Doofenschwur. Thomas Kämpf

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Название Doofenschwur
Автор произведения Thomas Kämpf
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847636830



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habe ich ja noch nie gehört."

      "Ich auch nicht, sonst hätte ich seinen Bruder gekauft."

      Hatte sie vorher über Tobis rasseuntypische Merkmale nur gegrinst, lachte sie nun laut und aus vollem Herzen. Sie hatte ein hübsches Lachen, wenn es auch etwas dunkel klang. Ebenso ihre Stimme. Sie sprach sehr leise und schien hohe Töne vermeiden zu wollen. Das erweckte in mir den Wunsch, noch genauer hinzuhören und mir fiel auf, dass sie einzelne Silben und Buchstaben sehr deutlich aussprach, fast schon betonte. Sie opferte kein Vokal irgendeinem regional gesprochenen Dialekt. Und ebenso wie ihre Aussprache, wirkten bei ihr auch Haltung und Gestik formvollendet. Zudem schien sie auch zu wissen, wie man Small-Talk auf eine charmante Art und Weise beilegt. "Na, dann hoffe ich mal für Tobi, dass in den nächsten Tagen nicht die Polkappen schmelzen."

      Sie wollte sich gerade dem schwäbischen Möbelpacker zuwenden, als der Jäger in mir, von dem ich seit Jahren nicht mehr wusste, dass er noch da war, sich zu Wort meldete und einen Vorstoß in Richtung Flirt wagte. "Und falls doch, suchen wir bei Ihnen Unterschlupf."

      "Ich glaube nicht, dass mein Mann da mitspielen würde", sagte sie. "Er hasst Hunde."

      Ich gebe zu, ich war ein wenig konsterniert. Die Art, wie sie mir gegenüber ihren Beziehungsstatus enthüllte, ließ keinen Zweifel darüber offen, dass sie an weiteren Flirts nicht interessiert war. Ich hielt es daher für das Beste, endlich den Heimweg anzutreten. Grußlos schob ich mich mit Tobis Leine in der einen und der Gartenschippe mit seinen Exkrementen darauf in der anderen Hand an der Gruppe vorbei, zurück in mein kleines Leben. Ich hatte Mühe, die Schippe so auszutarieren, dass die Köttel nicht über den Rand rollten.

      "Wir sehen uns", hörte ich Valerie sagen, und ich bemerkte beinahe viel zu spät, dass sie mich meinte.

      "So?", fragte ich, zu keiner intelligenteren Antwort fähig.

      "Wegen der Schippe. Ich hole sie mir beizeiten ab." Sie zwinkerte mir vielsagend zu. Zumindest glaube ich, dass es vielsagend war. Ich war mir sicher, dass ihre Augen den ganzen Weg über, bis zu unseren Abfalltonnen, auf mir ruhten. Erst, als ich mich noch einmal zu ihr umdrehte, blickte sie verstohlen zur Seite. Ich war so erfreut darüber, dass ich vor lauter Euphorie nicht nur die Hundeköttel, sondern dummerweise gleich die ganze Schippe in den Eimer warf.

      Mir ist vollkommen bewusst, Susanne, dass Du Dich noch sehr wohl an unser Gespräch erinnern kannst, dass wir nach meiner Begegnung mit Valerie in unserer Küche führten. Ist ja gerade mal eine Woche her. Aber es wäre fatal, wenn ich das einfach beiseiteschieben würde, in der Hoffnung, dass Du die ganze Geschichte plötzlich aus meiner Sicht siehst. Denn darum geht es ja: Dir meine Sicht zu vermitteln. Ich lasse deshalb alle Ereignisse, bei denen Du aktiv mitgewirkt hast, drin, natürlich nur, sofern sie der Erklärung beitragen. Auch, wenn Du es vielleicht als kleinlich und selbstgerecht empfindest, für mich ist wichtig, dass ich Dir meine komplette Gefühlswelt offenbare. Das geht natürlich nur, wenn ich Dir vermittele, wie ich mich bei unseren Gesprächen und Konfrontationen gefühlt habe. Und das wollt ihr Frauen doch immer, Männer, die über ihre Gefühle sprechen. Leider bedenkt ihr dabei nicht, dass es euch nicht immer gefallen könnte.

      Ich kam mit einem ausgehungerten Tobi in die Küche. Du saßt mit den Zwillingen am Tisch und nahmst keinerlei Notiz von mir, nicht einmal, als ich Dich auf die Stirn küsste. Mittlerweile bin ich das gewohnt und ich schreibe es der Arbeit mit den Kindern zu. Zwillinge mit einem Schälchen Brei zu füttern erfordert ja auch sämtliche Aufmerksamkeit. Ich bin keine Mimose in solchen Dingen, wenn ich auch ab und zu den einen oder anderen verliebten Blick von Dir vermisse. Einen Blick, der sagt: "Schatz, du bist vierzig, hast einen Bauch und schütteres Haar bekommen, aber du bist immer noch mein Supermann." Männer brauchen so etwas, und ich ertappte mich dabei, wie ich mir Valeries verschämtes Wegsehen in Erinnerung rief.

      "Hast du dich gerade mit unserer neuen Nachbarin unterhalten?", fragtest du, und ich vermied es, Dich anzusehen. Stattdessen gab ich Tobi sein Frühstück.

      "Ja", antwortete ich "Kennst du sie?"

      "Schick."

      "Bitte was?"

      "Schick Modediskont." Und schon fingst du an zu singen. "'Günstige Mode auf einen Blick, komm zu Schick! Der Schick Modediskont - auch in Ihrer Nähe!' Sogar dem Lokalfunk war es eine Meldung wert."

      "DAS ist Valeries Mann?", purzelte es aus mir in einem schockierten Unterton heraus, der einem verheirateten Mann nun wirklich nicht zustand. Von Zeit zu Zeit bin ich wirklich froh darüber, dass Du, wenn Du gestresst bist, nur mit einem Ohr zuhörst. "Was zieht denn den Schick in unsere Gegend?"

      Anstelle mir zu antworten, warfst du einen Blick auf die Küchenuhr. "O Mist, ich bin schon wieder spät dran. Übernimmst du mal?"

      Ich nahm den Löffel entgegen und berührte unweigerlich Deine Hand. Der Luftzug, den Du bei Deinem plötzlichen Aufbruch verursachtest, wirbelte Dein Parfüm auf, das sich mit Deinem ureigenen Duft vermischte. Für den Bruchteil einer Sekunde hatte ich Zeit, Dich einen Moment näher zu betrachten. Ich brauchte nicht mehr.

      Du bist bei Gott keine Exotin. Du hast auch nicht dieses einnehmende Lächeln oder die glänzende Sonnenbräune. Aber mit einem Mal bemerkte ich, wie hübsch Du doch warst. Nichts, aber auch gar nichts hattest Du in all den Jahren an Anziehungskraft eingebüßt. Es sind die Umstände, die uns manchmal voneinander wegtreiben lassen, weshalb wir den anderen nicht mehr als das wahrnehmen, was er in Wahrheit ist: ein begehrenswerter Mensch.

      Ganz plötzlich fühlte ich mich, wie schon lange nicht mehr, zu Dir hingezogen. Sex hatten wir schon eine ganze Weile nicht mehr gehabt. Nicht, weil wir es nicht brauchten, sondern weil uns die Zeit dazu fehlte, weil der Alltag keine Spontaneität zuließ. Aber genau darauf kommt es an. Nicht mehr als eine kleine Zutat zum Glück, aber mit einer Auswirkung, die das Leben zweier Menschen nachhaltig beeinflusst. Und so fasste ich Dich an die Taille. Entschlossen, aber zugleich zärtlich. Dieser zeitlose Moment … ich wollte etwas davon an Dich weitergeben.

      Fest zog ich Dich an mich und sah Dir tief in die Augen. "Was hältst Du davon, wenn wir den Tag einmal anders beginnen?", fragte ich. "So wie früher."

      Ich nahm mir Valerie als Vorbild und senkte meine Stimme. Ich wollte, dass Du mir zuhörst, dass Du Dich von mir einfangen lässt.

      "Heute geht's wirklich nicht", sprach's, und mir wurde klar, dass wir, trotz körperlicher Nähe, zu weit voneinander entfernt waren. "Ich habe Luise gebeten, heute etwas früher zu kommen, weil ich doch Erics Klasse übernehme. Ich muss sie für Montag auf die Klassenfahrt vorbereiten."

      "Und du meinst nicht, dass sie ruhig mal eine Freistunde verdient haben? Luise kommt sowieso zu spät."

      Kopfschüttelnd drücktest Du mich von Dir weg, um Deinem aufkommenden Ärger Luft zu verschaffen. "Wenn Luise zu spät kommt, möchte ich, dass Du mir Bescheid gibst! Sie kann nicht kommen und gehen, wann sie will!" Und damit hattest Du wieder einmal die Klippen gut umschifft.

      Während ich geduldig das Frühstück der Zwillinge beendete, nahmst Du Dir alle Zeit der Welt, um dich fertigzumachen. So war ich immer noch im Jogger, als ich Dich, mit den Zwillingen auf den Arm, an der Haustür verabschiedete. Übrigens unser einziges Ritual nach fast fünf Jahren Ehe.

      "Und sieh zu, dass du heute Abend pünktlich bist. Ich habe um fünf einen Friseurtermin", sagtest Du und gabst mir einen dieser nichtssagenden Küsse. Deine Verabschiedung von den Kindern war ungleich intensiver. Natürlich, Du warst ja in Eile.

      "Tschüss, meine Mäuse", sagtest Du zu den Kindern. "Bis dann", sagtest Du zu mir.

      "Ja, viel Spaß", antwortete ich.

      "Werde ich nicht haben! Erics Klasse besteht fast vollständig aus Heulsusen. Die haben jetzt schon Heimweh, obwohl es erst Montag losgeht."

      "Ignoriere einfach ihre Gefühle! Genau wie meine!", rief ich Dir nach, als Du gerade ins Auto stiegst. "Damit hast du ja Erfahrung!"

      "Was hast du gesagt?"

      "Ich sagte, wir brauchen noch Babynahrung!"

      "Bring ich mi-hit!"

      Wie