Cemetery Car®. Angelika Nickel

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Название Cemetery Car®
Автор произведения Angelika Nickel
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847660392



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Augenblick hatte sie sich wieder gefangen und stieß erleichtert aus: »Dem Fürsten sei Dank, Sie sind da. Was bin ich froh, Sie zu sehen!«

      »Kennen wir uns?« Quentin erinnerte sich nicht, der Frau jemals zuvor begegnet zu sein.

      »Wie? Nein, ich glaube nicht. Aber ich passe derzeit auf Ihren, nun ja, wohl mehr Evelyns Salbei auf. Aber jetzt, da Sie da sind, jetzt gehört er Ihnen. Und wenn ich ganz ehrlich bin, bin ich froh, dass ich ihn endlich wieder los werde.«

      Kims Blick wanderte verwundert von der Frau zu Quentin. »Was ist so schwer daran, auf einen Salbei aufzupassen, und weshalb ist sie froh, dass sie ihn jetzt endlich wieder los wird?«, flüsterte Kim Quentin zu.

      »Sie müssen wissen, meine Mutter, sie war es, die Evelyn li Nola versprochen hatte, auf ihn solange aufzupassen, bis Sie hier sein würden, um sich dann selbst Salbei anzunehmen. Aber, ganz plötzlich …« Sie schwieg, wischte sich verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel, und sprach leise schluchzend weiter: »Sie ist gestorben. Eine Nacht, nachdem Ihre Tante …«

      »Großtante.«

      »Wie bitte? Großtante? Ach ja. Nachdem Ihre Großtante verstorben war, eine Nacht danach, ist auch meine Mutter gestorben. Als ich sie gefunden habe, war ihr Zimmer von Lavendelduft durchzogen. So sehr, so intensiv riechend, dass mir schon fast übel wurde. Sie wissen, wer immer nach Lavendel gerochen hat?« Die Frau machte einen Schritt zurück, fast, als hätte sie plötzlich Furcht vor ihrer eigenen Courage bekommen.

      »Wollen Sie nicht zuerst einmal ins Haus kommen? Der Abend hat es doch sehr frisch werden lassen«, schlug Quentin der Unbekannten vor, und machte einen Schritt zur Seite, um sie einzulassen.

      »Nein, danke, zuerst muss ich Salbei holen. Was bin ich froh, ihn endlich los zu werden.«

      »Na ja, so schwer kann es doch auch nicht sein, einen Salbei zu pflegen. Wenn er Ihnen tatsächlich eingegangen wäre, glauben Sie allen Ernstes, dass ich es bemerkt hätte, wenn Sie ihn gegen einen anderen ausgetauscht hätten? Außerdem würze ich nicht mit Salbei. Und das ganze Getue um diese Pflanze hat wohl eher damit zu tun, dass meine Großtante einen Narren an ihr gefressen haben muss. Mir ist es, ehrlich gesagt, ganz gleichgültig, ob Sie den Salbei durchbekommen haben oder auch nicht.«

      Die junge Frau sah Quentin an, als wäre er verrückt geworden. Ihre Augen leuchteten etwas wirr, und sie stammelte: »Sie haben keine Ahnung, nicht wahr? Sie wissen noch nicht einmal, wer Salbei ist.« Sie verfiel in irriges Gekicher.

      »Was Salbei ist«, korrigierte Quentin die junge Frau. »Salbei ist eine Pflanze, sächlich, deswegen ein Was, würde ich meinen.«

      »Dann meinen Sie mal nicht zu früh ... Ich gehe und hole Salbei. In einer Stunde bin ich wieder zurück. Bitte, bleiben Sie bis dahin wach. Danach, wenn Sie es dann immer noch wollen, erzähle ich Ihnen gerne etwas über Ihre Großtante, ihre besonderen Vorlieben … Und erkläre Ihnen, welche Rolle Salbei im Leben Ihrer Großtante, und auch in dem meiner Mutter, eingenommen hat.« Sie drehte sich um und wollte weglaufen, als Kim ihr nachrief: »Halt, warten Sie, wir fahren Sie mit unserem Wagen zurück!«

      »Mit ‘nem Leichenwagen? Nein danke.« Ihre Augen lagen auf Quentin. »Man merkt schon, dass Sie der Großneffe Ihrer Tante sind. Sie haben die gleichen absonderlichen Vorlieben für gewisse Dinge …«, antwortete sie und verließ das Grundstück Silentsend so schnell, dass Kim schon annahm, die Frau fürchtete, im Dunkeln auf Geister zu treffen.

      Quentin schloss die Tür.

      »Wunderlich, hm? Ob in dieser Gegend alle so sind? Will ich mal nicht hoffen.« Mit einem jungenhaften Grinsen sah er seine Verlobte an.

      Kim zuckte mit den Schultern.

      Sie gingen in die Küche. Zusammen räumten sie ihren Einkauf aus dem Korb, den sie unterwegs noch schnell eingekauft hatten.

      Während Quentin den Herd anfeuerte, zerschlug Kim Eier über einer alten braunen Keramikschüssel. Nachdem die zerquirlten Eier gewürzt waren, buk sie den Eierteig in einer Pfanne.

      Als sie mit dem Essen fertig waren, klingelte es wieder an der Tür und die fremde Frau stand erneut vor dieser.

      8 - Die Wahrheit über Evelyn

      »Hallo, da bin ich wieder. Bevor wir ins Haus gehen, könnten Sie mir helfen, Salbei aus dem Wagen zu holen.« Sie wirkte beinahe schüchtern.

      Quentin grinste Kim an, zuckte die Schultern und ging mit der Frau zu dem alten VW-Polo, der direkt vor der Veranda parkte.

      Muss ja eine enorm große Pflanze sein, die sie da für mich gepflegt hat, dachte er, während er neben ihr herging. Am Auto angekommen, öffnete die Frau den Kofferraum, und sagte: »Hier bitte, das ist Salbei! Wie ich Ihrem Gesichtsausdruck entnehme, hatten Sie überhaupt keine Ahnung, um wen es sich bei Salbei tatsächlich handelt.« Dabei umspielte zum ersten Mal ein Lächeln ihre Lippen.

      Quentin sah sehr verblüfft in das Kofferrauminnere. Vorsichtig griff er nach dem Käfig, der darin stand. Langsam zog er das Tuch ab, das den Vogelbauer bedeckte. Was er dann sah, ließ ihn allerdings noch verwunderter dreinschauen.

      »Das ist Salbei?«, fragte er, und machte dabei den Eindruck eines Jungen, der gerade das Schreiben von Buchstaben erlernte.

      »Ja, das ist Salbei! Und wie Sie sehen, handelt es sich keineswegs um eine Pflanze. Aber woher hätten Sie das auch wissen sollen.«

      Quentin legte das Tuch wieder über den Käfig, um ihn gleich darauf mit beiden Händen zu umschließen. Ganz vorsichtig, um das Tier auch nicht zu erschrecken, hob er den Käfig aus dem Kofferraum heraus.

      Zusammen mit der jungen Frau ging er zurück zur Villa Punto, hinein in die Küche, in der Kim gerade dabei war, das gespülte Geschirr zurück ins Regal zu räumen.

      Er stellte den Käfig auf den Tisch, zog das Tuch herunter, und sagte, wobei er amüsiert lächelte: »Darf ich vorstellen: Das ist Salbei!« Er zeigte mit der Hand auf den schwarzen Vogel im Käfig.

      Kim drehte sich um und warf einen Blick in den Käfig. Überrascht eilte sie zum Tisch und betrachtete irritiert den Vogel.

      »Aber, das ist ja ein Rabe …« Sie hatte mit einer Pflanze, einer prächtig gewachsenen Salbeipflanze gerechnet, aber niemals mit einem Tier, und schon gar nicht mit einem Raben im Käfig.

      »Eine Krähe. Salbei ist eine Krähe, kein Rabe, auch wenn er aus der Rabenfamilie stammt, so ist er dennoch eine Krähe. Raben sind etwas größer, wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht«, unterbrach die Fremde Kims Freudenruf.

      Kim liebte Tiere, und so war es nicht weiter verwunderlich, dass sie sich über diese Art von Salbei sehr freute.

      Wie lange wünschte sie sich schon einen Hund, doch aus Zeitmangel hatte sie sich bisher noch keinen zugelegt. Dass sie jetzt zu einem Vogel kam, freute sie daher umso mehr.

      »Aha, eine Krähe. Die Krähe Salbei. Wie deine Tante wohl zu einer Krähe, und noch dazu zu so einem eigenartigen Namen für dieses Tier gekommen sein mag?« Obwohl Kim wusste, dass auch Quentin die Antwort darauf nicht kannte, sah sie ihn dennoch fragend an.

      »Wenn Sie möchten, erzähle ich Ihnen die Geschichte. Überhaupt, glaube ich, dass ich Ihnen doch besser einiges über Ihre Großtante erzählen sollte. Zum einen, weil ich der Meinung bin, dass es richtiger ist, wenn Sie von vorneherein wissen, was Sie eigentlich geerbt haben, und auch, um Sie zu warnen, vor Dingen, denen Sie künftig begegnen werden. Sie müssen wissen, Ihre Großtante war nicht irgendeine Frau …«

      »War sie nicht? Was war sie dann, eine Hexe?«, witzelte Quentin, der sich zurzeit recht ungemütlich in seiner neuen Rolle vorkam.

      »Quentin!«, zischte Kim.

      Die Fremde lachte, etwas leise, etwas verlegen, doch sie lachte. »An Ihrer Stelle würde ich vielleicht auch Witze machen.« Sie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Ihre Tante war tatsächlich so etwas wie eine Hexe. Sie war ein Magier. Ein Pendler