Der Gott des Zwielichts. Joachim Kurtz

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Название Der Gott des Zwielichts
Автор произведения Joachim Kurtz
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754187104



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Er löste die Zügel um seine Hüfte und sprang vom Pferd.

      Aedhwyns Gewandtheit war nicht weniger bewundernswert als sein Mut. Wer ihn über das Schlachtfeld stürmen und den Feind bedrängen sah, hätte trotz des schlohweißen Haars kaum sein wirkliches Alter erraten. Mraeghdar wußte: nicht in diesem, aber im nächsten Frühling würde er sechs mal zwölf Winter hinter sich gebracht haben. Nie, in all den Jahren, sah er ihn zu Pferd kämpfen. Um das Schwert zu führen, mußte er die Erde unter seinen Füßen haben, oder so schien es zumindest. Mraeghdar hatte ihn nie nach dem Grund seiner Abneigung gefragt.

      Dann sah er ihn mit einem Yildhir zusammenstoßen. Der König focht präzise, ohne Finten, und alle Hiebe des Gegners prallten wenn nicht an seiner stählernen Klinge, dann am Schildbuckel ab. Flüchtig hatte Mraeghdar den Eindruck, als wäre der Yildhir mit seinem Kurzschwert, das mehr als alles andere eine Stichwaffe war, gefährlich nahe an Aedhwyn herangekommen; der jedoch tat unerwartet einen gewaltigen Schritt rückwärts, holte zugleich mit dem Schwertarm aus und öffnete mit einem glatten Streich dem Kydhmar die Kehle.

      Mraeghdar seinerseits mußte seine Gegner suchen. Auf dem Schlachtfeld war er weithin zu erkennen, da er als einziger beidhändig focht und weder Schild noch Helm trug, und auch jetzt, nachdem er vom Pferd gestiegen war, mieden ihn die meisten der yildrischen Krieger als wäre er der leibhaftige Kriegsgott. Zudem waren sie auf dem Rückzug, also wenig an Kampfhandlungen interessiert. Aber die vandrischen Reiter bedrängten sie hart, einer würde sich ihm früher oder später stellen müssen.

      Und so geschah es.

      Ihre Blicke begegneten sich nur kurz. Mraeghdar war sich sofort sicher, daß der Yildhir wußte wen er vor sich hatte, und allein damit war ihm der Sieg gewiß. Sein Neid auf Aedhwyn, der sich bereits mit dem dritten Feind schlug, gab ihm zusätzlich einen Stich. Blindwütig stürzte er sich auf den nicht sehr groß gewachsenen, aber wendigen Krieger, dessen Schultern nach kydhrischer Sitte nackt aus dem Brustpanzer ragten. Sein erster, linkshändiger Streich riß ihm den Helm vom Kopf, und den darauffolgenden Hieb wehrte der Unglückliche noch mit dem Schild ab. Er brachte sogar einen Gegenangriff zustande, den Mraeghdar an einem ebenfalls linkshändig und nach außen geführten Hieb abgleiten ließ; zwei weiteren Schlägen konnte der Kydhmar noch ausweichen, der letzte aber traf ihn mit voller Wucht in den entblößten Schädel.

      Dann sah Mraeghdar, über die Leiche des niedergestreckten Feindes hinweg, die unruhig stampfenden Hufe eines Pferdes. Alarmiert blickte er an der rötlichbraunen Flanke hinauf.

      „Bhyrduns Segen, Großkönig! Ich hoffe, die Götter haben dir einen ebenso siegreichen Tag beschert wie mir.“

      Der Reiter war König Lyghdar.

      Mraeghdar säuberte verdrießlich die mit Blut, Haaren und Hirnmasse verklebte Klinge an den wollenen Beinkleidern des niedergestreckten Kydhmar und ließ beide Schwerter in die Scheide gleiten.

      „Dhwyrd sei mit dir“, erwiderte er Lyghdars Kriegsgruß; nichts hätte ihm ferner gelegen, als den Himmlischen zu mißfallen und so das Schlachtglück abzuwenden. „Ich habe gerade erst begonnen, mich aufzuwärmen, da haben die Hurensöhne schon wieder genug.“ Mraeghdar spuckte verächtlich auf den gefallenen Kydhmar. „Und du, wo hast du deinen Wagen gelassen?“

      „Vom Pferd aus köpft es sich bequemer“, lautete die lakonische Antwort. „Außerdem ist es ratsam, den yildrischen Reitern nicht zu Fuß zu begegnen.“

      Mraeghdars Stimmung verdüsterte sich auf diese Worte hin noch mehr. Er wandte Lyghdar den Rücken zu und hielt nach Aedhwyn Ausschau, aber der Lugdhir schien zu erraten, daß er mehr als alles andere seinen Mißmut über die verpaßte Gelegenheit zu verbergen suchte.

      „Die Reiter schlugen wir zuerst in die Flucht“ Es klang wie eine Entschuldigung. „Sie merkten, daß sie den unseren unterlegen waren und zogen sich ins Hügelland zurück. Wenn....“

      Mraeghdar unterbrach ihn mit einem schrillen Pfiff. Hwyrdun, der sich in Sicht- und Hörweite seines Herrn aufhielt, trieb ihm sein Streitroß zu, indem er den Zügel von seinem eigenen Sattelknauf losband und dem gut abgerichteten Tier einen flachen Schlag auf die linke Flanke versetzte. Mraeghdar nahm es in Empfang und schwang sich auf seinen Rücken.

      „Meinen Glückwunsch, Lyghdar“, rief er versöhnlich. „Ruf deine Männer zusammen, wir wollen alle ins Lager zurückkehren und unseren ersten Sieg des neuen Jahres feiern!“

      Das war eine Ankündigung ganz nach Lyghdars Geschmack. Seine Augen verengten sich zu zwei blitzenden Dolchen, als die unter dem Schnurrbart verborgenen Mundwinkel die Backen in die Höhe stemmten. Indem er sein Pferd links herum wendete, wurde seine gegürtete Streitaxt sichtbar. Sie triefte vor Blut.

      „Wie viele kydhrische Köpfe hast du heute in deinen Besitz gebracht?“

      „Dreizehn. Aber wenn ich wollte, hier läge der fünfzehnte.“ Mraeghdar deutete auf den toten Yildhir.

      „Dann bist du mein Gast. Dreizehn, genau so viele Krieger habe ich niedergemacht. Du bist mir um zwei voraus.“

      Lyghdars Stimme verriet keinen Neid. Er schien im Gegenteil froh, seinen König bewirten zu dürfen.

      „Wir sehen uns in meinem Zelt, Mraeghdar. Vergiß nicht, Aedhwyn mitzubringen!“

      Mit diesen Worten galoppierte er davon, flankiert von seiner Leibgarde, die sich in einiger Entfernung bereit gehalten hatte. Je weiter er sich entfernte, desto mehr glich sein um die Schultern flatternder Umhang den Flügeln eines blutroten, todbringenden Schmetterlings. Fast widerwillig riß Mraeghdar sich von dem Anblick los.

      Um ihn her sah es aus wie nach jeder Schlacht. Zerbrochene Lanzen und Schilde lagen überall verstreut, dazu Helme und sonstige Waffen. Vereinzelt ragten die Schäfte von Wurfspießen aus dem blutgetränkten Boden. Die Luft war erfüllt vom Schreien und Klagen der Verwundeten, der Todwunden zumal, die in Khwéals offene Pforte blickten. Handelte es sich um einen besiegten Kydhmar, war ihm der Tod ohnehin sicher; aber etliche blutüberströmte Vandrimar forderten ihn als ein Recht – das ihnen nicht verweigert werden durfte! – und klammerten sich verzweifelt an ihre Waffe, ohne die sie die letzte Schwelle nicht überschreiten mochten. Gleichmütig, von aller Wirrsal unberührt, lenkte Mraeghdar sein Pferd zwischen Toten, Sterbenden und Verstümmelten hindurch und auf Aedhwyns Streitwagen zu. Über die Schulter erteilte er Hwyrdun Anweisungen für den Rückzug ins Lager.

      Der Zweispänner hatte sich gerade holpernd in Bewegung gesetzt, als Mraeghdar mit ihm aufschloß. Aedhwyn stand links neben dem Lenker, die Hände um den bronzebeschlagenen Aufbau gekrallt, und blickte starr geradeaus. Den Großkönig schien er gar nicht zu bemerken. Seine Haltung war ungewöhnlich, steifer noch als sonst, und etwas gefiel Mraeghdar nicht daran.

      „Aedhwyn?“

      Der Angesprochene wandte ihm sein wachsbleiches Gesicht zu. In den grauen, angestrengt aufgerissenen Augen schwammen zwei winzige Pupillen, so verloren wie ein Paar schnarrender Krähen vor einem trüben Winterhimmel. Zitternd öffneten sich die dünnen Lippen unter dem Bartgestrüpp und dehnten sich, um Worte zu formen. Aber gerade in diesem Augenblick hoben sich die Räder über eine Unebenheit am Boden hinweg, so daß der Wagen unsanft niederschlug.

      Aedhwyn kippte bewußtlos nach hinten um.

      * * *

      Wie es sich herausstellte, war der König durch einen Pfeilschuß verletzt worden. Er war aus geringer Entfernung erfolgt, beim Zusammenstoß mit den Beodhrim, die auf den äußersten Hügeln Stellung bezogen hatten. Die Spitze drang ihm fast ungehindert in die linke Seite, indem sie ihn knapp unterhalb des Brustpanzers traf und sich über den Hüftknochen schob.

      Aedhwyn hatte bis dahin schon Verletzungen aller Art erlitten, wovon sein narbenübersäter Körper eindrucksvoll Zeugnis ablegte. Daß ihn ein Pfeil traf, war allerdings das erste Mal. Daran gewohnt, sich den Schmerz zu verbeißen und Verletzungen keine Beachtung zu schenken, wenn sie nicht gerade lebensgefährlich waren oder sonst irgendwie das Weiterkämpfen unmöglich machten, war sein erster Impuls der, das Geschoß mit einem Ruck wieder herauszuziehen. Dabei durchfuhr ihn jedoch ein derartiger Schmerz, daß sogar er sich augenblicklich