Operativer Vorgang: Seetrift. Jo Hilmsen

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Название Operativer Vorgang: Seetrift
Автор произведения Jo Hilmsen
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847624295



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wäre fatal. Möglicherweise hätte ich dann auch noch auf den FKK Strand gekotzt.

      Alles ging gut, und ich entspannte endlich ein wenig.

      Schließlich wagte ich sogar, Tanja zu betrachten, während sie weiter erzählte. Und endlich wusste ich, dass ich diese Frau heiraten würde. Sie, und keine andere!

      Dazu würde es natürlich nicht kommen.

      Wir liefen über zwei Stunden am Strand. Und diese zwei Stunden sollte ich niemals vergessen.

      Nach den zwei Stunden waren wir Freunde, kurze Zeit später ein Liebespaar. Eine kleine Weile später ein heimliches Liebespaar. Wir waren Vertraute, Verbündete und Leidensgenossen. Und irgendwann Opfer. Aber vielleicht waren wir das auch schon von Anfang an unserer Begegnung.

      Wir kamen zurück zu unserer Textilinsel, und Tanja schlüpfte so selbstverständlich in ihren Bikini, wie sie ihn zwei Stunden vorher ausgezogen hatte.

      Tanja verabschiedete sich von mir und fragte mich, ob ich vielleicht am Abend zum Strand käme. Sie wollte mich ihren Freunden vorstellen, weil das Volleyball-Spielen ausgefallen war. Ich sagte zu und rannte zum Strandkorb meiner Eltern. Mein Vater war schwimmen und meine Mutter blätterte in der Sybille.

      „Hast du Hunger, Philipp?“

      „Oh ja, riesigen!“ Meine Mutter schob sich ihre Sonnenbrille auf die Stirn, nahm sie dann ab und kaute an einem der Bügel.

      „Hübsches Mädchen, das du da kennen gelernt hast. Gratuliere! Verrätst du mir ihren Namen?“

      Endlich konnte ich erröten, und es war nicht einmal schlimm.

      „Tanja.“

      „Hm, Tanja“, sagte sie nur und nestelte die Sonnenbrille zurück vor die Augen. „Ein schöner Name.“

      In diesem Moment liebte ich meine Mutter fast so, wie ich Tanja lieben sollte.

      An der Strandbar aßen wir dann alle drei, mein Vater, meine Mutter und ich, jeder einen halben Broiler mit Brötchen, und ich hatte das erste Mal das Gefühl, mich bei ihnen für alles bedanken zu müssen. Für alles, was sie mir bislang geschenkt hatten, einschließlich dieses Tages.

      Ich tat es nicht. Und später ergab sich keine Gelegenheit mehr.

      Kapitel 6

      Mein Vater war ein guter Schwimmer. Er liebte das Meer, und er liebte das Schwimmen. Jeden Morgen nach dem Frühstück während unseres Urlaubs in Ückeritz, schnappte er sich sein Badezeug und ging schwimmen. Und manchmal ging er, wenn der Mond aufgegangen war, noch einmal zum Meer, um zu schwimmen.

      Als er mir das Schwimmen beibrachte, war ich Neun.

      Er selbst hatte es in der Mulde gelernt – kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Eilenburg wurde von den Amerikanern besetzt, und im Hof meiner Großeltern, in einem kleinen Dorf, acht Kilometer von Eilenburg entfernt, schlugen sie für diese Gegend ihr Hauptquartier auf. Im Großen und Ganzen waren sie zu den Menschen dort freundlich und besonders die Kinder waren von den Amerikanern begeistert. Ein amerikanischer Sergeant, George Miller, der selbst keine Kinder hatte, mochte meinen Vater. Er lernte ihm amerikanische Lieder, brachte ihm einige englische Wörter bei und steckte ihm an und an Schokolade zu. Im Juli 1945 nahm er meinen Vater mit an die Mulde und lernte ihm das Schwimmen. Das war nicht ungefährlich, und meine Großmutter hatte bestimmt ein paar schwere Stunden. Mein Großvater befand sich zu dieser Zeit noch in russischer Gefangenschaft, aus der er erst drei Jahre später zurück kehren sollte.

      Ein paar Monate später verließen die Amerikaner Eilenburg und stattdessen kamen die Russen. Das Potsdamer Abkommen war unterschrieben worden. Für die Menschen auf dem Hof meiner Großeltern wurde es schwieriger, nur mein Vater verstand die ganze Aufregung nicht. Er fühlte sich stark, denn er hatte an einem einzigen Tag schwimmen gelernt.

      Und weil ihn das sosehr beeindruckte, wie der amerikanische Sergeant ihm das Schwimmen beigebracht hatte, wandte er die gleiche Methode Jahre später bei mir an.

      Wir gingen zusammen in ein städtisches Freibad – ins Nordbad, denn in Altenburg gab es zwei.

      Im Nordbad flößte mir ein drei Meter hoher Turm Respekt ein und im Südbad einer, der sogar zehn Meter maß. Ich hatte oft als kleiner Junge beobachtet, wie Leute von dort oben ins Wasser sprangen und mich jedes Mal vor Ehrfurcht und Unbehagen geschüttelt.

      Ich war neun Jahre alt und hatte mich immer in den ersten drei Schuljahren erfolgreich vor dem Schwimmunterricht in der Schule gedrückt. Mal war mir aus irgendeinem Grund plötzlich schlecht geworden, mal vergaß ich die Badehose, mal schmerzte ein entzündeter Zahn, mal bekam ich Durchfall und manchmal drehte ich auf dem Weg zur Schwimmhalle einfach um. Nicht nur die beiden Sprungtürme in den Freibädern nötigten mir nämlich einen gehörigen Respekt ab, sondern Wasser an sich, soweit ich darin nicht mehr stehen konnte.

      Mein Vater stellte sich neben mich vor das Schwimmerbecken, sagte einfach nur: „Vertraue und konzentriere dich!“ Und stieß mich hinein.

      Ich ging unter, schluckte Wasser, kam wieder hoch und schwamm. Erst ein paar Meter, dann die ganze 50 Meter Bahn. Mein Vater lief neben mir her und jubelte. So einfach war das.

      Meine Mutter diskutierte zwei Nächte danach mit ihm über seine Grobheit und Leichtsinnigkeit.

      Zuerst hasste ich ihn dafür, dann beruhigte ich mich und dann war ich stolz.

      Am Abend, bevor mich Tanja ihren Freunden vorstellen wollte, gingen mein Vater und ich gemeinsam in der Ostsee schwimmen.

      Die Temperaturen draußen waren noch immer mild und das Meer lag wie ein flacher dunkler Teller vor uns. Hunderte Grillen übertrumpften sich gegenseitig und die Mücken nervten. In der Ferne lief eine kleine menschliche Silhouette am Strand entlang. Ich erschrak kurz, weil ich einen Moment lang glaubte, Tanja zu erkennen. Aber ich hatte mich geirrt.

      Tanja verschwand gerade mit ihrem Stiefvater an einer anderen Stelle zwischen den Dünen. Sie waren auf dem Weg zu ihrem Bungalow. Die beiden hatten ebenfalls im Meer gebadet. Im Gegensatz zu uns allerdings nackt.

      Am Horizont leuchteten die Lichter von mehreren Schiffen. Reisesehnsucht stieg in mir hoch, und ich dachte kurz darüber nach, vielleicht Matrose zu werden.

      Ich trug einen Bademantel über meiner Badehose. Mein Vater hatte sich über seine nur ein Handtuch um die Hüfte gewickelt.

      Glücklicherweise hatte ich seit der drastischen Methode meines Vaters, mir das Schwimmen beizubringen, jegliche Scheu vor tiefem Wasser verloren.

      Noch im selben Sommer schaffte ich die erste Schwimmstufe, im Sommer darauf die Zweite und die Dritte. Beim Schwimmunterricht war ich fortan immer der Erste unter der Dusche und der Letzte, der aus dem Schwimmbecken kletterte. Bei der Spartakiade gewann ich mehrere Silber- und sogar eine Goldmedaille im 100 Meter Brustschwimmen.

      Mit Zwölf stand ich das erste Mal auf dem Zehn-Meter-Turm im Altenburger Südbad und sprang, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern. Das Jahr darauf wagte ich sogar von dort oben einen Kopfsprung. Dieser Sprung war zwar nicht besonders graziös, aber ich schaffte es wenigstens, mir nicht weh zu tun. Als ich wieder auftauchte, spendeten einige Badegäste Applaus. Ein tolles Gefühl. Schade, dass es in der Ostsee keine Sprungtürme gab.

      Mein Vater machte ein paar Lockerungsübungen, und ich wartete, bis er damit fertig war.

      „Sag mal“, fiel mir plötzlich ein; „hat dich dieser amerikanische Sergeant damals auch einfach so in die Mulde geschubst?“

      „Bist du verrückt“, mein Vater war mit den Oberkörperdehnungen fertig und dehnte jetzt die Beinmuskulatur, „da wäre ich bestimmt ertrunken. Nein, er band mir sein Koppel um die Hüfte, knüpfte daran ein Seil, sagte: Are you ready? Und warf mich dann ins Wasser. Mit einen amerikanischem Koppel um die Hüfte konnte mir nichts passieren. Das wusste ich.“

      „Und wieso hatte ich keinen Koppel, als du mir das Schwimmen beigebracht hast?“

      „Philipp,