerträglicher kam ihr dieses ganze Leben vor. Sie träumte von der riesigen Bibliothek und dem freundlichen, gerade an solchen Abenden, herrlich gemütlichen Kaminzimmer in ihrer Villa in London. Da war das leise plätschernde Flüsschen, der säuberlich kurz gehaltene Rasen, wo sich kein einziger Halm Unkraut fand und auf dem sie im Sommer so gerne barfuß lief, weil er sich anfühlte, wie ein Meer aus Federn. Der Garten in seinen verschiedensten, genaustens aufeinander abgestimmten Grüntönen und die aus Marmorfliesen gearbeitete Terrasse unter dem Balkon – wie wundervoll sie doch dort lebten!

      Das Schlagloch, gleich zu Beginn des ungeteerten Weges, in den ihr Vater jetzt einbog, warf Patty unsanft gegen die Außenverkleidung und riss sie aus den ersten, schönen Gedanken, seitdem sie in diesem Land angekommen waren. Falsch, dachte sie, gelebt hatten muss es heißen!

      „Kannst du nicht aufpassen?“, fauchte sie zornig. „Meine ganze Frisur ist verrutscht!“

      „Gleich sind wir da. Dort hinten, am Wald“, rief Matthew, um den ausbrechenden Zoff im Keim zu ersticken. „Es wird bestimmt interessant werden, all unsere neuen Nachbarn kennenzulernen!“

      „Sehr interessant, bestimmt!“ Rachels Stimme klang zynisch. „Ich bin ja schon so wahnsinnig gespannt! Ich habe noch nie einen ehemaligen Revolverhelden getroffen. Wahrscheinlich kann er mir das Fest mit Abenteuergeschichten aus dem Wilden Westen versüßen! Und du kannst ja dann mit den Inhalten der neuesten Kinostreifen mitmischen!“

      Matthew fiel nicht sofort eine passende Antwort ein, aber er hielt es sowieso für angebracht, den Mund zu halten. Wenn sich seine Frau in einer derartig reizbaren, bissigen Stimmung befand, sollte niemand es wagen, sie zu veranlassen, ihre scharfe Zunge in Gebrauch zu nehmen, auch er nicht.

      „Was ist denn das?“ Verblüfft beugte Jean sich nach vorn, um besser erkennen zu können. Fasziniert starrte sie auf das, was sich vor ihnen auftat: Der Waldrand, auf den der Weg eben noch zugeführt hatte, war mit einem Mal auf gut einer Meile verschwunden. Dafür stand – wie ein einsamer Wachposten zwischen den auseinandergerissenen Bäumen – ein Windrad, so riesig, wie sie es noch nie gesehen hatte. Es erhob sich bis über die Wipfel der Baumkronen und die weiße Farbe seines Gerüsts schimmerte grell im Licht der Autoscheinwerfer.

      Matthew bremste ab. „Jetzt im Dunkeln ist es schlecht zu erkennen“, meinte er bedauernd.

      „Ich sehe genug“, entgegnete Rachel kalt.

      „Die Arkin Ranch liegt in einer Waldschneise“, fuhr Matthew ungerührt fort. „Sie wird nach hinten breiter, wie ein Wassertropfen. Ein Sturm hat das Loch vor vielen Jahren hineingerissen und Ende des letzten Jahrhunderts wurde dort die Ranch gegründet.“

      „Wirklich?“ Gereizt verzog Rachel das Gesicht. „Von wem hast du denn diese Erkenntnisse? Etwa vom werten Herrn Bürgermeister?“ Triumphierend stellte sie fest, dass ihr Mann nichts mehr entgegnete und zwinkerte Patty aufmunternd zu.

      „Und du“, sie deutete mit dem Zeigefinger auf Jean, „benimmst dich heute Abend bitte so, dass ich mich danach nicht für uns schämen muss!“

      „Ja, Mom.“ Jean senkte ihren Blick in den Schoß. „Ich bemühe mich.“

      „Das höre ich bedauerlicherweise jedesmal! Ich möchte nur wissen, woher du dieses ungeschickte Wesen hast.“

      Ihre ältere Tochter erwiderte nichts, sondern starrte regungslos zum Fenster des Wagens hinaus. Sie fuhren unter einem breiten Torbogen hindurch, der sich quer über den Weg spannte. Die auf dem gebogenen, breiten Holz herausgeschnitzten Buchstaben verrieten den Namen des Anwesens: Arkin Ranch. Dadurch, dass jeder Buchstabe mit weißer Farbe nachgezeichnet war, konnten sie die Worte auch im Dunkeln erkennen. Jede Ranch, ganz gleichgültig in welchem Gebiet, besaß einen solchen oder ähnlichen Eingangsbogen. Er stellte eine Art Ehrenkodex dar, wie diese sich präsentierte und jeder Besitzer bemühte sich, ihn ganz individuell nach seinen Vorstellungen zu gestalten.

      Der Weg führte zunächst direkt am linken Waldrand entlang, ehe er eine sanfte Rechtsbiegung an einer alten, großen Scheune vorbei machte. Gleich im Anschluss stand ein langes, ebenerdiges Holzgebäude mit vielen Fenstern an jeder Längsseite und zwei großen Toren an den Breitseiten – der Pferdestall. Dahinter befand sich ein kurzer, rechteckiger Pferch und in etwa zehn Metern Abstand dazu ein ebenerdiges, kleines Holzgebäude mit dem typischen, überdachten Vorbau. Vor den beiden Stufen waren Holzpfähle mit aufgeschraubten Querbalken zum Anbinden der Pferde in den Boden gerammt worden und einige Stühle sowie eine schlichte Bank standen neben der geschlossenen Haustüre. Aus den Fenstern des Erdgeschoßes strahlte Licht in die Nacht hinaus.

      Im rechten Winkel zu diesem Gebäude thronte, genau an der gegenüberliegenden Seite der Einfahrt, das einstöckige Ranchhaus. Es war von weißer Farbe, die jedoch aufgrund der Witterung in einzelnen, bräunlichen Fetzen abblätterte. Es besaß ebenfalls eine überdachte Veranda, die über zwei Stufen erreicht werden konnte. Rechts davon drückten sich zwei niedrige Vorratshütten in den Windschatten, von den Cowboys lediglich witzelnd „Abstellkammern“ genannt.

      Links des Ranchhauses, auf der freien Fläche neben dem Garten, hatte sich bereits eine Art Parkplatz gebildet, wo die eintreffenden Gäste neben– und hintereinander ihre Wagen abstellten und Matt beschloss, es ihnen gleichzutun.

      Am Arm ihres Mannes schwebte Rachel die beiden Stufen zum Vorbau hinauf. „Na, denn!“ Sie setzte ihr strahlendstes Lächeln auf. „Lass uns feiern. Ah!“ Sie lachte geziert auf. „Mister Bentley! Wie schön, Sie wiederzusehen!“

      Die Haustür war von innen geöffnet worden und als erstes trat ihnen der Bürgermeister Silvertowns entgegen, an diesem Abend im Nadelstreifenanzug und mit schwarzer Fliege. Sein roter Kopf glühte, während er ihnen nacheinander überschwänglich die Hände schüttelte.

      „Wie schön, dass Sie da sind! Wir haben gerade von Ihnen gesprochen! Kommen Sie, kommen Sie! Der Hausherr möchte Sie doch auch endlich kennenlernen! Sie wissen ja überhaupt nicht, wieviel schon über Ihre Ankunft gesprochen wurde! Es kommt ja auch nicht alle Tage vor, dass sich eine echte, alt-eingestammte, englische Familie in unsere Gegend verirrt!“

      Eingeschüchtert hielt Jean sich hinter ihren Eltern versteckt, während ihre jüngere Schwester selbstbewusst und voll strahlender Schönheit den Raum augenblicklich für sich gewann. Sie kokettierte mit dem Bürgermeister, als wäre sie mindestens einundzwanzig und hätte man ihr das junge Alter nicht angesehen, wäre sie bereits an diesem Abend eine wahre Konkurrenz für ihre eigene Mutter gewesen. Vermutlich hingen die beiden auch deshalb so sehr aneinander, weil sie sich so ähnlich waren, nicht nur in ihrer äußeren Erscheinung, auch charakterlich standen sie sich sehr nahe.

      Jean seufzte. Es war wie immer, wenn sie sich nicht dazugehörig fühlte zu diesen schönen, von allen anderen bewunderten Menschen. Sie selbst blieb immer wie die adoptierte Tochter, die irgendwie nicht recht