Keinen Seufzer wert. Barbara Lutz

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Название Keinen Seufzer wert
Автор произведения Barbara Lutz
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783038551188



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hievt sich dieser die Bränte auf den Rücken und verschwindet, in den Händen den Krug, an den Schultern die Bränte, im Keller. Die schwere Käsereimilch trägt Res somit die Treppe hinunter und wieder hoch. Verena und Jakob sehen sich an. Er will nichts bei ihnen stehen lassen ohne seine Aufsicht.

      «Hast du den Verstand verloren? Dich einfach so zu bedienen?», fragt Verena Jakob, «du hättest fragen müssen. Es ist seine Milch.»

      «Aber gemolken hast bereits zweimal du. Die Abrede ist, dass wir dafür Milch kriegen. Er kann ja das Glas abziehen von den zwei Mass Milch für uns.»

      «Er wollte die Milch messen, bevor du nimmst. Noch draussen, halb im Stall, zugreifen. Das gehört sich nicht. Nicht vor ihm. Hättest warten können.»

      «Du kannst dir ja vorstellen, dass ich Hunger habe.»

      Verena nickt. Sie kehrt ins Haus zurück und ruft nach Annelies, die sich noch nicht aus der Stube gewagt hat. Das Mädchen soll Feuer machen. Später muss Jakob dürre Äste aus Schlatters Wald holen, damit sie eigenes Holz haben. Res wird wohl nichts dagegen haben, dass sie vorläufig die nötigen Scheiter von seiner Beige nimmt. Schliesslich kommt ihm die Glut im Ofen zugute, wenn er von der Käserei zurückkehrt und frühstücken will. Verena geht hinaus zum Brunnen, um den Melkkübel zu waschen.

      Einige Tage später arbeitet Res auf der Bühne über dem Stall. Es muss hier Ordnung geschaffen werden, bevor das warme Wetter beginnt und es plötzlich losgeht mit Heuen. Res schiebt getrocknetes Gras vom vorigen Winter vor die Futterlöcher. Heu und Emd, beides ist noch vorhanden, dabei hat er sich bis vor Kurzem Sorgen gemacht, das Futter werde knapp.

      Mit dem Vater hat er darüber früher manchen Wortwechsel gehabt. Der Vater gab den Tieren viel zu viel, mehr als sie fressen mochten. Beständig waren sie deshalb hintereinander her. Dabei weiss man nie, ob es auch im nächsten Sommer genug Heu einzufahren gibt. Manch einer war schon froh um altes Heu, auch wenn es nicht mehr duftet. Der Mensch soll mit Gottes Gaben sorgsam umgehen, das gilt doch auch fürs Gras.

      Dem Wyssler hat er Futter versprochen für zwei Ziegen, nur wann die Geissen kommen, weiss man nicht. Sobald Res an das vorgeschossene Geld denkt, wird er wütend. Das Geld ist weg, und Geissen sind doch keine da. Die Wysslers haben es sich wohl gut gehen lassen mit seinem Geld. Brot, Fleisch, Kaffee, Res will sich nicht ausmalen, was sie damit angestellt haben. Wenigstens hat er nun von Wysslers Effekten eine Liste, auch wenn sie nur armseliges Zeug besitzen. Laut Akkord hat Wyssler seinen Hausrat für die Schulden als Garantie gegeben. Von was die Wysslers leben wollen? Solche Hungerleider im Haus zu haben gefällt Res nicht.

      Wenn einer in Armut absackt wie der Wyssler, dann niemals ohne eigenes Verschulden. Wie eine Krankheit wuchert das Elend in solchen Familien und verdirbt die Menschen. Obschon der Wyssler vermutlich kein schlechter Mensch ist. Aber er lebt in grossem Elend, von dort ist es zum Diebstahl kein weiter Weg, auch nicht zur Trunksucht. Res denkt, dass die Frau dem Wyssler schadet. Zwar haben alle brav gearbeitet, seit sie auf dem Schafberg sind, auch die Frau. Aber Res spürt, Verena wird aufbegehren früher oder später, sie sieht nicht aus wie eine, die von sich aus gern entsagt. Zu gierig blickt sie nach seinem Anken, als ob sie ihn darum bitten wollte und es doch nicht wagt. Den kleinen Kindern hat sie den masslosen Blick bereits vererbt. Mit dem sehen sie ihn an, wenn er Milch trinkt.

      Res muss husten. Das staubige Heu kratzt im Hals und brennt in den Augen. Seine eigenen Ersparnisse wird er in Zukunft gut bewachen müssen.

      Auf dem Heuboden verteilt liegen noch einige Halme, die Res nun liegen lässt. Über die Leiter steigt er hin­ab ins Tenn.

      Gewiss stand auch damals auf der Reite, dem Korngarbenboden überm Tenn, das Bodenloch gefährlich offen!

      Der Krähenbühl, Knecht bei Haldimann, hat Richter Ingold zugetragen, was er vom Grunder Hans, Knecht in der Multenweid bei Salzmann, weiss, welchem es die Jungfrau Steiner berichtet hat: Der Schlatter halte das Reiteloch absichtlich offen, das sei den Schelmen so gebeizt. Als die Elisabeth Steiner nämlich einmal auf dem Schafberg auf die Bühne ging, habe Schlatter zu ihr bemerkt, sie solle sich in Acht nehmen, das Reiteloch sei offen. Sie habe damals im Sommer geholfen, die Hühner in den Stall zu jagen, und sei deswegen auf die Bühne gegangen. Der Schlatter besitze zehn à elf Hühner, erzählte Jungfrau Steiner, und glaube immer, wenn nur ein Huhn über die Bühne gehe, es seien Schelme oben: Denen zur Überraschung stehe das Reiteloch weit offen.

      Am Pfingstabend sitzt Verena mit dem Rücken an die Holzwand gelehnt in der halbdunklen Küche. Von draussen hört sie Res’ Schritte, er nähert sich dem Haus. Res war wohl bei seinem Betkreis, er kommt in sonntäglicher Besinnlichkeit zurück, ganz versunken und nachdenklich schlüpft er in die Holzbodenfinken.

      Res betritt die Küche und geht an Verena vorbei direkt in seine Kammer. Wenig später ist er zurück, doch scheint er Verena noch immer nicht bemerkt zu haben. In sich gekehrt, schlurft er ruhig zum Herd. Dort steht seit dem Morgen, seit Res das Haus überhastet verlassen hat, ein Topf mit gesottenem Anken. Es geschieht selten, dass Res etwas vergisst. Alles sperrt er sofort weg, in seinen Schaft, in den Speichergaden, in die Kammer, in den Keller.

      Verena hat den Topf nicht angerührt. Niemand hat ihn angerührt. Verena auf ihrem Fensterplatz macht sich bemerkbar, sie will aufstehen.

      «Masshalten wird vom Herrgott belohnt und nicht das Nehmen. Nehmen von dem, was einem nicht gehört», sagt Res laut vor sich hin. «Aber ihr habt heute wohl einen Festsonntag gehalten.»

      Wortlos verlässt Verena die Küche, in der Kammer lehnt sie sich gegen den kalten Ofen. Keine Messerspitze Anken hat sie dem Topf entnommen. Inzwischen poltert Res draussen wie gewohnt herum. Aber dann zu den Stündelern rennen, deren Gebet ja gerade einmal für den Heimweg reicht und bis in die Kammer.

      Verena Wyssler keucht den Hang hinauf. Annelies muss sich mässigen, um nicht davonzuziehen, ständig um Schritte voraus. Früher war die Mutter füllig und weich, in den Jahren, als Annelies noch auf ihren Schoss kroch. Stämmig ist die Mutter immer noch, aber seit dem letzten Winter ist sie mager geworden um ihre groben Knochen. Nun bleibt sie stehen, fächelt sich Luft in den Ausschnitt, räuspert von tief unten Schleim weg und sieht nochmals den Hang hoch.

      Auch wenn ihr der Aufstieg beschwerlich fällt, die Mutter ist froh, das Haus zu verlassen.

      Oben am Grat zeichnet sich die Silhouette eines ­Mannes ab, der sie beobachtet. Verena wendet sich wieder dem Berg zu und stapft los, Annelies folgt. Mutters ­Waden, die unter dem hochgeschürzten Rock hervorblitzen, sind drahtig und überzogen von einem Netz feiner roter Adern. Der Mann ist wohl einer von Salzmanns Knechten. Salzmann heisst der Bauer in der Multenweid, ein Nachbar.

      Seit den heftigen Gewittern an Pfingsten ist es wieder kühl und nass geworden. Als sie auf dem Grat ankommen, grüssen sie den Mann.

      «Das war ein steiler Hang», meint die Mutter und setzt sich, indem sie dem Fremden zulächelt, ins feuchte Gras. Aus den Augenwinkeln bemerkt Annelies, dass sie Anstalten macht, sich hinzulegen. Sie lässt es aber bleiben, sitzt nur nach hinten auf die Arme gelehnt schwer atmend da. Unbehaglich bleibt Annelies stehen. Schon, weil sie nicht, was die Mutter nicht zu stören scheint, den restlichen Weg mit einem feuchten Rock zurücklegen will.

      Nach einer Weile sagt die Mutter, sie hätten unten bei Schlatter Quartier bezogen. Sie deutet in Richtung Haus, in dem sie jetzt wohnen. Der Mann nickt.

      «Grunder Hans», sagt er schliesslich.

      Als die Mutter wieder zu Atem gekommen ist, setzt sie sich gerade hin und blickt sich um. Plötzlich beginnt sie zu kichern, zuerst leise glucksend, dann immer offener, unbekümmert. Annelies kann nicht feststellen, worüber sie lacht. Der Mann bleibt gleichfalls ungerührt. Annelies schämt sich. In den Mundwinkeln der Mutter zeigen sich ihre Zähne, wie bei den Lefzen eines Hunds. Nun streicht sie sich den Rock glatt und schaut dem Knecht gerade ins Gesicht, der sofort wegsieht. So benimmt sich die Mutter, wenn sie sich beliebt machen will. Annelies stellt sich weiter abseits hin.

      Auf der gegenüberliegenden Talseite zieht eine Kuhherde zur Tränke, einzelne Tiere bewegen sich gemächlich, andere schnell. Der Mann scheint die beiden Frauen vergessen zu haben, er blickt den Kühen nach.