Doofenschwur. Thomas Kämpf

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Название Doofenschwur
Автор произведения Thomas Kämpf
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847636830



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und den Comedyserien auf Pro7 hin und her zu schalten.

      Manchmal frage ich mich, wie sie ihre Figur bei dem Mangel an Bewegung und dem unglaublichen Konsum von gezuckerten Milchkaffee halten kann. Wobei - im Grunde lebt sie gesund. Sie ist Vegetarierin, was bei einer Grundschullehrerin nichts Besonderes ist. Ich selbst brauche mein Fleisch und hole es mir außerhalb der heimischen Küche. Aber das wisst ihr ja.

      Nach einem ausgiebigen Duschvorgang föhnt Susanne ihr Haar. Das braucht Zeit. Bei der Masse ihres Haars gute zehn Minuten. Gleich darauf zieht sie ihren bequemen, figurlosen Fitnessdress über und wirft noch schnell einen prüfenden Blick ins Kinderzimmer.

      Die Zwillinge liegen gemeinsam in einem Bettchen. Manchmal kommt es da ungewollt zu Kollateralschäden, wenn eins der Ärmchen sich verselbständigt. Ich kann mir direkt vorstellen, wie sie da so zusammenliegen. Max schläft gern auf den Bauch, Lea viel lieber auf den Rücken. Ihre Gesichter haben sie dann einander zugewandt. Gott, das treibt mir die Tränen in die Augen, wenn ich nur daran denke.

      Entschuldigt. Ich muss mir mal eben die Nase putzen.

      So! Schon besser.

      Wo waren wir? Ach so, ja. Also ... Gleich, nachdem Susanne Max zugedeckt hat - er strampelt sich gern frei -, hüpft sie beschwingt die Treppe hinunter. Sie summt dabei immer ein Liedchen. Einen Schlager. Irgendwas aus den Siebzigern oder von Andrea Berg. Auf jeden Fall kommt sie an der Haustür vorbei, wo bereits mein Brief auf sie wartet. Sie wird sich wundern, weil der Umschlag so groß und dick ist. Stirnrunzelnd nimmt sie ihn mit in die Küche. Wenn es was zu lesen gibt, braucht Susanne ihren gezuckerten Milchkaffee, den sie mit unserem Espressokocher macht. Dazu vertilgt sie mindestens drei amerikanische Schokoladenplätzchen. Es kann auch mal die ganze Packung sein, wenn das Buch besonders spannend ist.

      Während also das Wasser im Espressokocher zu sieden beginnt und sie sich das erste Plätzchen in den Mund schiebt, öffnet sie den Umschlag. Entweder wird ihr beim Anblick meines Briefes schlagartig der Appetit vergehen, oder aber das Gegenteil ist der Fall. Bei plötzlicher Aufregung nämlich überkommt Susanne grundsätzlich eine unstillbare Fressattacke, wodurch sie die Schokoladenplätzchen ratzekahl verputzen wird, noch bevor der Kaffee fertig ist.

      Ich tippe auf die Fressattacke. Mehr noch. Ich glaube, sie wird den Kaffee vergessen, sich die Kekse schnappen und mit dem Brief ins Wohnzimmer gehen, was wiederum zur Folge hat, dass die Gummidichtung des Espressokochers zu schmelzen beginnt.

      Aber so weit sind wir ja noch nicht.

      Susanne ist natürlich neugierig, wenn sie es sich auf der Couch gemütlich macht. Wir schreiben uns nämlich schon lange keine Briefe mehr, erst recht nicht Briefe solchen Ausmaßes. Kein Wunder also, dass sie unbedingt wissen will, was ich ihr alles zu sagen habe.

      Und trotzdem wird sie skeptisch sein, wenn sie zu lesen beginnt.

      Aber immerhin - sie wird lesen."

      Jan lehnte sich entspannt in seinem Sitz zurück und verschränkte erwartungsvoll die Arme.

       Der Brief

      Liebe Susanne!

      Ich kann mir gut vorstellen, dass Du immer noch verletzt bist, und ich verstehe auch, dass Du nicht mit mir sprechen möchtest. Aber findest Du nicht auch, dass ich es verdient habe, mich zu erklären?

      Was frag ich da eigentlich?

      Natürlich findest du das nicht!

      Aber gerade deshalb bitte ich Dich, weiter zu lesen. Denn selbst, wenn Du mir nicht glaubst, ist es weiß Gott nicht so, wie Du denkst.

      Na ja, eigentlich schon. Ansatzweise zumindest. Aber letztlich waren es die Umstände, die zu all dem geführt haben. Ich konnte nicht im Mindesten abschätzen, wie die ganze Geschichte endet.

      Dies ist übrigens kein Versuch, meine Taten zu entschuldigen, Susanne. Das musst du mir glauben. Ich möchte Dir lediglich die Umstände näher bringen, die zu all dem Geführt haben. Was Du daraus machst, liegt ganz allein bei Dir. Nimm Dir also noch einen Keks und stell doch bitte den Espressokocher vom Herd. Wir wollen doch nicht, dass er explodiert. Das Gummi ist ja schon hin.

      Schön! Dann kannst du jetzt anfangen zu lesen.

      Also … Begonnen hat alles letzte Woche Freitag. Du erinnerst dich vielleicht, als ich vom Joggen kam und zum ersten Mal auf Valerie traf …

      Das heißt … Wenn ich es genau bedenke … Also der wirkliche Anfang … Das einleitende Ereignis … Genau genommen fand es vor sechsundzwanzig Jahren statt. Kurz nach meinem vierzehnten Geburtstag.

      Ja … Da hat alles angefangen … An einem warmen Frühlingstag im Jahr 1987. Papa präsentierte mir das letzte große Geburtstagsgeschenk. Und das war dann letztlich auch der Grund, warum ich Norman kennenlernte.

       Sechsundzwanzig Jahre zuvor

       Heiße Schnecken auf der Überholspur

      Mein Vater hatte endlich den längst versprochenen Videorecorder gekauft. Unseren Ersten. Und ich war richtig Happy. Es hatte ja auch verdammt lange gedauert. Von all meinen Freunden war ich der Einzige, der noch keinen Videorecorder hatte. Vater hatte sichergehen wollen, sich für das zukunftssichere Format zu entscheiden. Ein Recorder war zu der Zeit noch ein kleines Vermögen Wert. Als dann aber VHS die Systeme BetaMax und Video 2000 vom Markt drängte, war Vater endlich bereit, eine Investition von knapp zweitausend Mark zu tätigen. Filme gab es fast nur zum Leihen. Aber dafür kursierte eine massige Anzahl an Raubkopien unter den Recorderbesitzern. Von einem Arbeitskollegen brachte Paps einen Haufen Filme mit. Alles, was damals angesagt war. Zurück in die Zukunft, Rambo 2, ein paar James Bond-Filme … Nur mit einem Film, mit dem konnte ich gar nichts anfangen.

      "Was ist denn Heiße Schnecken auf der Überholspur?", fragte ich, und nachdem sich meine Eltern ertappt angesehen hatten, bekam ich von meiner Mutter einen Klaps auf den Hinterkopf.

      "Sag mal, hast du eigentlich deine Sporttasche ausgepackt?", motzte Mama. "Ich hab dir hundertmal gesagt, du sollst die stinkigen Klamotten gleich in die Wäsche tun! Marsch, ab jetzt! Oder glaubst du, ich bin dein Heiopei, der dir alles hinterherräumt?" Sie nahm mir die Kassette aus der Hand, gab sie meinem Vater und schob mich eiligst zur Tür hinaus.

      Natürlich wusste ich, dass da was faul war. Ich war vierzehn. Und so wartete ich auf eine Gelegenheit, um mich mit eigenen Augen davon zu überzeugen, was da für eine Art von Schnecken auf der Überholspur waren.

      Drei Tage später hatten meine Eltern ihr wöchentliches Kirchenchortreffen. Und während sie sich auf dem Weg ins Gotteshaus machten, machte ich mich auf die Suche nach der Kassette. Ich kannte jedes Versteck von Paps. Das Bett, seine Sockenschublade ... Es waren allesamt Verstecke, in denen er seine Playboys aufbewahrte. Jedenfalls bis Mama sie entdeckte, dann suchte er sich was Neues.

      So sehr ich mich aber bemühte, der verdammte Film war nirgends aufzufinden. Ich hatte nicht mehr viel Zeit. Die Chorproben dauerten nicht ewig (damals wusste ich noch nicht, dass man diese Art von Film höchstens zehn Minuten guckt). Ich durchwühlte den gesamten Kleiderschrank, jeden Koffer, der darin war und jeden Kleidersack. Als ich mir überlegte, vielleicht doch mal im Keller nachzuschauen, fiel mir plötzlich ein, dass ja Mama den Film versteckt hatte. Und ihr Versteck zu finden, war ein Leichtes. Sie hatte ja nur eins.

      Ich nahm mir einen Stuhl und kletterte auf den Schrank. Im Nähkorb meiner Mutter, unter Flicken und Wollresten verborgen, entdeckte ich die nichtssagende Kassettenhülle mit der Aufschrift BASF E-180. Auf dem Kassettenrücken aber stand in handgeschriebener Druckschrift Heiße Schnecken auf der Überholspur.

      Als würde ich den Heiligen Gral in den Händen halten, stieg ich vom Stuhl, ging ins Wohnzimmer und schob die Kassette ehrfürchtig in den Recorderschlitz. Ich setzte mich auf die Couch und schaltete den Fernseher ein. Ich war total aufgeregt. Ich wusste, dass mich etwas Ungeheuerliches erwartete. Und