Keinen Seufzer wert. Barbara Lutz

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Название Keinen Seufzer wert
Автор произведения Barbara Lutz
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783038551188



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über Felder und Tiere und wem diese gehören. Der Mann bleibt wortscheu, seine Antworten kommen zögerlich. Wenn sich die Mutter nur stillhalten würde, statt sich ungehörig anzubiedern bei fremden Leuten.

      «Wo wollt ihr hin?», fragt Grunder schliesslich.

      «Wir gehen um Saatkartoffeln, die Schwester in Röthenbach will uns geben, was sie noch hat.»

      «Kartoffeln wollt ihr setzen?» Annelies weiss, was Grunder meint. Bald Brachmonat und die Erdäpfel noch nicht im Boden.

      «Wir sind halt jetzt erst umgezogen», erklärt die Mutter.

      Grunder sagt nichts, und eine Weile lang schweigen alle. Annelies hat sich sowieso kaum gerührt und nichts gesprochen. Sie betrachtet den Weg vor sich. Endlich verabschiedet sich der Knecht mit einem knappen Gruss.

      Vielleicht ist es gar nicht Mutters Art. Vielleicht verstellen sich die anderen, wenn sie sich so bedächtig und gemessen geben. Vielleicht ist dieser Knecht ein bigotter Stündeler, so wie man es von Schlatter sagt. Sie selbst mag es eigentlich, wenn die Mutter lacht, ob es nun ei­nen Grund gibt oder nicht. Aber viele Leute mögen es nicht, das war schon immer so. Und die Mutter hört nicht auf, wenn keiner einstimmt.

      Der Knecht hat rechtschaffen gewirkt. Wie man sein sollte, denkt Annelies, wie man wohl sein sollte und wie die Mutter es nicht ist.

      «Was denkst du, ist Salzmanns Knecht auch ein Stündeler?», fragt sie später die Mutter, als sie weitergehen. Verena bleibt stehen, überrascht zuerst und dann entrüstet. Nur weil einer nicht lärmt und angibt, weil einer ein ernsthafter Mensch ist, erwidert sie und weist die Tochter zurecht. Die Mutter redet sich richtiggehend ausser Atem, während sie alle Frommen und Pflicht­getreuen verteidigt und die Tochter ermahnt. Dass sie selbst den anderen manchmal als anstössig gilt, weil sie so unbekümmert und mit einem nassen Abdruck auf ihren Gesässbacken ausschreitet, merkt sie nicht.

      Der Grunder wurde nach Langnau zitiert, zu berichten, was er weiss. Es befand sich dieser nämlich am fraglichen Abend, den 15. Hornung letzthin, auf dem Schafberg.

      Er habe, sagte Grunder vor dem Richter, an jenem Abend ­weder den Schlatter noch den Wyssler angetroffen, sondern nur fremde Männer vorgefunden. Es sei zwischen halb à neun Uhr ­gewesen, dass er, auf dem Schafberg angekommen, daselbst zwei­mal bei der Haustür geklopft habe. Während er noch wartete, seien zwei ihm unbekannte Mannspersonen oberhalb der Bühnen­brücke hindurch gegen den Hausecken hinabgegangen. Wer diese Männer waren, wisse er nicht zu sagen. Aus Angst, es möge etwa etwas Unrichtiges vorgefallen sein, habe er sich sogleich entfernt.

      Das ist, was der auf Citation erschienene Grunder Johann, des Johannes und der Elisabeth, geb. Salzmann, Sohn von Vechigen, Knecht bei Salzmann Peter in der Multenweid, geb. 1839, ledig, Soldat der 23. Füsilier-Companie des 30. Bataillon in Langnau, beim Richter auf geeignete Fragen deponiert hat.

      Verena erkennt die Schwester von Weitem, sie winkt und juchzt ihr zu, während sie mit Annelies den Weg zum Haus hinuntersteigt. Die Schwester arbeitet mit ihren zwei Töchtern im Garten. Als sie Verenas Rufe hört, legt sie die Hacke hin und winkt zur Antwort mit den Armen.

      Fast gleichzeitig treffen sie auf dem Vorplatz ein. Die Schwestern umarmen sich, Annelies begrüsst die Cousinen mit einem Handschlag. Die Besucherinnen werden hinters Haus gebeten zu einem Tisch auf der Laube. ­Verenas Schwester Magdalena holt aus dem Keller einen Krug mit kühler Schotte und füllt daraus zwei Gläser. Durstig greift Verena nach dem Getränk.

      Die Frauen setzen sich hin, Verena lockert ihr Hemd und atmet seufzend aus. Der Weg hierher nach Mühleseilen, einem Weiler der Gemeinde Röthenbach, war weit.

      «Jetzt wohnt ihr also beim Vetter im Schafberg, beim Resli?», fragt Magdalena und springt gleichzeitig erschrocken auf. Sie wird von einer Hornisse verfolgt, die sie fuchtelnd zu vertreiben versucht. Marianne, die ­ältere ihrer Töchter, zieht sich das Tuch vom Kopf und schlägt damit nach dem Insekt, bis es zu Boden fällt.

      «Ihr wohnt nun also beim Res?», wiederholt Magdalena ihre Frage, als sie wieder sitzt. Sie will wissen, wie es dort aussieht und ob man sich mit Res vertragen kann. Verena beginnt zu berichten. Auf dem Weg, der am Haus entlangführt, treibt ein Nachbarsbub ein Schwein vorbei. Als die Mädchen es erblicken, können sie nicht an sich halten, und Marianne fällt der Tante ins Wort. Sie muss davon erzählen, dass das Schwein gestern um ein Haar geschlachtet worden wäre. Völlig reglos sei das Tier im Stall gelegen, man hat gedacht, es wäre tot. Als aber der Bauer mit einem grossen Messer kam, sprang die Sau auf und schleckte am Trog herum.

      «Der Bendicht wird auf Stör sein?», erkundigt sich Verena, sobald das Gelächter verklungen ist, nach dem Mann ihrer Schwester.

      Magdalena nickt und schenkt Schotte nach. Zu einer Antwort kommt auch sie nicht, weil ihre beiden Mädchen nun vorführen, wie das scheintote Schwein beim Anblick des Messers aufwacht. Ihre Darstellung ist so komisch, dass sich Annelies vor Lachen verschluckt und man ihr auf den Rücken klopfen muss.

      Als schliesslich die wichtigsten Neuigkeiten ausgetauscht sind, verschwinden die beiden Frauen im Keller, um nach den Saatkartoffeln zu sehen. Annelies bleibt bei den Cousinen, die ihr, rittlings auf der Bank sitzend, ein Spiel mit Steinen zeigen. Die Marianne, die bald zwölf wird, ist eigentlich zu alt, um sich so breitbeinig zu zeigen, und Annelies muss daran denken, dass Marianne als Uneheliche zur Welt kam. Auch wenn ihre Mutter inzwischen den Aegerter Bendicht geheiratet hat, so ist sie doch eine vaterlose Waise. So hinsetzen sollte sie sich deshalb nicht.

      Die Frauen kommen mit einem grossen Korb Kartoffeln aus dem Keller zurück und Annelies hilft der Mutter, sie auf die Hutten zu verteilen.

      «Bis zu elf Franken kostet ein Sack nun in der Stadt», sagt Magdalena. Über das Bezahlen haben sie noch nicht gesprochen.

      «Bei solchen Preisen vermag man keine Kartoffeln zu kaufen», meint Verena bloss.

      Sie einigen sich auf acht Franken, die später zu bezahlen sind.

      Auf dem Heimweg ist die Mutter aufgekratzt und gesprächig. Annelies würde sich gerne nach Mariannes Vater erkundigen. Die Mutter hat nie mit ihr darüber gesprochen, und auch jetzt wagt Annelies nicht zu fragen.

      «Bei Aegerters reden alle gleichzeitig. Sie setzen sich nie wirklich hin, dauernd springt jemand auf», sagt Annelies stattdessen.

      Die Mutter stimmt dem zu.

      «So war es früher auch bei uns daheim.»

      Manch einer im Dorf bemängelte diese Fröhlichkeit, wenngleich nur hinter vorgehaltener Hand. Verena hat die tadelnden Blicke nicht vergessen und wie ihr, beiläufig höchstens und mit einem kurzen Lachen, bedeutet wurde, das Vergnügen gelte etwas viel bei ihnen. Dabei hat sich der Pfarrer nie beklagt. Diesem war wichtiger, dass ihr Glaube in seinem Sinne blieb. Mit Stündelilaufen oder übertriebener Frömmigkeit jedenfalls gaben sie – die Hirschis, wie Verenas Leute hiessen – dem Pfarrer keinen Grund zu Sorge.

      Man hatte einen kleinen Hof, der gottlob ihrer war und für den man nicht zu zinsen brauchte, erinnert sich Verena. Nur gaben die winzigen Äckerlein, die Geissen und das Garnspinnen zum Leben nicht genug. Der Vater ging deshalb mit Besen, sobald es Winter wurde.

      Vom Vater wurde wüst geredet. Wenn er mit seinen Besen komme, schicke man besser die Männer an die Tür, um zu märten, nicht die Frauen. Die Sache abgehandelt, solle man vor dem Haus warten, bis er von Grund und Boden sei, es gebe redlichere Leute als den Hirschi. Deshalb galt auch sie, obschon sie tüchtig war und anzupacken wusste, von vornherein als liederlich. Die Nachbarinnen gaben es ihr zu verstehen, nur manche Männer waren etwas milder.

      Viel besser erging es Verena später im Bädli Rohri­moos. Sie fand Anstellung dort und holte ihre Schwester Magdalena nach. Es war eine gute Zeit für zwei junge Mädchen, das Bettenmachen und Bödenschrubben in der sauberen Herberge gefiel ihnen besser als dreckige Kartoffeln auszugraben, wie sie es von zu Hause kannten. Und auch, dass man allseits beliebt war und gern gesehen. An jedem Abend gab es Spiele, oft auch Musik, der Wein floss nicht zu knapp dabei. Auch wenn Verena selbst bloss Dienstmagd war und da, um andere zu bedienen, wenn spät in der Nacht in der Gaststube gesungen wurde, gehörte sie dazu.