Keinen Seufzer wert. Barbara Lutz

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Название Keinen Seufzer wert
Автор произведения Barbara Lutz
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783038551188



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einer grob und tut ihm etwas an.

      Trotzdem muss er sich in Kürze nach Gehausleuten umsehen, die ihm beim Zinsen helfen. Eine Verwandte aus Ursenbach hat fragen lassen, ob Platz wäre, und es sollte sich bald einer zeigen von deren Leuten.

      Um die Mittagszeit tritt Res hinters Haus und blickt den Hang hinauf zum Wald, von wo er Stimmen hört. Am Horizont, zur Multenweid hin, sieht er eine fremde Gestalt über die Wiesen gehen. Die Fussstapfen auf dem Weg vom Graben zum Haus sind aber bloss seine eigenen. Hinter dem Stall haben die Schafe den Schnee zertreten und bräunlich gefärbt. Noch immer liegt Schnee und ist die Erde nass. Wenn sich jetzt aber bald einmal die Sonne durchsetzt, muss alle Arbeit auf einmal getan werden. Res geht in die Küche, wo er von der Milch und vom Mus nimmt und sich damit in seine Stube setzt.

      Der Weg von Steinen hinauf zum Schafberg ist beschwerlich, die Strasse schlickig und steil. Wyssler Jakob ist seit gestern unterwegs, den Weg von Ursenbach hierher hat er zu Fuss gemacht. Nun keucht er am steilen Hang. Je näher er dem Schafberg kommt, umso ungeduldiger wird er. Jakob sucht ein Logis für sich und seine Familie. Bei Schlatter Res, der alleine auf dem Schafberg wohnt, sei Platz vorhanden.

      Merkwürdig nur, denkt Jakob, während er zügig bergan steigt, dass seine Frau den Schlatter Res erst jetzt erwähnt hat. Ein Verwandter, der allein einen Hof bewirtschaftet und Mietsleute sucht. Als ob sie in den vergangenen Jahren, Hungerjahre allesamt, nicht auch schon froh gewesen wären um ein günstiges Logis.

      Jakob denkt auch an die Stille gestern Abend in der Stube von Schlatter Res’ Schwestern, als er sich nach deren Bruder erkundigt hat. Die drei alten Jungfern wohnen mit ihrem greisen Vater in Signau, und Jakob hat bei ihnen übernachtet. Es heisst, der Schlatter Res habe sie mitsamt dem eigenen Vater aus dem Haus gejagt und nach Signau in Miete getrieben. Davon war gestern Abend aber nicht die Rede, als er mit den Frauen in ihrer engen Stube sass. Man sprach über die Verwandtschaft im Allgemeinen. Dann hat sich Jakob nach dem Weg auf den Schafberg erkundigt und gefragt, was ihn dort erwarte. Daraufhin die Stille. Die Schwestern blieben zum Bruder wortkarg, bis auf Maria, die ihn zänkisch nannte. Als sie das sagte, beobachtete sie Jakob aus den Augenwinkeln.

      Ob zänkisch oder nicht, Jakob braucht eine Wohnung für seine Familie und Arbeit für sich selbst.

      Auf dem erdigen Weg voller Pfützen rächt sich die ungeflickte Naht an seinen Schuhen. Wasser dringt ein und nässt die Socken. Obschon der Vormittag weit fortgeschritten ist, sieht Jakob in der Düsterkeit des Waldes kaum bis zur nächsten Wegkehre. Trübe ziehen sich die Bäume über ihm zusammen und es tropft ihm auf Kopf und Kragen. Als er hochsieht, fliegt eine Schar Krähen auf. Er muss den Schlatter dazu bringen, ihm die Wohnung zu geben. Während Jakob sich den steilen Weg hin­aufmüht, beschleicht ihn Furcht, mit dem alten Mann nicht handelseinig zu werden. Das unsichere Gefühl in seinem Magen kommt aber bestimmt auch vom Hunger.

      Jakob erreicht die Höhe und gelangt endlich auf freies Gelände. Hier oben, nur wenige Schritte hinter dem Altschloss, weitet sich der Blick. Jakob bleibt stehen und besieht sich die Gegend, Hügel, Schwenden und bewaldete Kuppen, Bauernhöfe mit rauchenden Kaminen. Jemand schlägt Holz. Der Tag ist kühl und wolkenverhangen, aber die Weiden am Wegrand tragen erste Kätzchen. Jakob geht die Bergkuppe entlang weiter, bis er unter sich im steilen Gelände den Schafberg erblickt. Umgeben von Wald drückt sich der Hof an einen abschüssigen Hang. Jakob sieht Weideland, Pflanzungen, Obstbäume. Hier also wohnt Schlatter Res, allein im Bauernhaus, das eine Familie samt Magd und Knecht aufnehmen könnte. Er hat recht getan, hierher zu kommen. Gottlob hat die Frau vom Schafberg gesprochen. Als er über die Wiesen zum Haus hinuntersteigt, drückt eine blasse Sonne durch die Wolken. Es wird sich zum Guten wenden.

      Rund ums Haus ist alles still, und schüchtern klopft Jakob an die Haustür. Nichts regt sich. Während er nochmals klopft, ruft er laut, ob einer da sei. Schliesslich öffnet er die Tür um einen Spalt, die Küche ist leer.

      «Jemand zu Hause?», fragt er in die Stille.

      Von der anderen Hausseite her ist ein leises Geräusch zu vernehmen, ein Kratzen aus der hinteren Stube. Laut grüssend betritt Jakob die Küche und bleibt stehen. Als keiner kommt, geht er vorsichtig weiter und streckt schliesslich den Kopf in die Stube.

      Ein alter Mann sitzt dort im Dämmerlicht. Miss­trauisch starrt er Jakob entgegen, während er ungerührt etwas aus einer Schüssel löffelt. Jakob grüsst und bleibt im Türrahmen stehen.

      Schlatter sagt nichts, er isst weiter. Jakob betritt die Stube und lehnt sich an den Rand der Ofenbank.

      «Es ist wegem Logis?», fragt Schlatter schliesslich in die Stille.

      Jakob bejaht. Als nichts mehr folgt, setzt er sich auf den Ofen, die Kutte auf den Knien.

      «Von Verena der Mann? Von Hirschis Verena?»

      «Genau der. Wyssler Jakob.»

      Schlatter schiebt sich einen kleinen, halbgefüllten Löffel Mus in den Mund und saugt dem leeren Löffel hinterher wie ein Kalb an Zitzen. So kann es dauern, bis die Schüssel leer ist. Jakob legt die Kutte neben sich und zieht sich die schlammverspritzten Schuhe aus. Er stellt sie unter die Ofenbank und drückt die Füsse in ihren nassen Socken gegen den warmen Stein. Schlatter mustert ihn und beobachtet jede seiner Bewegungen.

      «Schuhmacher, der Beruf?», fragt Schlatter. Jakob bejaht und schiebt den löchrigen Schuh mit dem Fuss noch etwas nach weiter hinten, unter den Ofen.

      «Seid ihr zahlreich?», will Schlatter nun wissen.

      «Ich und die Frau, dann deren Tochter aus erster Ehe und unsere eigenen zwei Kinder.»

      Darauf sagt Schlatter nichts. Er trinkt von der Milch und kratzt endlich die Musschüssel leer. Schliesslich steht er auf.

      «Eine Stube, ein Gaden und ein Anteil Küche sind zu haben», sagt er knapp und bedeutet Jakob, ihm zu folgen.

      Die Küche, finster und verrusst, geht quer durch das ganze Haus. Von ihr aus gelangt man in die beiden Stuben, in die leer stehende und in Schlatters eigene. Die zu vermietende Stube liegt auf der Morgenseite und somit näher beim Hauseingang. Jakob schaut sich den leeren Raum an, er ist düster und niedrig, aber recht geräumig. Der grosse Trittofen aus Sandstein wird vom Küchenherd aus beheizt, man wird von der Kochwärme etwas abbekommen, ohne selbst feuern zu müssen.

      Zurück in der Küche schielt Jakob nach den Gerätschaften. Verschiedene Sägen, ein Beil und eine Axt, Sicheln, Gertel und mehrere Messer sind an den Wänden aufgehängt. Ein Holzkübel, Kochtöpfe und Kessel auf dem Herd, alles ist vorhanden, wenn auch schmutzig und alt.

      Auf Schlatters Seite führt eine Tür von der Küche hinaus auf eine Laube und zur Treppe zum oberen Stock. Ein Schleifstein lehnt dort an der Wand.

      Schlatter steigt mit Wyssler zu den Gaden hinauf. Im Gaden, der zur Miete steht, befindet sich ein Bett.

      Respekt und Ehre für Wysslers beklagenswerte Lage und Schlatter Reslis sonderbares Los! Doch wünschte man die Schandtat zu kennen, welche der Scharfrichter jüngst mit kaltem Eisen sühnte.Es ist, Gott sei’s geklagt, auf dem Schafberg nämlich ein Leichnam entdeckt worden, ein Jahr nur nach Jakobs erstem Gang dorthin.

      Am Freitag, den 15. Hornung letzthin, lag auf dem Schafberg ein Toter im Tenn und zwar unter dem Reiteloch, durch welches er gefallen schien. Namentlich am Kopfe stark verblutet, war er mit geflickter, halbleinener Hose, mit wollenen Stümpfen und einem zwilchenen Rock bekleidet, das Gilet und ein zerrissenes, beschmutztes altes Hemd oben auf der Brust in Blut getränkt. Der Tote trug keine Schuhe, doch lagen Holzbodenfinken neben ihm.

      Am selbigen Abend noch wurde Gemeinderat Röthlisberger gerufen, den Tatort zu versiegeln, und umgehend erstattete Landjäger Ambühl Anzeige beim Regierungsstatthalteramt in Langnau. Weil die Sache dringend schien, wurde sogleich ein Augenschein vorgenommen, will heissen, am Sonntag nach der Tat. Die Herren Notar Lanz von Langnau, stellvertretender Amtsrichter, und Johannes Lüthi, Aktuar, verfügten sich hierfür auf den Schafberg. Aufgeboten wurden zudem die Doktoren Stettler und Hodel, Arzt und Wundarzt in Langnau und mithin sachverständig, den Toten zu untersuchen.

      Es sind somit hervorragende Herren mit der Aufklärung