Das Ziada Projekt. Enza Renkal

Читать онлайн.
Название Das Ziada Projekt
Автор произведения Enza Renkal
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754953945



Скачать книгу

      Ich nahm meinen Teller, holte mir am Kühlschrank einen Spritzer Tomatenketschup, und setzte mich auf unseren kleinen Balkon. Während ich in den Hof unter mir starrte, aß ich die Nudeln schneller als nötig auf. Es war erst kurz nach 13 Uhr und so wie es aussah, würde ich den restlichen Tag allein verbringen. Den leeren Teller neben mir auf dem Boden abstellend, streckte ich mich und richtete den Blick in die Ferne über die Hausdächer.

      Woher kannte das Ziel meinen alten Namen? Die Frage, die sich hartnäckig in meinem Kopf verankerte, wollte beantwortet werden und ich musste mich nicht anstrengen, alle Erinnerungen an den Vormittag noch einmal Revue passieren zu lassen, da Gehirntraining schließlich zu unserer Ausbildung gehörte. Und aufgrund meines Unfalls hatte ich hier viele Extrastunden aufgebrummt bekommen, obwohl ich nicht wirklich das Gefühl hatte, dass mein Gedächtnis besonders schlecht war. Es war nur der Unfall an sich und alle Ereignisse davor, die wie wegradiert waren.

      Doch da gab es nichts, was mir bei meiner Antwort helfen konnte. Ich hatte nichts übersehen. Nichts an dem Ziel kam mir bekannt vor. Nicht sein Aussehen, nicht seine Art zu sprechen, nicht seine Mimik und auch nicht seine Gestik. Der einzige Anhaltspunkt war Edward Parker. Er war die Unregelmäßigkeit. Eine 1./ als Transporter. Das war nicht nur lächerlich, das war in erster Linie verdächtig.

      In einem spontanen Impuls schnappte ich mir meinen Teller, stellte ihn in die Spülmaschine und verschwand in meinem Zimmer, um mir meine Sportsachen anzuziehen. Sport war das perfekte Alibi. Uns wurde nahe gelegt in unser tägliches Sportprogramm Joggen einzubauen, da wir dafür nicht auf den Nabel angewiesen waren, aber für uns konzipierte Sportgeräte und auch ein eigenes Schwimmbecken waren im Nabel. Eigentlich wollte ich morgen meinen Sporttag absolvieren, aber da ich nicht regelmäßig im Nabel Sport machte, würde es nicht auffallen, wenn ich heute schon da wäre. Ich packte in meine Tasche eine Flasche Wasser, ein Handtuch und frische Klamotten und machte mich zu Fuß auf den Weg.

      Ric hatte uns empfohlen, dass wir an fünf verschiedenen Stellen in der Stadt sogenannte Assistenzen verstecken sollten. Pakete, die ein wenig Bargeld, Medikamente, eine Wolldecke und eine Flasche Wasser beinhalteten. Damit man in Notfällen wenigstens eine Grundausrüstung hatte. Ich ging nicht den direkten Weg zum Nabel, sondern nahm ein paar Abzweigungen, um meine eigenen Assistenzen auf Vollständigkeit zu überprüfen. Es kam immer wieder vor, das Obdachlose schlecht versteckte Assistenzen fanden und auch wir untereinander bestohlen uns gelegentlich. Das war vom Nabel sogar erwünscht. Denn nur so waren wir – so formulierten sie es zumindest – motiviert, uns regelmäßig darum zu kümmern. Fünf Assistenzen erschienen mir zu wenig, allein auf meinem Weg zur Zentrale kam ich an sieben vorbei und alle waren noch vollständig und dort, wo ich sie vor Wochen versteckt hatte.

      Ich hatte meine Pakete noch mit haltbaren Lebensmitteln und Klamotten ergänzt. In einem Assistenzpaket waren ein gefälschter Reisepass und Personalausweis, die mich ein dreiviertel Jahreslohn gekostet hatten. Dazu kam noch ein Autoschlüssel von einem etwas älteren Volvo, der aber zuverlässig ansprang und mich im Notfall aus Linberg bringen würde. Mit all meinen Assistenzen könnte ich problemlos zwei bis drei Jahre untertauchen. Zumindest in meiner Vorstellung.

      Gerade als ich das letzte Versteck kontrolliert hatte, das sich – versteckt hinter einem losen Stein – unter einer Brücke befand, bemerkte ich jemand hinter mir. Ich wirbelte herum und fühlte mich ertappt. Als ich in das bekannte Gesicht meines besten Freundes blickte, entspannte ich mich.

      »Leander! Was schleichst du dich so an mich heran?!«, rief ich empört, aber viel zu vergnügt, als dass er mich ernst nehmen könnte.

      »Assistenzüberprüfung?«, fragte er und blickte über meine Schulter.

      Ich rollte die Augen. Für dieses Paket müsste ich mir jetzt eigentlich ein neues Plätzchen suchen, aber Leander würde mich niemals bestehlen. Außerdem war es nur ein Standardpaket von denen ich noch zahlreiche andere hatte.

      »Auf dem Weg zum Sport«, erwiderte ich mit einem Wink auf meine nicht zu übersehende Tasche.

      »Okay, habe ich schon hinter mir. Aber um dich seelisch zu unterstützen, würde ich dich begleiten. Du bist doch meine liebste Vite.«

      Ich funkelte ihn wütend an, denn ich hasste es, wenn Leander mich genauso nannte, wie es Moretti zu tun pflegte.

      »Nenn mich nicht so!«

      Er ging einen Schritt nach hinten. Wenn ich wütend war, ging er immer in Deckung, als befürchte er, dass ich ihm körperliche Schmerzen zufügen würde. Und das führte dazu, dass mein Ärger verflog. Zumindest meistens und so auch heute.

      »Schon gut, Leander. Wäre cool, wenn du mitkommst.« Ich hakte mich bei ihm unter und zog ihn mit.

      »Wolltest du nicht morgen Sport machen? Wir waren doch für morgen verabredet?«, fragte er mich mit einem misstrauischen Blick.

      »Was du heute kannst besorgen«, erwiderte ich.

      »Dass verschiebe nicht auf morgen«, ergänzte er mich. »Ich habe heute aber auch schon eine extra Schicht Joggen gemacht. Kopf frei bekommen. Du glaubst nicht, was ich heute morgen für eine merkwürdige Zielerfassung hatte.«

      Das machte mich hellhörig. »Was denn?«

      »Frank und Eric, die sonst immer für den Transport zuständig waren …«

      »… waren nicht da? Ja. Das habe ich heute auch schon erfahren müssen«, unterbrach ich Leander.

      Er runzelte die Stirn. »Was? Nein. Die waren schon da. Aber die sahen ziemlich zugerichtet aus. Als wären sie in einer heftigen Prügelei gewesen. Und stumm wie zwei Fische. Wie kommst du auf die Idee, sie wären nicht da gewesen? Es gibt nichts Zuverlässigeres als die Beiden.«

      Ich blieb in der Hoffnung stehen, dass dies helfen würde, meine Gedanken zu sortieren. Wenn ich jemandem mittlerweile vertraute, dann war das Leander. Aber sollte ich ihm wirklich von meinem Vormittag erzählen? Ich beschloss seine Fragen zunächst zu ignorieren und weitere Antworten zu bekommen. Ich ging weiter.

      »Wann war das denn?«, fragte ich.

      »Ganz früh heute morgen. Habe mitten in der Nacht die Koordinaten bekommen. Es hatte noch nicht einmal angefangen zu dämmern. Und das Ziel war nicht auffindbar. Dass habe ich auch so weitergeleitet und trotzdem kamen die Transporter. Das hatte ich noch nie.«

      Ich notierte für mich selbst: Kein Ziel, trotzdem Transport. Fehlerhafte Kommunikation? Das konnte ich so gut wie ausschließen.

      »Lilly?«, holte mich mein Freund aus den Gedanken.

      »Ja?«

      »Was ist los?« Diesmal blieb er stehen und ich gezwungenermaßen auch. »Wieso meinst du, Frank und Eric wären nicht da gewesen?«

      »Bei mir waren sie es nicht. Mein Ziel hat heute Morgen jemand anderes geholt.«

      Er riss die Augen auf. »Wie bitte? Wer kam stattdessen? In unserem Bezirk sind seit wir vor neun Jahren rekrutiert wurden, immer die beiden Männer für uns zuständig gewesen!«

      Ich wurde leiser. »Ich weiß nicht, ob ich das sagen sollte. Ich … hatte selbst eine so konfuse Zielerfassung, dass ich erst selbst ein paar Antworten brauche, bevor ich da weiter drüber reden kann.«

      Leander rollte mit den Augen und wir setzten uns wieder in Bewegung. »Du bist mal wieder in deiner Ich-Phase, Lilly. Fang bitte mal wieder ein wenig mit dem Wir-Denken an. Du bist nicht so allein, wie du immer vorgibst.«

      Ich zog meinen Arm demonstrativ weg, starrte ihm in seine dunkelbraunen Augen und blieb erneut stehen. In dem Tempo würden wir es erst morgen in den Nabel schaffen.

      »Wir sind alle die einsamsten Menschen auf diesem Planeten. Wir sind nur die kleinen Marionetten von großen Leuten, die wir noch nie gesehen haben. Wir sind austauschbar. Wir sind nichts. Kleine Schrauben, die bestimmt irgendwann entsorgt werden, wenn sie nicht mehr funktionieren. Sind das genug Wir-Gedanken?«

      Ich wusste, dass ich Leander gerade unfairerweise als seelischen Mülleimer benutzte, doch es war gerade das Ventil, dass ich brauchte.

      »Was