Cemetery Car®. Angelika Nickel

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Название Cemetery Car®
Автор произведения Angelika Nickel
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847660392



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von ihrem neuen Zuhause bis zum Lokal zu weit war. Zudem brauchten sie die paar Kröten, die sie als Kellnerin verdiente, ohnehin nicht mehr. Dadurch, dass sie keine Miete zu zahlen hatten, würden sie einige Monate auch ohne ihr Einkommen auskommen. Zudem war das Haus dermaßen groß, und verfügte über etliche Zimmer, dass sie ohne Weiteres einige Räume untervermieten konnten, und sich auch auf diese Art Geld verdienen lassen würde, sofern sie dies wollten. Doch darüber hatten sie sich bisher noch keine Gedanken gemacht. Und ob sie diese Idee ausbauen, oder einfach wieder verwerfen würden, auch die Antwort darauf, stand noch in weiter Ferne.

      Zumal Kim überlegte, auf Silentsend womöglich selbst ein Lokal aufzumachen. Im altmodisch bäuerlichen amerikanischen Landhausstil, das würde ihr schon zusagen. Darüber wollte sie jedoch zuerst einmal mit Quentin reden, nur war dafür bisher noch nicht der rechte Zeitpunkt gewesen. Mit dieser Idee musste sie noch ein klein wenig warten, bis sie ihm diese unterbreiten würde.

      »Kim, weshalb nur, musst du dermaßen viel lesen? Weißt du überhaupt, wie schwer diese Bücher sind? Bis ich mit meiner Arbeit beginne, bin ich ein gebeugter Mann, und laufe dann auch wie ein solcher«, stöhnte Quentin, als er den achtunddreißigsten Buchkarton in die Höhe hob und zum Wagen schleppte.

      »Na, dann passt du doch auch äußerlich zu dem, was du studiert hast«, lachte Kim. »Und außerdem, du glaubst doch nicht, dass deine Bücher leichter sind?«

      »Aber ich hab‘ meine fürs Studium gebraucht, und du deine, nur zum Zeit vertreibenden Lesen. Eine Leihbücherei, die hätte es dafür auch getan.«

      »Du weißt ganz genau, dass, was ich gelesen habe, auch besitzen möchte. Außerdem, kannst du dabei sehen, wie schwer Wissen doch wiegen kann«, gab Kim zur Antwort und griff nach dem letzten Buchkarton, um auch diesen ins Auto zu tragen. Doch auf dem Weg dorthin krachte der Kartonboden durch und alle Bücher fielen auf die Erde. Eilig rannte sie zurück zum Haus, holte einen leeren Karton und bepackte ihn mit den am Boden liegenden Büchern.

      Danach gingen sie nochmals durchs Haus, sahen nach, ob sie auch nichts vergessen hatten. Sie verschlossen alle Fenster und ließen die Rollläden halb herunter.

      Nachdem sie das Haus verschlossen verlassen hatten, machten sie noch einen Zwischenstopp bei Jean, übergaben ihm die Schlüssel seines Elternhauses, bedankten sich nochmals für alles, und fuhren davon, hinein in ihre neue Zukunft.

      Kurz bevor sie ihr Ziel erreichten, kreischte Kim, vorwarnungslos auf: »Halt an, Quentin! Fahr zurück, schnell!«

      Quentin erschrak durch Kims Geschrei so sehr, dass er für einen kurzen Moment die Kontrolle über den Transporter verlor. In rasantem Karacho schlitterten sie auf einen Abhang zu.

      »Quentin!«, schrie Kim in panischer Angst.

      Schweißperlen standen auf Quentins Stirn, während er erfolglos versuchte, den Wagen unter Kontrolle zu bekommen.

      Plötzlich fing das Radio an zu spielen.

      Musik, wie aus einem Westernsaloon, drang daraus hervor, während sich der Wageninnenraum mit dem Duft von Lavendel füllte.

      Doch weder Kim noch Quentin konnten darauf reagieren, zu sehr waren sie mit ihren letzten Gedanken beschäftigt.

      Gerade, als der Wagen den Abhang hinunterzustürzen drohte, kam er an einem Hügelvorsprung zum Stehen. Er hing mit den Vorderrädern in der Luft, während die hinteren am Felsen festhangen.

      Der Lavendelduft wurde intensiver.

      Kim war die Erste, die ihn wahrnahm. »Riechst du das‚ Quentin?«, fragte sie bebend.

      »Nicht jetzt, Kim, nicht jetzt! Ich muss zusehen, dass es mir irgendwie gelingt, den Wagen wieder auf die Straße zu bekommen. Beweg dich, wir müssen machen, und nach hinten klettern und versuchen, nach draußen zu gelangen.«

      »Quentin …« Kim erstarrte. Der Wagen schüttelte sich, bebte. »Was ist das? Stürzen wir ab?« Ihre Augen waren vor Angst geweitet, ihr Teint aschfahl.

      Doch Quentin war nicht in der Lage, zu antworten. Mit blassem, überraschtem Gesicht, verfolgte er das Geschehen des Wagens.

      Wie von Geisterhand gezogen, ruckte der Wagen nach hinten, solange, bis die Vorderräder wieder Boden unter ihrem Gummiprofil hatten. Rums! Der Wagen stand wieder auf der Fahrbahn, der Lavendelduft war verschwunden, und das Radio hatte aufgehört zu spielen.

      »Was war das? Quentin, sag' mir, was das war!« Kim war kurz davor, hysterisch loszukreischen.

      »Was war was?« Er roch den Lavendel ebenfalls, auch wenn er sich zusehends verflüchtigte. »Der Geruch von Lavendel, meinst du das?« Mit der Hand fuhr er sich über die Augen. »Ach, Kim, ich weiß es nicht. Was willst du jetzt von mir hören? Dass meine verstorbene Großtante hier war und uns gerettet hat? Ist es das, was du hören willst? Ich weiß genauso wenig wie du, was das gewesen ist. Aber wenn es tatsächlich Tante Evelyn gewesen sein sollte, die zu unserer Rettung beigetragen hat, dann ist sie doch zumindest ein guter Geist. Immer vorausgesetzt, dass man an so einen Hokuspokus auch glaubt.«

      »Ich weiß nicht, ob es Hokuspokus ist. Das kann doch unmöglich alles nur Zufall sein.«

      »Hör auf, Kim, bitte, hör auf! Ich kann diesen Mist nicht mehr hören!« Resigniert ließ er die Hände aufs Lenkrad fallen. »Soll das nun die ganze Zeit so weitergehen?« Er wandte ihr den Blick zu und schüttelte den Kopf. »Wir beide, wir sind stinknormale Menschen, und wir leben ab sofort in einem ganz normalen Haus. Gut, es ist exzellenter als manch andere Häuser, aber das war’s dann auch schon. Und jetzt, Kim, hör auf und lass uns wieder weiterfahren, und Gott danken, dass wir so glimpflich davongekommen sind.«

      »Nein, Quentin, wir müssen zurück. Dort hinten, dort liegt ein Hund am Straßenrand. Vielleicht lebt er ja noch«, flüsterte Kim, und sie zitterte dabei, so sehr hatte sie das alles mitgenommen.

      »Ein Hund? War es das, weshalb du so hysterisch aufgeschrien hast? Wegen eines Hundes, hätten wir beide beinahe unser Leben verloren? Kim, bist du von allen guten Geistern verlassen!« Quentins Ohren glühten feuerrot, derart wütend, war er in diesem Moment auf Kim. Wie hatte sie nur so unbedacht aufschreien können? Und das eines Hundes wegen, der, wahrscheinlich angefahren, am Straßenrand lag. Dabei hatte er noch nicht einmal einen Hund liegen sehen, das kam zu dem Ganzen noch zusätzlich hinzu.

      »Bitte, Quentin, lass uns das kurze Stück zurückfahren, bitte!«, bettelte Kim, die immer noch das angefahrene Tier vor sich sah.

      Quentin starrte sie schweigend an. Nein, er konnte ihr ihre Bitte nicht abschlagen, und das wusste sie auch, zumal es um ein leidendes Tier ging. Von daher blieb ihm nichts anderes übrig, als Kims Willen nachzugeben und zurückzufahren.

      Es dauerte nicht lange, und sie hatten die Stelle erreicht, an der der Hund lag. Kim riss die Wagentür auf und sprang hinaus.

      »Schatz, sei vorsichtig!« Besorgt sah er ihr nach, wie sie zu dem Hund hinrannte. »Wenn er noch lebt, dann könnte er dich beißen. Vielleicht hat er Schmerzen. Kim, komm zurück, der bewegt sich doch kein bisschen. Lass es gut sein, der Hund ist tot.«

      »Nein, ist er nicht.« Kim hatte sich neben das angefahrene Tier gekniet. Vorsichtig suchte ihre Hand das Herz des Hundes. »Quentin, er lebt! Er atmet, zwar nur schwach, aber er atmet. Mach die Tür auf, ich bringe ihn mit!« Kim nahm den Hund hoch, trug ihn zum Wagen und legte ihn auf die Decke, die Quentin unterdessen für ihn ausgebreitet hatte.

      Sie setzte sich neben das verletzte Tier und redete beruhigend auf den Hund ein.

      »Los, Quentin, fahr schon zu! Wir müssen einen Tierarzt finden. Und das auf dem schnellsten Weg.« Der Atem des Hundes wurde immer schwächer.

      »Ich kenne mich kein bisschen in dieser Gegend aus. Woher soll ich wissen, wo es in dieser Einöde einen Tierarzt gibt?«

      Kim sah angestrengt aus dem Fenster. Sie schaute nach hinten, dann nach vorne. »Fahr an der Kreuzung rechts«, sagte sie, einer Eingebung folgend.

       »Wie bitte? Woher willst du wissen, dass ich rechts abzubiegen habe?