Der Gott des Zwielichts. Joachim Kurtz

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Название Der Gott des Zwielichts
Автор произведения Joachim Kurtz
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754187104



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über die Sache unterrichtet hast. Seit Bhaldryms Verschwinden redet er von nichts anderem, als eine Verstärkung der Schutzgarde zu erhalten. Jetzt kann sie ihm nicht mehr verweigert werden. Du wirst also stramm in den Steinbruch zurückmarschieren und ihm dieses Beweisstück übergeben, während ich mit den Lasttieren bis zur ersten Herberge weitergehe. Bis heute abend hast du mit mir aufgeschlossen.“

      Der andere, der fast einen Kopf größer war, bedachte den Befehlshaber mit einem bösen Blick, verkniff sich aber weitere Widerreden. Ein Weile verharrten sie schweigend, ehe der mit dem Amulett in der Hand noch anmerkte:

      „Wer immer der Strauchdieb gewesen sein mag, besonders hell im Kopf ist er wohl nicht. Sieh nur, die Augen....“

      Er wies mit ausgestrecktem Zeigefinger auf den ihnen zugewandten Kopf des Toten. Die Augäpfel lagen eingesunken in den Höhlen.

      „Du hast recht“, entgegnete der andere. „Der Narr hätte sie ihm ausstechen müssen“.

      „Mindestens zubinden. Aber vorher mit Spinnweben bedecken.“

      „Ausstechen ist sicherer.“

      „Jetzt verfolgt Bhaldryms Geist den Mörder. Wenn es sein muß, bis ans Ende der Welt.“

      „Ehe die Tat gerächt ist, wird seine Seele keine Ruhe finden.“

      „Ich möchte nicht in der Haut des Burschen stecken.“

      „Geschieht ihm nur recht, wenn er so dumm ist....“

II

      stand ein blühender Apfelbaum. Er war zweifellos sehr alt. Der Stamm mit der schorfigen Rinde wurde von einer weit ausgreifenden Krone überragt, die er trug wie eine Säule das Dach einer Halle. Die überbordende Blütenpracht stand in merkwürdigem Kontrast zu der kargen Ödnis ringsum.

      Die Ebene lag unter einem grauen, zerrissenen Himmel vor ihn hingebreitet. Kalter Wind pflügte durch das Grasland und schüttelte einzelne Blüten von den Ästen, oder wirbelte sie vom Boden auf. Letzteres nahm er am rechten Rand seines Blickfeldes wahr, und er fragte sich, ob er den Baum dieses Jahr seine kleinen, übelschmeckenden Früchte tragen sehen würde. In einem von drei Jahren war dies bisher nicht der Fall gewesen. In den anderen beiden hatte es ihn fast gewundert, da Frost und Baumblüte hier stets nahe beisammen lagen.

      Schweigsam saß er im Sattel und ließ den Blick über die Ebene schweifen, wobei er sich ungeduldig über den wallenden Bart strich. Seit Tagesanbruch brachten sie so schon zu. Er begann mürrisch zu werden. Hatten sich die Kundschafter etwa geirrt? Waren sie einer Finte aufgesessen? Es sah ganz nach einem Zermürbungsversuch aus. Wenn es das ist, dachte er grimmig, habt ihr euch in uns getäuscht.

      Endlich, nach einer Ewigkeit, begann sein Hengst unruhig zu werden und mit den Hufen zu scharren: ein untrügliches Zeichen, eines, das er noch nie falsch gedeutet hatte. Befriedigt beugte er sich nach vorne und tätschelte dem Braunen den Hals.

      Am Fuß der entferntesten Hügel war eine Bewegung auszumachen. Über dem wogenden Gras begannen sich die Umrisse zweier Reiter abzuzeichnen, die rasch näherkamen. Die Köpfe ihrer Pferde federten im Galopp. Auf halbem Weg hielten sie unvermittelt an und rammten, sobald sie abgesessen hatten, ihre Lanzen in die Erde. Die halbrunden Schilde streiften sie sich ebenfalls vom Arm, um sie mit den abwärts gebogenen Spitzen aufrecht im Gras stecken zu lassen. Dann legten sie sich flach auf den Bauch und lauschten den Boden ab.

      Er empfand aufrichtige Bewunderung für die Burschen. Sie besaßen alle Eigenschaften, die man sich von einem Krieger nur wünschen konnte, waren zäh, tapfer, ausdauernd und von unerschütterlicher Loyalität. Ihre Genügsamkeit im Lagerleben war beispiellos. Er wußte, warum er sie angeworben hatte. Wer kannte den Feind am besten, wußte am genauesten über seine Gepflogenheiten Bescheid, wenn nicht der Feind selbst? Um den Argwohn Lyghdars und Aedhwyns scherte er sich nicht, und seinen eigenen Leuten hatte er ihn am raschesten ausgetrieben.

      Neun Jahre würden es im kommenden Herbst werden, daß die Erstgeworbenen unter den Yildhrim – darunter die gerade von ihrer Erkundung zurückkehrenden Späher – ihm nun dienten. Schon längst hätte er seine Leibgarde unter ihnen ausgehoben, wäre er nicht sicher gewesen, damit böses Blut heraufzubeschwören. Mittlerweile hoch geachtet, waren sie doch weiterhin Fremde. Niemand wußte es besser als sie, die sie ihr freiwillig gewähltes Los wortkarg und mit in sich gekehrter Würde trugen. Zeigten sie sich ihrem König gegenüber auch von hündischer Unterwürfigkeit, bildeten sie dennoch eine eigene, geschlossene Gemeinschaft, bewahrten ihre Riten und Gepflogenheiten, verehrten weiter ihre eigenen Götter und grenzten sich schroff gegen die vandrischen Truppen ab.

      Nur in der Schlacht nicht. Kam es zum Kampf, standen sie für das Heer ein wie die Bärin für ihre Jungen. Hätte er sich solche Krieger etwa nicht zu Verbündeten machen sollen? Die Klügeren unter seinen Herzögen hatten es längst begriffen, folgten seinem Beispiel und führten den tapferen Yildhrim ihre eigenen Frauen und Töchter zu, auf daß sie das Blut ihrer Nachkommenschaft anreicherten.

      In der Ferne sah er die beiden sich besprechen. Einer von ihnen, selbst auf die Entfernung unterscheidbar am dunkleren und etwas längeren Bart, saß schon wieder zu Pferd und machte Anstalten weiterzureiten. Das Tier tänzelte unaufhörlich auf der Stelle und preschte blitzartig los, als der Reiter ihm mit dem Schaft seiner Lanze einen Hieb auf die rechte Flanke versetzte. Vor ihm angekommen, sprang der Yildhir vom Pferd, legte Schild und Lanze ab und kniete auf die Erde. Das zu langen, dünnen Zöpfen geflochtene dunkelbraune Haar floß dem Späher seitwärts über die nackten, tätowierten Schultern, als er vor ihm niederfiel. Erst als seine Stirn den Boden berührt hatte, richtete er den Oberkörper wieder auf und wartete bis ihm das Wort erteilt wurde.

      „Sprich, Kalyomelas“, forderte Mraeghdar ihn auf. „Sind die Kydhrischen im Anmarsch? Oder haben sie beschlossen, sich wieder bei ihren Weibern und Müttern in den Zelten zu verkriechen?“

      Nichts hätte den Stolz eines Kriegers besser verkörpert als die würdevolle Haltung des Yildhir, der seinen Bericht erstattete:

      „Herr, wie es scheint, hält sich das Heer hinter den jenseitigen Hügeln verschanzt und wartet darauf, daß wir in die Ebene vorrücken. Kerothys will sich aus der Nähe vergewissern, um Euch zuverlässig Bericht erstatten zu können.“

      Mraeghdar hatte beobachtet, daß der Genannte in südwestlicher Richtung geritten war, ins Hügelland hinein. Die Absicht der Kydhrimar war offensichtlich die, das vandrische Heer entweder an seiner rechten Flanke anzugreifen oder von beiden Seiten in die Zange zu nehmen. Er kannte das Gelände zur Genüge und wußte, daß der südliche Teil der Ebene wie eine Speerspitze in das sanft ansteigende Vorgebirge hineinragte.

      „Was hat Kerothys bewogen, zuerst die Hügel an der Westseite zu erkunden?“ forschte er weiter.

      „Er ist überzeugt, die Kydhrimar werden die gesamte Kraft ihres Angriffs auf unsere ungeschützte Seite richten.“

      „Und du?“

      „Ich fürchte die yildrischen Reiter, Herr.“

      „Daran tust du gut. Du kennst die hinterhältigen Bastarde besser als ich: was glaubst du, werden sie tun?“

      „Während die beodrischen Bogenschützen ihren Pfeilhagel auf uns niedersenden, werden sie uns von der Gegenseite her angreifen.“

      Solches aus dem Mund eines Kydhmar zu vernehmen, eines Yildhir zumal, mutete nach wie vor seltsam an, wie viele Jahre seit seiner Aufnahme in die Reihen der Vandrimar nun auch schon vergangen sein mochten. Aber an seiner Aufrichtigkeit konnte kein Zweifel bestehen. Einmal zum Feind übergelaufen, war er seiner Gunst auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Seine eigenen Leute würden den Abtrünnigen zerstückeln und an die Hunde verfüttern, wenn sie ihn in die Hände bekämen. An Rückkehr war nicht zu denken.

      „Spähe unverzüglich das Gelände aus, wo du die Yildhrim vermutest“, befahl Mraeghdar. „Sei auf der Hut. Ich werde das Heer derweil in die Ebene vorrücken lassen. Wenn wir gegen die Beodhrim Stellung bezogen haben und du bist nicht von deiner Erkundung