Operativer Vorgang: Seetrift. Jo Hilmsen

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Название Operativer Vorgang: Seetrift
Автор произведения Jo Hilmsen
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847624295



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in den Sand fallen.

      „Ich bin bereit. Also bis zur Boje und zurück.“

      Das waren gut zweihundert Meter. Wir gingen beide in die Hocke.

      „Auf die Plätze! Fertig! Los!“

      Wir rannten durch das flache Wasser, das es nur so spritzte, stürzten uns gleichzeitig mit einem Kopfsprung ins Meer und kraulten los. An der Boje waren wir noch auf gleicher Höhe, aber am Ende gewann ich mit einer halben Körperlänge.

      Als wir zurück am Strand waren, prustete mein Vater und schüttelte mir dann anerkennend die Hand.

      „Sehr gut, mein Sohn. Ich gebe mich geschlagen.“

      Ein tolles Gefühl.

      Wir hatten um fünf Mark gewettet. Ich legte mir meinen Bademantel über die Schultern und mein Vater rieb sich mit dem Handtuch trocken. Dann gingen wir zurück zum Bungalow. Er drückte mir augenzwinkernd ein Fünf-Mark Stück in die Hand und öffnete sich ein Bier. Meine Mutter saß am Esstisch und las in der Sybille.

      Ich schaute zur Uhr. Es war halb Zehn. In einer halben Stunde würde ich Tanja wiedersehen.

      Ich war fast so aufgeregt, wie bei unserer ersten Begegnung. Wie würden ihre Freunde mich aufnehmen? Ich atmete dreimal durch und zog mich um. Die Levis, das Led Zeppelin Nicki, und eine dunkelblaue Cordjacke, auf der ich auf dem Rückseite mit weißer Textilfarbe das Zeichen der Rockband Van Halen gepinselt hatte.

      Immer wieder fragte ich mich, ob ich meinen Vater an jenem Abend irgendetwas anderes gefragt hätte, hätte ich etwas geahnt.

      Noch 192 Stunden.

      Kapitel 7

      Tanja war vollkommen anders als am Nachmittag. Ich war von ihrer Veränderung so eingeschüchtert, dass ich kaum wagte, sie anzusehen. Statt zu fragen, was passiert war, widmete ich mich ausschließlich meinen neuen Freunden.

      Ich hatte angeboten, meinen Radiorecorder mit zum Strand zu bringen, was Tanja zu einer kleinen Begeisterung veranlasste. Jetzt nahm sie ihn nicht einmal wahr.

      Markus hatte drei Strandkörbe entdeckt, deren Lattenroste nicht mit einem Vorhängeschloss gesichert waren. Die reichten uns. Wir Jungs zerrten gemeinsam die schweren Körbe quer über den Strand zu unserer Stelle und bald war unser Lager fertig. Die Polster des einen Strandkorbes waren grün-weiß gestreift, die der beiden anderen rot-weiß.

      In dem grün-weiß gestreiften Strandkorb machten es sich Ramona und Markus bequem und in die beiden rot-weiß Gestreiften schlüpften Silvio und Markus´ Schwester, Andreas und ich. Die Strandkörbe waren in einer Art Dreieck aufgestellt und der Mitte stand mein neuer Recorder und spielte gerade Super Trouper von Abba.

      Tanja saß mit angezogenen Beinen im Sand und starrte in die Nacht. Die Arme hielt sie um die Beine geschlungen und ihr Kinn berührte eines ihrer Knie.

      Silvio rückte in Cowboymanier seinen rot-weiß gestreiften mit blauen Sternen bestückten Sommerhut ein Stückchen von der Stirn und hielt mir eine geöffnete Schachtel Club hin. Den Hut hatte er in Swinemünde auf dem Markt gekauft. Bei der nächsten Gelegenheit würde ich meine Eltern bitten, mit mir nach Swinemünde zu fahren, nahm ich mir vor. Ich wollte unbedingt auch so einen Hut. Silvio war der Älteste von uns, sechzehneinhalb. Er trug außer dem Hut eine blaue Trainingsjacke mit zwei weißen Streifen an beiden Ärmeln und eine Wisent-Jeans. Diese Hosen wurden in Cottbus produziert und erreichten natürlich nie und nimmer den Stil einer Levis. Trotzdem machte Silvio Eindruck auf mich. Er hatte etwas Draufgängerisches, und er rauchte wie ein Erwachsener.

      Ich zögerte, denn ich rauchte eigentlich nicht. Das erste Mal, als ich das Rauchen probierte, war mir danach so hundeelend, dass ich schwor, dieses Zeugs nie wieder anzufassen.

      Nun bedankte ich mich, fingerte eine Zigarette aus der Schachtel und ließ mir Feuer geben.

      Silvio blies den Rauch in die Luft und sagte in Richtung Tanja:

      „Was ist los mit dir, Süße? Warum kommst du nicht zu uns?“ Er lachte und rückte zur Seite, so dass Christiane kurz hoch schreckte. Silvio hatte tatsächlich „Süße“ gesagt. Mir gefror das Blut.

      Hastig inhalierte ich einen tiefen Zug auf Lunge und wäre beinahe an dem darauf unterdrückten Hustenanfall erstickt. Tanja antwortete spröde:

      „Ich komme gleich.“

      Markus und seine Schwester Christiane trugen ebenfalls Trainingsjacken, und Markus Trainingshosen, die er bis zu den Knien hochgekrempelt hatte. Die beiden waren Zwillinge. Sie hatten die gleiche Frisur, dichtes goldbraunes welliges Haar, das sich wie kleine Sprungschanzen am Hals nach Außen drehte.

      Christiane unterhielt sich mit Ramona, die als Einzige von uns eine Brille trug. Ihr Gesicht war so rund wie ein Volleyball, und ihr Lachen verschmitzt und spitzbübisch.

      Andreas, der neben mir im Standkorb hockte, wurde von den anderen „Latte“ genannt.

      Er überragte uns alle um anderthalb Köpfe, ich schätzte seine Körpergröße auf über eins neunzig. Groß und dünn wie eine Stabheuschrecke, die ein weißes Baumwollhemd und eine flickenlose Wrangler trug.

      Silvio kam aus Halle, Andreas aus Weimar, Ramona lebte mit ihrer Mutter und ihrer kleinen Schwester in Dessau und Markus und Christiane kamen aus Berlin.

      Ramona hatte eine sechs Jahre jüngere Schwester, die ebenfalls eine Brille trug. Eine Miniausgabe von Ramona, aber sie war zum Glück bei ihrer Mutter im Bungalow geblieben. Einen Vater gab es offensichtlich nicht.

      „Kennt ihr euch aus Altenburg? Ich meine du und Tanja.“ Andreas rammte mir vertraulich seinen spitzen Ellenbogen in die Rippen.

      Ich schüttelte den Kopf und zog ein zweites Mal an der Club. Der Rauch schmeckte nach wie vor widerlich, aber ich blieb dieses Mal von einem weiteren Hustenanfall verschont.

      Unauffällig schielte ich zu Tanja, aber sie machte keinerlei Anstalten, zu uns zu kommen.

      Markus berichtete von seinem Ausflug nach Swinemünde. Die Eltern der Zwillinge waren kulturinteressiert und zerrten ihre Kinder von Museum zu Museum und von Kirche zu Kirche. Den dortigen Markt mit seinen Schätzen hatten sie nur von Weitem gesehen. Nachdem er seinen Unmut darüber geäußert hatte, seine Schwester Christiane warf ihm einen missbilligenden Blick zu, entkorkte er eine Flasche Rosenthaler Kadarka und ließ sie herumgehen.

      Silvio wühlte eine Kassette aus der Tasche seiner Trainingsjacke und machte einen bedeutungsvollen Blick. Alle nickten. Er sah zu mir und fragte:

      „Darf ich?“

      „Klar doch. Was ist das?“

      „Wirst du gleich hören.“

      Es war der Mitschnitt des Albums Never for ever von Kate Bush. Kurz darauf erkoren wir alle Babushka zu unserer Hymne.

      Endlich kam Tanja. Sie lächelte ein kleines verlegenes Lächeln in die Runde und zwängte sich zwischen mich und Andreas. Das Ganze war schier unglaublich. Mit allem hatte ich gerechnet – damit nicht.

      Eine Schar Engel stürzte vom Himmel herab und begleitete fortan jedes meiner Worte, jede meiner Gesten und sogar das Rauchen.

      Ich erzählte politische Witze, erfand lustige Geschichten und schenkte jedem eine Freundlichkeit. Keine Ahnung, woher dieser plötzliche Charme kam. Möglicherweise war der Rosenthaler Kadarka Schuld, denn ich war noch ungeübt im Umgang mit Alkohol, obwohl sich einige Jungs aus meiner Klasse jedes Wochenende betranken. Jens Graichen, zum Beispiel.

      Zusammen mit Andreas pries ich den Duft von Tanjas Haar. Sie verriet, dass sie ihr Haar gelegentlich mit Guhl- Pfirsisch aus dem Intershop wusch. Daraufhin beschloss ich lautstark, betrunken wie ich war, sowie ich jemals wieder Westgeld in die Hand bekommen sollte, mir dieses Shampoo zu kaufen. In Gedanken dachte ich, selbst wenn ich dafür mein Pornoheft opfern müsste. Es war wunderbar. Ich saß in der Ecke des Strandkorbes, mein Körper berührte