Название | Eingeäschert |
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Автор произведения | Doug Johnstone |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783948392437 |
12
JENNY
King’s Buildings war ein Kaninchengehege. Hannah hatte sie gewarnt, aber Jenny ging davon aus, dass ihr Orientierungssinn obsiegen würde. Doch das Universitätsgelände schien auf Verwirrung angelegt worden zu sein, war voller winziger Räume, Ecken und Enden, Hecken und Grünzeug verbargen die Rohre, den Beton und die abblätternde Farbe der naturwissenschaftlichen Gebäude.
Es war schräg, von Studenten umgeben zu sein, als wären sie Außerirdische. Allerdings herrschte hier eine Energie, eine Unbekümmertheit gegenüber ihrem Herumgeblödel, was darauf hindeutete, dass sie keine Ahnung von dem Desaster hatten, das das Leben für sie bereithielt. Jenny stellte sich das Ende von Die Körperfresser kommen vor, wie sie darauf wartete, dass alle auf sie zeigten und kreischten und sich dann auf sie stürzten. Sie fühlte sich deplatziert mit ihrem schlappen, mittelalten Körper, mit ihrem Zynismus, ihrer schlaffen Haut. Und sie kam sich auch klein vor, wieso waren eigentlich alle jungen Leute so gottverdammt groß?
Sie ging an einer Gruppe vorbei, die auf einem grasbewachsenen Hang Sonne tankte. Es gab hier mehr Frauen, als sie erwartet hatte, was ihre Vorurteile in die Schranken wies. Hannahs Freude an Mathematik und Wissenschaft hatte sie überrascht, ihr Wissensdurst bezüglich des Universums und wie es funktionierte. Sie hatte das gefördert, wie es alle Eltern tun würden, aber verstanden hatte sie es nie. Vielleicht gaben MINT-Themen die Richtung an, die eingeschlagen werden musste. Wenn die Gesellschaft zusammenbricht und wir alle in einer trostlosen Apokalypse landen, werden die Wissenschaftler und Ingenieure, die Sachen bauen, Wasser reinigen und Feuer machen können, das Sagen haben. Sie sah einen Hinweis auf das Zentrum für Wissenschaft unter Extrembedingungen und grübelte darüber. Die Wissenschaft des Nervenzusammenbruchs oder der Scheidung? Sie entdeckte den Eingang des James Clerk Maxwell Building und steuerte darauf zu.
Sie trat ein und betrachtete die Ausschilderung: Kondensierte Materie links, Sternenentwicklung rechts, Atmosphärendynamik hinten, Komplexe Systeme oben. Jeder Begriff schien wie ein Code für etwas Unverständliches. Hannah würde wissen, was sie bedeuteten. Jenny fühlte sich einen Moment völlig durcheinander durch die Tatsache, dass eine Person, die sie vor all diesen Jahren erschaffen hatte, ein so anderes Leben, einen so anderen Verstand besaß als sie selbst. Als Hannah fünf war, spielten sie immer ein einfaches Farbkombinationen-Erraten-Spiel, und Jenny konnte jederzeit gewinnen, wenn sie es wollte, denn sie kannte ihre Tochter so gut, dass sie stets vorhersagen konnte, was sie wählen würde. Keine verborgenen Gedanken, keine Geheimnisse, keine eigenständigen Ideen. Natürlich änderte sich das, das war nur normal, aber diese Veränderung hatte eine Leere in Jenny hinterlassen, die nicht gefüllt werden konnte.
Sie folgte der Ausschilderung nach oben, vierte Etage, Raum 4.16 am Ende des Korridors. Ein Poster des Quantum Clubs war an die Tür geklebt worden, darauf ein Bild einer Tardis. Das nächste Treffen war in zwei Tagen im The Old Bell ein Stück die Straße hinauf. Darunter hing ein weiteres DIN-A4-Blatt mit vier Namen, unter ihnen Bradley Barker.
Sie machte mit ihrem Handy ein Foto der Tür, klopfte dann an.
»Herein.«
Die Stimme klang überrascht, fast so, als käme nie jemand hierher. Sie drückte die Tür auf. In ein winziges Büro gezwängt, befanden sich vier Schreibtische mit Laptops, stapelweise Lehrbücher und Abhandlungen, an den Wänden Ankündigungen von Physik-Konferenzen neben einem Poster für Dirk Gentlys holistische Detektei. Es waren zwei Typen und ein Mädchen hier, und es roch intensiv nach billiger Instant-Nudelsuppe. Die drei starrten Jenny an, als wäre ihr ein zweiter Kopf gewachsen.
»Ich suche Bradley Barker.«
Der ihr am nächsten sitzende Junge nickte. »Das bin ich.« Leichter australischer Akzent und die Haare ein Chaos dunkler Locken. Er trug eine Brille mit schmalem Rand und ein T-Shirt der Agents of S.H.I.E.L.D.
»Ich würde gern mit Ihnen sprechen.« Jenny hatte das Gefühl, hier alles unter Kontrolle zu haben, hatte aber gleichzeitig keine Ahnung, woher das kam. Vielleicht war es einfach der Altersunterschied, die Lebenserfahrung.
»Und Sie sind?«
Bradleys Hand schwebte über seiner Tastatur, und sie sah, dass er ein Spiel spielte, bei dem bunte Ballons durch Reifen trieben. Die Ballons sanken sukzessive auf den Boden und platzten.
»Ich bin Privatdetektivin. Ich muss mit Ihnen über Melanie Cheng sprechen.«
»Was?«
»Sie haben mich verstanden.«
»Ist Mel irgendwas zugestoßen?«
»Genau das versuche ich herauszufinden.«
Die beiden anderen wanden sich vor Verlegenheit.
»Sorry«, sagte Bradley. »Wie war noch Ihr Name?«
»Jenny, Jenny Skelf.«
»Skelf, wie Hannah?«
»Können wir uns irgendwo unter vier Augen unterhalten?«
Bradley sah die beiden anderen mit hochgezogenen Augenbrauen an, suchte ihre Hilfe. Beide zuckten mit den Achseln und hielten sich raus.
Bradley schob seinen Stuhl vom Schreibtisch zurück und klappte den Laptop zu. Als er aufstand, überragte er Jenny. Noch so ein Riese der supergroßen nächsten Generation. Ihr zog ein Hauch seines Parfums in die Nase, überraschend teuer und unaufdringlich. Er versuchte, so etwas wie Autorität auszustrahlen, als er sich an ihr vorbei auf den Korridor schob.
»Kommen Sie«, sagte er und ging los.
Sie schloss die Tür und folgte ihm zwei Treppenabsätze hinauf aufs Dach. An der frischen Luft schlurften sie über Betonboden, links von ihnen eine Wetterstation und auf der rechten Seite ein herrlicher Ausblick. Sie befanden sich in der Nähe eines Golfplatzes und von Feldern, in der Ferne kauerte die Hügelkette der Pentland Hills, die Bergspitzen wie wachsame Götter.
Mit der Sonne im Rücken drehte sich Bradley an der Kante um, und Jenny schirmte ihre Augen mit einer Hand ab. Wie er jetzt so über ihr aufragte, fühlte sie sich nicht mehr so, als habe sie alles im Griff.
»Worum geht’s denn?«, fragte er.
»Wann haben Sie Melanie das letzte Mal gesehen?«
»Wird sie vermisst?«
»Gebt dem Jungen einen goldenen Stern.«
»Mein Gott, die arme Mel.«
»Also, was können Sie mir erzählen?«
Er trat von einem Fuß auf den anderen, jede Menge nervöser Energie. »Das ist schrecklich, aber ich weiß nichts darüber.«
»Wie gut kennen Sie sie?« Jenny machte einen Schritt zur Seite, damit sie Bradleys Gesicht besser sehen konnte. Sie hörte von draußen auf dem Platz das typische Geräusch eines abgeschlagenen Golfballs, dann einen vorbeifahrenden Lieferwagen.
»Sie ist in einer meiner Seminargruppen«, sagte Bradley. »Festkörper.«
Jenny wusste nicht, ob damit das Seminar gemeint oder ob es irgendein schräger Code war.
»Haben Sie sie je außerhalb des Seminars getroffen?«
»Klar, im Quantum Club. Hannah geht da ebenfalls hin.«
Jenny hatte nicht bestätigt, dass sie mit Hannah verwandt war, und sie würde es auch nicht tun.
»Worum geht es bei diesem Club?«
Bradley schüttelte den Kopf und zuckte mit den Achseln, seine Schultern wackelten.
»Eigentlich nur um die Philosophie der Physik. Wir reden über alles Mögliche. Wussten Sie, dass noch vor Kurzem an der Edinburgh Uni die Physik als Naturphilosophie bezeichnet wurde?«
»Mögen Sie Mel?«