Eingeäschert. Doug Johnstone

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Название Eingeäschert
Автор произведения Doug Johnstone
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783948392437



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und nahm ihr Handy heraus.

      »Echt jetzt?«

      »Willst du sie nicht finden?«

      »Das hat doch mit ihnen gar nichts zu tun.«

      »Woher weißt du das?« Hannah trank einen Schluck Whisky und spürte, wie ihr Jims Geist Kraft gab. »Woher weißt du, was wichtig ist und was nicht? Alles könnte sehr wichtig sein, man weiß es nicht.«

      Xanders Blick wanderte durch die Kneipe nach einem Gast, der hereinkam und ihn rettete. »Darren und Faisal.«

      Sie gab die Namen in ihr Handy ein. »Nachnamen?«

      »Ist das wirklich nötig?«

      Sie sah ihn fordernd an.

      Er seufzte. »Grant und McNish.«

      »Haben sie sich mit Mel verstanden?«

      »Klar, sie ist super.«

      »Haben die sie überhaupt in deiner Wohnung gesehen?«

      Xander schob die Hände in die Taschen. Er hatte ein Fitbit-Imitat am Handgelenk, und Hannah fragte sich, ob das nachverfolgt werden konnte. Nicht dass sie gewusst hätte, wie man so etwas macht. Er schüttelte den Kopf. »Sie sind nach den Vorlesungen direkt in den Pub.«

      »Und nach der Pasta?«

      Er sah sie belämmert an. »Du weißt schon.«

      »Ihr hattet Sex.«

      Er bekam einen roten Kopf. »Himmel, ja, auch.«

      »Und dann?«

      »Haben wir einen Film auf meinem Laptop angesehen.«

      »Welchen Film?«

      »Spielt das eine Rolle?«

      »Alles spielt eine Rolle.«

      »Auslöschung. Sci-Fi auf Netflix.«

      »Und wann genau ist sie gegangen?«

      »Gegen Mitternacht. Ich hab sie nach Hause begleitet.«

      Das stimmte mit dem überein, woran Hannah sich erinnerte, dass Mel etwa um Viertel nach zwölf hereinkam. Sie trank das Glas aus und stellte es auf die Theke.

      »Kann ich mal dein Handy sehen?«

      »Wozu?«

      Hannah zuckte mit den Achseln. »Nur, um ein paar Sachen zu checken.«

      Xander nahm ihr Glas und ließ es von einer Hand zur anderen rollen.

      »Nein«, sagte er. »Das ist eine Verletzung der Privatsphäre.«

      »Nur, wenn du was zu verbergen hast.«

      Sie wollte ihn provozieren, dazu bringen, dass er etwas sagte, das ihn verriet.

      »Leck mich, Hannah«, stieß er hervor und stellte das Glas in die Spülmaschine. »Ich hoffe, du findest Mel, aber du kannst mich trotzdem mal.«

       11

       DOROTHY

      Craigentinny sah völlig anders aus als alles, was man sich unter Edinburgh vorstellen konnte. Es waren nicht das Schloss und die Turmspitzen des Touristenzentrums oder das Durcheinander der Mietshäuser in der Old Town. Es waren nicht die georgianischen Stadthäuser der New Town oder die zusammengestückelten Siedlungen aus Trainspotting. Das hier waren breite, nichtssagende Straßen voller 1930er Bungalows, kleiner Gärten und angebauter Garagen, vereinzelt mal ein Wohnwagen in einer Einfahrt. Das hier war ein Vorort nahe am Meer, eingerahmt von einem kommunalen Golfplatz und einer Wertstoffsammelstelle. Dorothy sah auf die Rückseite von Arthur’s Seat, auf die sanften, mit Ginster bewachsenen Hänge, die im Kontrast zu den Steilhängen der Vorderseite standen, und es war, als sehe man Edinburghs großer alter Dame unter die Röcke.

      Sie überprüfte die Adresse, die Thomas ihr gegeben hatte, 72 Craigentinny Avenue. Grauer Backstein, Mansardenfenster zur Straße, ein weißer Ford Ka vor der Tür. Das perfekte kleine Heim von irgendwem. Dorothy konnte sich nie an den Platzmangel in schottischen Häusern gewöhnen. Die Menschen hier schienen glücklich zu sein mit einem winzigen Stückchen Land, wo sie eng aufeinanderhockten. Zu Hause in Pismo Beach waren sie nicht wirklich reich gewesen, aber sie wuchs in einem Haus so groß wie das der Skelfs auf, ausladend, eingeschossig mit neuen Anbauten in allen Richtungen. Schottische Häuser wirkten vergleichsweise düster, verklemmt. Vielleicht genau wie die darin lebenden Menschen.

      Sie verschränkte einen Moment die Finger über ihrem Herz, atmete durch die Nase ein und durch den Mund aus, versuchte, ihre Mitte zu finden. Sie ermahnte sich, dass diese Frau sie nicht erwartete, es würde ein Schock sein. Und was die Frau zu sagen hatte, könnte Dorothy ebenfalls schockieren.

      Sie öffnete das schwarze Törchen, ging den Weg hinauf und klingelte an der Haustür.

      Wartete.

      Sah eine Bewegung durch das strukturierte Glas der Tür, die schließlich geöffnet wurde von einem vielleicht zehnjährigen Mädchen in Schuluniform, weißes Polohemd mit kastanienbrauner Strickjacke. Auf dem goldenen Wappen der Strickjacke stand oben »Craigentinny« und »I Byde it« darunter. Dazwischen ein Jagdhorn, etwas, das wie zwei gekreuzte Zuckerstangen aussah, und die Palette eines Malers. Dorothy kannte genug Schottisch, um zu wissen, dass »byde« so viel wie »leben« bedeutete, aber das ergab keinen Sinn. »Ich lebe es« – was für ein Schulmotto war das denn?

      Sie lächelte. »Hi, wie heißt du?«

      »Natalie.«

      »Ist deine Mum oder dein Dad zu Hause?«

      Sie nickte und drehte sich um. »Mum!« Das brüllte sie die Treppe hinauf. »Sie kommt gerade.« Natalie blieb in der Tür stehen und starrte das Muster von Dorothys blauem Kleid an.

      Dorothy hörte Schritte, dann wurde die Tür weiter geöffnet.

      Rebecca Lawrence war etwa in Jennys Alter, jung genug, um Jims Tochter sein zu können. Dorothy sah Natalie hinterher, die im Wohnzimmer verschwand, und versuchte, keine düsteren Gedanken zuzulassen. Rebecca hatte Kurven, die keine Skelf-Frau je haben würde. Breite Hüften, volle Brüste, ein rundes Gesicht. Wenn eine Skelf-Frau zulegte, wurde sie pummelig, aber Rebecca war eher sexy als pummelig. Ihre Haarfarbe changierte zwischen blond und brünett, und sie trug ein graues Kostüm, Kleidung fürs Büro. Schwarze Strumpfhosen, aber keine Schuhe, was seltsam intim wirkte.

      »Kann ich Ihnen helfen?«, fragte sie. Ihr Akzent wies auf gebildeteres Edinburgh hin, war höflich, zugänglich.

      »Entschuldigen Sie bitte die Störung, mein Name ist Dorothy … Skelf.«

      Rebeccas Gesicht verhärtete sich bei Erwähnung des Nachnamens. »Was wollen Sie?«

      »Ich möchte über Ihren Mann sprechen, über Simon.«

      »Simon ist tot.«

      Es klang, als versuche sie sich immer noch davon zu überzeugen.

      »Mein Mann ebenfalls, vor einer Woche.« Dorothy berührte die Wand neben der Tür, woraufhin sich Staub löste. »Darf ich reinkommen?«

      Rebecca seufzte, trat einen Schritt zur Seite und führte Dorothy in die Küche.

      Schränke und Herd waren alt, schon sehr lange nicht ersetzt worden. Mehrere Risse in den Bodenfliesen neben dem Kühlschrank. Zeichnungen von Natalie waren mit Magneten an der Kühlschranktür befestigt, daneben Zettel über Schulsport und Cheerleading.

      Rebecca lehnte sich mit verschränkten Armen an die Arbeitsfläche. »Und?«

      »Es ist ein bisschen unangenehm.«

      »Ja, ist es.«

      »Wir sind uns nicht begegnet, als Simon bei uns arbeitete.«

      »Nein«, sagte Rebecca. »Er hat Arbeit und Freizeit gern auseinandergehalten. Wollte den Tod