Doofenschwur. Thomas Kämpf

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Название Doofenschwur
Автор произведения Thomas Kämpf
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847636830



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schütteln müssen, starrte ich gebannt auf den Bildschirm.

      Kaum, dass der Vorspann geendet hatte, ging's auch schon zur Sache. Eine langbeinige, dunkelhaarige, asiatische Schönheit stieg aus einem teuren Cabrio. Sie war nur mit einem engen Top, Minirock und High Heels bekleidet. Aufreizend stöckelte sie auf einen schmierigen Tankwart zu, der bei ihrem Anblick Benzin verschüttete.

      Noch nie war mir eine derart perfekte Frau unter die Augen gekommen, als die, die da gerade halbnackt über den Bildschirm schritt. Okay, mit vierzehn hatte man noch nicht die Möglichkeit in der Hinsicht viel zu erleben, aber für mich war diese Asiatin der Inbegriff aller Weiblichkeit.

      Die Welt um mich herum vergessend, sah ich zu, wie sich die barbusige Schönheit auf den Tankwart setzte, sah das stetige Auf und Ab der riesigen Brüste und ihr von Ekstase entstelltes Gesicht. Ich war völlig erschlagen von dem, was ich da gerade sah. Hatte ich bisher höchstens ein paar pornografische Bilder gesehen, war das hier etwas völlig Neues. Und wegen der Reaktion, die der Porno mit seiner umwerfenden Darstellerin in mir auslöste, beschloss ich, mit jemandem darüber zu sprechen, der meine Euphorie verstehen und teilen konnte.

      Mein Freund Matze war ein Titan auf dem Gebiet der Pornografie. Immerhin hatte er einen drei Jahre älteren Bruder, der an alles rankam, was man sich vorstellen konnte - sogar an Mädchen. Und wenn Matze nicht gerade bei seinem Bruder spannte, bekam er alles andere aus erster Hand. Gut, meistens verklebt und zerfleddert, aber immerhin garantiert nicht jugendfrei.

      Zum ersten Mal aber hatte ICH etwas aufgetan, das Matze unbedingt sehen wollte. Er konnte es gar nicht erwarten, sich die überaus scharfe Asiatin anzuschauen. Ich verabredete mich also mit ihm für den kommenden Donnerstag. Der Chorabend meiner Eltern sollte der Abend sein, an dem Matze und ich auf den wohl besten Porno der Weltgeschichte ... ähm ... also ... Na, du kannst dir ja denken, was Sache war. Für mich jedenfalls war es, als hätte ich mit dieser dickbusigen Darstellerin ein reales Date.

      Im ersten Moment schien auch alles nach Plan zu laufen. Meine Eltern verließen pünktlich das Haus, und Matze kam, als sie schon längst weg waren. Creme und Feuchttücher waren reichlich vorhanden und ich wusste, wo der Film lag. Ich nahm mir wieder einen Stuhl, kletterte auf den Schrank, schob im Nähkorb meiner Mutter die Flicken und Wollreste beiseite und sah ...

      Nichts!

      Überhaupt nichts!

      Außer natürlich den üblichen Kram, den ich fassungslos aus dem Korb räumte. Ich arbeitete mich bis zum Boden des verdammten Weidenkorbs vor.

      Immer noch nichts!

      Bevor ich jetzt den ganzen Kleiderschrank durchforstete, rannte ich zurück ins Wohnzimmer und warf einen Blick ins Barfach. Kein Videofilm zierte das Schrankinnere. Ich konnte es kaum glauben, aber Paps hatte die geliehenen Filme wieder zurückgebracht.

      Ich bin mir nicht sicher, aber ich denke, ich hatte zum ersten Mal in meinem Leben so etwas wie Liebeskummer. Es war für mich schwer zu akzeptieren, meine asiatische Kirschblüte nie wiedersehen zu können. Glücklicherweise dauerte es aber keine Sekunde, bis Matze die Lösung des Problems gefunden hatte. "Es gibt nur einen, der uns helfen kann!" Zwei Tage später lernte ich auf dem Schulhof Norman kennen.

      Matz und ich besuchten mit Norman dasselbe Gymnasium. Damals wussten wir noch nicht, dass es für Matze das letzte Schuljahr sein würde. Nach den Sommerferien sollte er gezwungenermaßen zu einer Hauptschule wechseln. Um dies zu verhindern, bekam Matz von einem Schulkameraden, Norman, Nachhilfeunterricht. Und obwohl Norman zwei Jahre jünger war als wir, besuchte er die Klasse über uns. Er war ein Wunderkind, ein Freak. Der wohl schrägste Typ, der mir je in meinem Leben untergekommen war. Er trug stets karierte Hosen, ein weißes Hemd und eine farbige Fliege, die, im Gegensatz zu seiner ausgeblichenen Strickjacke, täglich wechselte.

      Norman war hochintelligent, aber auffällig im Umgang mit gleichaltrigen. Das Einzige, was für Norman sprach, war die Tatsache, dass seine Eltern Althippies waren und die freie Liebe praktizierten. Dementsprechend umfangreich war die Pornosammlung seines Vaters. Und eben jene Pornosammlung war es, die Norman für Matze interessant machte.

      Die beiden arrangierten ein Treffen, und ich erinnere mich noch genau, als ich damals Normans Haus betrat. Es war fremdländisch, mit allerhand kitschigem Krimskrams eingerichtet. Damals wusste ich nicht, dass das meiste Zeug aus Indien stammte.

      Das, was aber alles schlug, war der Kellerraum. Normans Vater hatte ihn, zum Praktizieren seiner Tantratechniken, umbauen lassen. Ein Bett stand an einer Wand, das vom Ausmaß her eher einer Spielwiese glich. Gleich daneben war eine Bar mit allerlei alkoholischen Getränken untergebracht. Neben einer nachträglich eingebauten Nasszelle, bestehend aus Whirlpool, Dusche und WC, hatte im Hauptraum ein Rückprojektionsfernseher mit einer damals unschlagbaren Bildschirmdiagonalen von etwas über einem Meter seinen Platz gefunden. Vor dem Fernseher standen ein Tisch und eine ausziehbare rote Couch.

      Vom gesamten Interieur aber war das wohl Beeindruckendste, das großzügig angelegte Ikea-Regal. Es war mit unzähligen Pornofilmen gefüllt, alle im Originalcover, wodurch es zu jener Zeit, 1987, ein kleines Vermögen beherbergte.

      Matze und ich waren wie erschlagen, als wir, von Norman angeführt, die Treppe hinabstiegen. "Absoluter Wahnsinn", bemerkte Matze. Sofort stürzte er sich auf das Regal mit den Pornofilmen und studierte eindringlich die Coverbilder.

      "Und das ist das Arbeitszimmer deines Vaters?", frage ich.

      "Er ist Yoga-Lehrer", antwortete Norman in einer betont klaren Ausdrucksweise. Seine Stimme hatte einen arroganten Unterton, was von Mimik und Gestik noch unterstrichen wurde. Er wusste, dass er ein Wunderkind war und das machte den Rest der Welt, in seinen Augen, zu unwissenden Idioten.

      "Papa und Mama machen auch in Tantra", fuhr Norman fort. "Sie sagen immer, das sei der Ausgleich, wenn es mal Ruckzuck gehen soll. Was immer sie damit meinen."

      "Und er lässt dich einfach so hier rein?", fragte Matze.

      "Natürlich nicht", antwortete Norman mit einem Kopfschütteln. "Den Schlüssel habe ich mir vor einem halben Jahr nachmachen lassen. Es wäre übrigens sehr hilfreich, wenn du nichts durcheinanderbringen würdest. Nur zur Information, die Filme sind nach den Haarfarben ihrer Hauptdarstellerinnen geordnet."

      "Das geht?", fragte Matze begeistert. "Und wenn sich eine Darstellerin die Haare färbt?"

      "Ich spreche nicht vom Haupthaar."

      Ich brauchte eine Weile, bis ich begriff, was Norman meinte. In den Achtzigern galt Körperbehaarung noch nicht als unästhetisch. Immerhin hatte es Nena geschafft, trotz ihrer Achselbehaarung eine ganze Generation zu verzaubern.

      "Ist so ein Spleen meines Vaters", erklärte Norman. "Leider macht es die Namenssuche etwas umständlich." Er wandte sich an mich. "Ich hoffe du kennst den Namen der Hauptdarstellerin? Heiße Schnecken auf der Überholspur befindet sich nämlich nicht in unserer Sammlung."

      "Tina, glaube ich ... Aber sicher bin ich mir nicht."

      "Nachname?"

      Ich überlegte fieberhaft. "Irgendwas mit Y."

      Kopfschüttelnd baute sich Norman vor das Regal auf. "Tina irgendwas mit Y ist nicht die Information, die ich erhofft habe."

      "Wer achtet schon bei einem Porno auf Namen?", fragte Matze, der sich einfach nicht von den Covern trennen konnte, aber musste, weil Norman ihn beiseite drängte.

      "Touché", antwortete Norman. "Ihr habt Glück, dass ich einige Tinas kenne, die wir von vornherein ausschließen können."

      Matze und ich schlenderten zum Bartresen, auf dem ein schweres Buch mit ledernem Einband lag. Ein bärtiger Mann und eine Frau waren darauf abgebildet, die in akrobatischer Stellung miteinander kopulierten.

      "Wow", sagte Matze. "Das ist das Kamasutra. Mein Bruder hat mir davon erzählt." Er blätterte darin und brachte weitere Zeichnungen zutage. Eine versauter, als die andere.

      "Tina ... Tina ...", hörten wir Norman vor sich hinmurmeln. "Es war nicht zufällig eine deutsche Produktion?"

      "Keine Ahnung",